von André Frenzer
Bereits auf dem Cover fällt auf, dass das Abenteuer dieses Mal einen Untertitel trägt: „Möwenchroniken I“. Es scheint, als wäre hier eine ganze Abenteuerreihe geplant. Doch was hat es mit den Möwen denn nun eigentlich auf sich, und warum sollten sie für Erwachte interessant sein? Spielleiter erhalten sogleich eine Antwort, doch da diese nicht spoilerfrei ausfällt, sei allen Spielern angeraten, diese Rezension zu überspringen.
Nun, der Untertitel erklärt sich schnell: Das Abenteuer verwendet den Tierkönig der Möwen als Gegenspieler! Emmeran, so der Name des Tierkönigs, hat nämlich so überhaupt kein Verständnis für das affektierte Getue der Erwachten. Pelzträger, die Kleidung tragen und auf zwei Beinen herumstolzieren? Das darf in den Augen des Möwenkönigs nicht sein, und so ergreift er die erstbeste Gelegenheit, um den Erwachten Scherereien zu machen. Als die Dachtänzerin Laluna bei einem gewagten Auftritt im Hafen von dem betrunken Seemann Cuano festgesetzt wird, ist Emmeran sogleich zur Stelle. Er flüstert dem geübten Trinker ein, dass es noch mehr sprechende und tanzende Katzen in den Gassen Havenas gäbe. Cuano – dem nach einer sprechenden Katze eine sprechende Möwe auch nicht ungewöhnlich erscheint – versucht daraufhin, seinen Kameraden von seiner Geschichte zu überzeugen. Da er außer Hohn nur Spott erntet, macht er sich alsbald auf die Suche nach neuen Beweisen.
Durch diese Ausgangslage bietet das Abenteuer angenehm viele Möglichkeiten der Interaktion. Da wären auf der einen Seite die Freunde von Laluna – Momo Morgentau und sein Rudel, die Giebelgeister – welche ein Interesse daran haben, Laluna zu befreien. Während Momo die Hilfe der Helden sucht, sehen sich die Giebelgeister als Ganzes eher als freundschaftliche Konkurrenten und legen den Helden bei einer Rettungsaktion vielleicht sogar den einen oder anderen Stein in den Weg. Auf der anderen Seite gibt es mit Cuano einen ebenso tumben wie nahezu unaufhaltsamen Unruhestifter, der zu jeder ungünstigen Gelegenheit durch die Gassen Havenas streifen kann. Und zu guter Letzt gibt es die Möwen, denn natürlich gebietet Emmeran als Tierkönig über alle Möwen des Hafens. Damit sind die Helden bei jeder ihrer Aktionen unter steter Beobachtung, während Emmeran ein ebenso griesgrämiger wie wortgewandter Widersacher ist, der mithilfe seiner Zauber – und natürlich der Tatsache, dass er fliegen kann – für die Helden ein stetes Ärgernis sein wird.
Um all diese unterschiedlichen Handlungsstränge gut koordinieren zu können, bietet dieses „Pfotenwerk“ alle notwendigen Hilfsmittel an. Von einer Karte des Handelsschiffes, auf dem Laluna gefangen gehalten wird – nebst einer ausführlichen, katzengerechten Beschreibung der Räumlichkeiten –, über neue Regeln und Zauber für den Tierkönig Emmeran bis hin zu einem Haufen möglicher und wahrscheinlicher Begegnungen im Hafen hat die Autorin an alles gedacht. Mit dem so geschaffenen Werkzeugkasten hat die Spielleitung alles notwendige an der Hand, um seine ganz eigene Geschichte um die entführte Katze zu erzählen. Einzig die Rolle von Emmeran ist ein wenig eindimensional gestaltet – warum echauffiert sich ein Tierkönig derart über die Erwachten? Vielleicht klärt sich das aber in den folgenden Teilen der „Möwenchroniken“ noch auf.
Das Layout ist ordentlich und übersichtlich, die leider recht spärlich eingesetzten Illustrationen auf einem guten Niveau. Lektorat und Korrektorat haben gute Arbeit geleistet. Technisch gibt es damit überhaupt nichts zu meckern.
Fazit: „Übermut tut selten gut“ ist ein hervorragendes Abenteuer, nicht nur für Einsteiger. Die Aufbereitung ist vorbildlich, die Handlung abwechslungsreich. Absolut empfehlenswert.
Übermut tut selten gut (Pfotenwerk)
Abenteuerband
Gudrun Schürer
Ulisses Spiele 2023
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