The Walking Dead 4: Was das Herz begehrt

Der Leser wurde in Band 3 erstmalig mit einem Cliffhanger zurückgelassen. Da die Comics bisher jedoch immer intensiver wurden, wäre das gar nicht nötig gewesen. Und wenn man denkt, alles wird wieder gut für die Menschen, sind sie sich gegenseitig genug …

The Walking Dead 4: Was das Herz begehrt

von Lars Jeske

Im Sammelband 3 „Die Zuflucht“ verließen wir den Ort des Geschehens, als gerade ein Ansturm von Zombies auf das Gelände des Gefängnisses abgewendet werden musste. Rick, Tyreese, Andrea und die anderen sind dabei richtig unter Druck geraten. Kaum ist diese Gefahr beseitigt, gibt es durch die ehemaligen Gefängnisinsassen Stunk in der neu formierten Gruppe. Somit schockt zu Beginn dieses Comics Rick die Leser und rechtfertigt erneut das empfohlene Lesealter ab 16 Jahren.

Unterdessen gerät Otis, der gerade von Hershels Farm zurückkommt, vor dem Gefängnis in Bedrängnis und versteht nicht, was drinnen los ist. Durch seine Panik haben ihn die Beißer schnell umzingelt und er hat keine Chance mehr. Auftritt: Michonne. Ein Charakter, der bislang echt gut in der TV-Serie in Szene gesetzt wurde, betritt auch im Comic „endlich“ die Bühne. Eine drahtige Schwarze mit Dreadlocks und zwei Begleitern. Beißer, die sie mundtot gemacht und zusammenkettete. Dadurch wird Michonnes menschlicher Geruch übertüncht und sie kommt in der neuen Dystopie, die die Welt geworden ist, sehr gut allein zurecht. Falls ihr dann doch jemand auf die Pelle rückt, weiß sie sich zudem effizient zu wehren. Denn neben ihren beiden Begleitern hat sie ein Katana, eine Art japanisches Langschwert, mit welchem sie überaus geschickt umzugehen weiß.

Da sie zufällig rechtzeitig zur Stelle ist, rettet sie Otis vor den Toren seiner Zuflucht. Hierbei geht sie kompromisslos vor und ist auch ansonsten recht skrupellos und einsilbig. Dies wird ihr auch nach dem kurzen Kennenlernen von Rick und den anderen zugestanden, schließlich war sie lange allein unterwegs und ist vom Charakter auch eher eine Einzelgängerin. Jedoch eben nicht so leicht zu schocken oder zu überraschen. Eher ist sie eine unberechenbare Person. Kurzum: Wie gehofft, ist sie auch hier in der Comicvorlage ein in mehrerlei Hinsicht starker Charakter. Nicht nur durch das Cover hinterlässt sie gleich einmal einen bleibenden Eindruck. Auch in der Interaktion mit den Gefängnisbewohnern setzt sie neue Akzente und bringt frischen Schwung.

Im Gefängnis wird anschließend richtig aufgeräumt. Leider gibt es neben der Entdeckung eines Generators zur Stromerzeugung auch weitere menschliche Verluste und ein zunehmender Verlust an Menschlichkeit. Nach weiteren Reibereien klären sich jedoch hier die Fronten. Es wird sich eingerichtet und auch Felder werden bestellt, um hier im Gefängnis länger auszuharren. Die beiden stärksten Charaktere der Gruppe Rick und Tyreese geraten leider in einen Streit, der nicht so leicht beizulegen ist. Damit gefährden sie alle, denn beide sind Sturköpfe, was die Sache nicht vereinfacht. Es bleibt somit weiterhin spannend …

Der Leser gewöhnt sich immer mehr an den Stil des Comics, sowohl von der graphischen Seite, als auch bezüglich der Inszenierung der Geschichte und Wortwahl. Während die Charaktere und Emotionen mitunter sehr gut gezeichnet sind, wird auch die Geschichte zielstrebig vorangetrieben und die Verminderung der Kraftausdrücke tut ihr zusätzlich gut. Weniger Polemik, mehr wahre Gefühle und dennoch leidenschaftliche Episoden, die realistisch wirken und den Leser immer mehr in den Bann ziehen. Wenngleich es noch immer einzelne Szenen sind, die mitunter etwas willkürlich zusammengesetzt wirken, spiegeln diese zusammengenommen sehr gut den Alltag der Überlebenden wider. Denn wie im richtigen Leben sind es oft die kleinen Episoden, die großen Eindruck hinterlassen und von einem Menschen ein weiteres Stück seines wahren Charakters enthüllen.

