Villen des Wahnsinns – Zweite Edition: Straßen von Arkham

„Ich habe gehört, bei der Universität soll es Ärger geben“, sagte Marie zu Diana. „Wahrscheinlich ist es dort noch gefährlicher als hier auf den Straßen.“ – „Täuschen Sie sich nicht, Miss Stanley“, entgegnete Tommy Muldoon. „Man weiß nie, was in den Schatten auf einen lauert.“ Mit diesen Worten griff er in die Dunkelheit und zerrte Finn Edwards hinter einer Mülltonne hervor. In diesem Moment bebte die Erde und in der Ferne war das Donnern einer Explosion zu hören. Diana runzelte die Stirn. „Wir müssen zur Miskatonic-Universität und zwar schnell!“

von Frank Stein

Dies ist nur ein kleiner (und zusammengefasster) Auszug aus dem Stimmungstext, der am Beginn des Regelbeiblatts der zweiten eigenständigen Erweiterung für „Villen des Wahnsinns – Zweite Edition“ steht. Genau wie die erste Erweiterung „Jenseits der Schwelle“ bringt auch diese hier neue Ermittlerfiguren, Monster, Spielplanteile, Ergänzungskarten zu allen Kartentypen und – vor allem – neue Szenarien mit sich. Dabei erscheint die Erweiterung in der klassischen Standard-Size-Box (ca. 29,5 x 29,5 x 7,5 cm), die zwar keineswegs ganz voll ist, aber doch angenehm gefüllt.

An Spielmaterial wird einiges geboten, nämlich 17 neue Spielplanteile, 4 neue Ermittler (zwei männlich, zwei weiblich), 4 neue Monster in drei Mal zweifacher Ausführung und ein Mal einfacher Ausführung, dazu 11 einfache Gegenstände, 9 besondere Gegenstände, 3 Zauber zu je 5 Karten („Azurblaues Feuer“, „Eingebung einpflanzen“ und „Erzwungenes Lernen“), der neue Zustand „Rechtschaffen“, 6 neue Elixierkarten, 5 neue Schadens- und Horrorkarten sowie ein Stapel zusätzlicher Pappmarker (Personen-, Verbesserungs-, Tür- und Wandmarker). Dazu kommen drei neue Szenarien für die App. Das Ganze schlägt im UVP mit knapp 55,- zu Buche, ist aber bei einschlägigen Händlern etwa 15% billiger zu haben.

Das ebenfalls beiliegende Regelblatt ist erneut extrem überschaubar. Neue Regeln finden sich nur drei. Zum einen werden die neu eingeführten Elixiere vorgestellt, die ähnlich wie Zauber einen Bonus bringen (hier durch die Bank, dass man eine Fertigkeit um einen Punkt „verbessern“ darf), dafür aber mit unbekannten Nebenwirkungen einhergehen. Diese Verbesserungen sind die zweite wichtige Neuerung. Verschiedene Effekte erlauben es einem Spieler, die Fertigkeitswerte seiner Ermittler mit Markern jeweils um einen Punkt (mehr ist nicht erlaubt) zu steigern. Dadurch können gerade Schwächen eines Ermittlers leicht ausgeglichen werden. Schwierigere Szenarien sind Dank der Elixiere etwas besser zu bewältigen, doch jedes Elixier hat auch seinen Preis (beispielsweise wird man „benommen“ oder muss eine verdeckte Schadenskarte umdrehen). Schließlich kommt mit dem Turmrätsel ein neuer Rätseltyp ins Spiel, der kurz vorgestellt wird – das klassische Ringestapeln.

Es soll hier nicht der Effekt jeder neuen Karte bewertet werden, aber auf ein paar der neuen Spielmaterialien will ich  kurz näher eingehen. Die vier neuen Ermittler – der Polizist Tommy Muldoon, die Ex-Kultistin Diana Stanley, das Showgirl Marie Lambeau und der Alkoholschmuggler Finn Edwards – sind allesamt schön durchdacht und ergänzen gut das Grundspiel. Muldoon mit seiner (sehr starken) Startwaffe „Becky“ ist der Typ fürs Handfeste, Edwards kann sich vor oder nach einer „Durchsuchen“-Aktion 1 Feld bewegen, was extrem praktisch ist, um ohne viel Zeit zu verlieren hinweisreiche Schauplätze abzuarbeiten. Marie kann zu Beginn ihres Zuges kostenlos einen Zauber wirken, was auf den ersten Blick fantastisch ist, gerade wenn sie zwei bis drei Zauber im Arsenal hat. Allerdings darf man nie vergessen, dass jeder Zauber unerwünschte Nebenwirkungen hat und häufiges Zaubern einen schneller umbringt oder in den Wahnsinn treibt als jedes Szenario das könnte. Den schwächsten Effekt hat Diana Stanley, die einen Horror weniger bekommt, wenn sie zwei oder mehr Horror erleiden würde. Das passiert nun nicht so häufig.


 Neues Spielmaterial

Auf Monsterseite kommen „Bezahlte Killer“ sowie „Skelette“ dazu, wobei gerade die Skelette eher Kanonenfutter sind, die man ziemlich leicht umpusten kann. Ganz anders wird das, wenn die dickeren Kaliber auf der Bildfläche erscheinen, etwa einer der „Sternenvampire“ oder gar „Lloigor“, der als Endgegner mit echt üblen Kampfwerten aufwarten kann. Im Vergleich zum Vorgängerset halten die Figuren diesmal gut auf ihren Basen und es besteht auch keine Gefahr abgeknickter Körperteile. Die Optik ist gelungen und die Gussqualität meinem Empfinden nach auch völlig in Ordnung. Einzig die Werteplättchen fallen diesmal sehr leicht unten aus den Basen raus.

Die große Auswahl an neuen Spielplänen weiß in dieser Erweiterung besonders zu gefallen. Es gibt deutlich mehr Gebäude und Straßen – klar, das verspricht ja schon der Titel der Erweiterung –, außerdem lassen sich sowohl die Miskatonic-Universität als auch das Museum von Arkham schön darstellen. Da bekommt man richtig Lust, eigene Szenarien zu entwerfen. Leider bräuchte man dafür einen Szenario-Editor (denn die App muss ja das Spiel steuern) oder eine Offline-Spielhilfe von Asmodee – na, kleine Anregung für die Zukunft?

Kern der Erweiterung sind natürlich die drei neuen Szenarien. Das erste trägt den Namen „Alchemie der Sterne“ und ist mit 4 (von 5) Sternen schon ordentlich knifflig. Die Ermittler werden auf den Campus der Miskatonic-Universität gerufen, denn dort droht ein außerirdisches Übel in die Welt zu kommen. Nur ein spezielles Elixier kann den Schrecken aufhalten. Die Zutaten dafür gilt es unter Zeitdruck zu beschaffen. Dieser Zeitdruck ist wirklich das Hauptproblem. Wenn man nicht regelmäßig neue Zutaten im Labor vorbeibringt, droht das Experiment zu scheitern – mit fatalen Folgen. Auf dem Campus lauernde Monstren machen den Ermittlern das Leben dabei nicht leichter.

Wer lieber klassisch ermittelt, der ist mit dem zweiten Szenario „Krieg auf den Straßen Arkhams“ (Schwierigkeitsgrad 3) gut bedient. Zwar wird auch hier gekämpft, aber der Schwerpunkt liegt im Befragen von Zeugen und der Suche nach dem Mörder eines brutal zu Tode gekommenen Hotelgastes. Heikel wird die Geschichte, weil der Tote in Verbindung zur Banden-Szene stand und sein Ableben eine offene Konfrontation zwischen den Sheldons und den O‘Bannions, die beide Alkoholschmuggel betreiben, heraufzubeschwören droht. Können die Ermittler verhindern, dass noch viel mehr Blut in den Straßen fließt? Das Besondere an diesem Szenario ist, dass es in zwei Akten erzählt wird und entsprechend lange – drei bis vier Stunden – dauert.

„Der Fluch des Museums“ (Schwierigkeitsgrad 5!) führt in die Ausstellung des Miskatonic-Museums. Auch dort gibt es Probleme, denn die neuen Exponate sollen für mehrere Todesfälle verantwortlich sein. Für die Ermittler gilt es, herauszufinden, welches Artefakt wirklich gefährlich ist – möglichst, bevor sie selbst Opfer des Fluchs werden. Das Szenario erfordert viel Mitdenken und Kombinieren, weswegen extra darauf hingewiesen wird, dass man sich beim Spiel Notizen machen sollte.


 Marie ist tot und der Campus brennt lichterloh - so sieht ein Happy End bei "VdW" aus.

Alle drei Szenarien zeigen einmal mehr, worin die Stärke von „Villen des Wahnsinns“ liegt: im Erzählen spannender Geschichten. Es macht wirklich Spaß, nach den Spuren zu suchen, die überall auf dem Spielplan verteilt sind, und das Rätsel Stück für Stück zusammenzusetzen, das sich hinter dem offenkundigen Geschehen verbirgt. Klar, gewiefte Spieler mögen schon vorzeitig erkennen, was Sache ist. Trotzdem hat das Erkunden der Schauplätze und das Reden mit den NSC etwas erfreulich „adventuremäßiges“ (um mal den Videospielvergleich zu ziehen).

Die Kehrseite der Medaille ist erneut die Wiederspielwert. Sobald man ein Szenario einmal bewältigt hat, hält sich dieser in Grenzen, denn auch wenn sich Kleinigkeiten ändern mögen, bleibt doch die Geschichte in ihren Erzähltexten und Wendungen so ähnlich, dass man einfach weiß, was man wo erwarten muss. Allein zeitlicher Abstand (und das damit einhergehende Vergessen von Details) und vielleicht andere Ermittler mögen einen hier erneut an den Spieltisch locken. Andererseits ist das Bewältigen eines Szenarios gar nicht so ohne Weiteres machbar. Gerade die schwereren Szenarien erfordern durchaus zwei bis drei Anläufe, bevor man eins der (tatsächlich mitunter mehreren) Enden erlebt.

Fazit: „Straßen von Arkham“ gefällt mir als Erweiterung für „Villen des Wahnsinns“ sehr gut. Es wird viel neues Spielmaterial geboten und die drei Szenarien sorgen für mindestens drei (eher mehr) lange Spieleabende für spannende Unterhaltung. Berechtigt bleibt die Frage, ob für bloß drei Geschichten 50 Euro nicht etwas happig sind. So wird es eigentlich dringend Zeit, dass mehr Download-Content bereitgestellt wird, damit man das Potenzial, das in den vielen Ermittlern, Monstern und Spielplanteilen steckt, zu einem guten Preis voll ausschöpfen kann. (Es muss ja gar nicht jedes Mal so ein Riesenabenteuer sein. Eine Geschichte, die sich in 60-90 Minuten spielen lässt, dafür aber vielleicht nur 1,99 Euro im Download kostet, wäre meines Erachtens auch mal total in Ordnung.) Die Krönung des Ganzen wäre natürlich ein Szenario-Editor oder gar eine kleine Kampagne mit aufeinander aufbauenden Abenteuern.

Villen des Wahnsinns – Zweite Edition: Straßen von Arkham

Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 14 Jahren
Kara Centell-Dunk, Grace Holdinghaus, Tony Fanchi
Fantasy Flight Games / Asmodee 2018
EAN: 4015566026209
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 54,95

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