Als wenn das nicht bereits reicht, gibt es neben der auktorial dargereichten und mitunter versteckten Charakterstudie dann auch wieder einige Informationen für den Leser mitten ins Gesicht geschleudert. Am beeindruckendsten in dieser Reihe ist dann der Leitwolf Rick. In fast schon panischer Verzweiflung über die Verrohung der Sitten, die Ungerechtigkeit, die neuen Moralmaximen und den neuen Lebenskodex haut er es am Ende einfach einmal raus: „Wir sind die lebenden Toten“.

Wenn man die mediale Transkription der Comic-Reihe in Bewegtbilder einer TV-Serie bereits rezipiert hat, entwickelt man zumindest unterbewusst eine gewisse Erwartungshaltung. Nach dem Konsum der TV-Umsetzung, die immer gut, streckenweise sogar sehr gut gelungen, ist, ist man zudem auf spezielle Orte, Szenen oder Charaktere gespannt. Im 4. Band der Comics wird somit einmal mehr eine dieser Erwartungen befriedigt, denn das Cover trügt nicht. Nach einem initial gleichen Auftakt zwischen Serie und Comic-Vorlage ist die Reiseroute bislang ähnlich verlaufen. Allerdings sind die Namen der bekannten Personen aus dem Fernsehen vom Charakter her zum Teil sehr stark differenziert und somit völlig anders akzentuiert, als man es „erwartet hat“. Das ist dann die kreative Freiheit, die genutzt wird, ohne das generelle Wesen des Comics zu entstellen. Eine Bereicherung ist in diesem Fall Daryl allemal. – Das soll es aber jetzt auch mit dem Vergleich zur TV-Adaption gewesen sein. Ja, es gibt selbstverständlich viele Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten. Diese sind jedoch gewollt und sorgen dafür, dass es nicht nur „basierend auf den Charakteren von“ ist.

Wer im Gegensatz dazu die TV-Serie nicht kennt, dem erschließt sich eine interessante postapokalyptische Welt voller Zombies, die dennoch auf das Wesentliche heruntergebrochen wird. Es geht um die Menschen und wie diese in dieser andauernden Extremsituation und der Neuordnung der Welt zurechtkommen oder daran zerbrechen. Die Bilanz nach den ersten 4 Sammelbänden (24 Comics), fällt somit überaus positiv aus. Nach diesen 132 Seiten ist es ein tolles Ende.

Fazit: Auch der 4. Sammelband der „The Walking Dead“-Comic-Reihe ist überaus spannend und interessant geschrieben und gezeichnet. Es ist rau wie immer in dieser neuen Welt, jedoch ist durch die (trügerische) Ruhe im Gefängnis auch Zeit einige der Charaktere weiterzuentwickeln. Der Leser lernt diese noch besser kennen und fühlt sich immer mehr von dieser Welt vereinnahmt. Auch wenn man nicht selber tagtäglich um das blanke Überleben und die Aufrechterhaltung des moralischen Kompasses kämpfen muss. Oder um es mit dem Titel des Bandes zu sagen: „Was das Herz begeht“ … sind ganz viele weitere Geschichten aus dieser Welt, die einem als Reflexion sogar vor Augen führt, was es heißt ein Mensch zu sein und wie viel Glück man hat, sich meisten doch nur mit First-World-Problems auseinandersetzen zu müssen.

The Walking Dead 4: Was das Herz begehrt
Comic
Robert Kirkman, Charlie Adlard, Cliff Rathburn
Cross Cult 2016
ISBN: 978-3-95981-219-1
132 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 8,99

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