The Umbrella Academy 2: Dallas (Neue Edition)

„Wir reisten durch die Zeit, verkleideten einen Schimpansen als Marilyn Monroe, wir führten zwei zuckerverliebte Psychopathen ein und töteten sie dann. Wir flogen von Vietnam zum Dealey Plaza und wir ermordeten … Na ja, eigentlich jagten wir die ganze Welt in die Luft.“ So fasst Ideengeber und Autor Gerard Way das zweite Abenteuer „Dallas“ der skurrilen Heldentruppe der Umbrella Academy in einem Nachwort zusammen. Wie sich dieser Wahnsinn im Einzelnen darstellt, in einer wilden „Geschichte über Pistolen, Bomben, Kuchen, Fernsehen, Enttäuschung, Rebellion und Götter, die wie Cowboys aussehen“, das lässt sich am besten mit der größerformatigen Neuauflage des Comics im Cross-Cult-Verlag erlesen und erfahren.

von Simon Ofenloch

Letztens haben sie noch den Weltuntergang verhindert, danach haben sie sich aber auch schnell wieder voneinander distanziert: die Verbliebenen der mit unterschiedlichen Superkräften ausgestatteten Adoptivkinder, die einst die Schülerschaft der Umbrella Academy bildeten. Als Erwachsene sind sie mehr und mehr einander entfremdete Mitglieder einer Pseudo-Familie: Spaceboy, Kraken, Séance, Rumor, die Weiße Geige und Nummer Fünf.

Die meisten von ihnen haben mittlerweile mit eigenen Problemen zu tun: „Rumor hat zusammen mit ihren Stimmbändern auch ihre Kräfte verloren, Spaceboy hat seinen mechanischen Affenkörper in einen ballon-ähnlichen Zustand gefuttert und verlebt seine Tage als Fast-Food-TV-Junkie auf dem Sofa, die Weiße Violine vegetiert im Wachkoma im Krankenhauszimmer und während Nummer Fünf, der 80-jährige zeitreisende Zyniker im Körper eines Grundschülers, seine Zeit mit Hunderennen und Schnaps vergeudet, hat Kraken in seinem „kleinen“ Bruder den Grund für einige seltsame Verbrechen im Umfeld der Umbrella Academy ausgemacht – Verbrechen, hinter denen sich das größte Trauma der amerikanischen Nation verbirgt: die Ermordung des 35. US-Präsidenten, John Fitzgerald Kennedy.“

Und so beginnt es, dass Kraken Nummer Fünf als Schlüssel zur Aufklärung einer zunächst rätselhaften Serie von Massakern zu erkennen glaubt. Was bald zu einer blutigen Konfrontation mit wahnsinnigen Attentätern führt und zur Aufdeckung einer großen Verschwörung um die Ermordung von JFK. Und auch dieses Mal werden die sehr unterschiedlichen und sehr speziellen Superhelden der dysfunktionalen Hargreeves-Adoptivfamilie die Welt nur retten können, wenn sie sich erneut zusammenraufen und alle ihre Kräfte und Fähigkeiten gemeinsam zum Einsatz bringen. Wobei die Begabung von Nummer 5, Zeitreisen zu ermöglichen, Fluch und Segen zugleich ist.

Mit „Dallas“, dem Nachfolge-Abenteuer zur ersten längeren Geschichte „Weltuntergangs-Suite“, haben Gerard Way, Sänger der US-Rockband „My Chemical Romance“, und Star-Zeichner Gabriel Bá ein weiteres Monster von einem Comic erschaffen, ideenreich verrückt, kompromisslos überdreht, ausschweifend actionreich und blutig. Ein neuerlicher knallig bunter Mix aus Comic-Klischees und verspielten, popkulturellen Referenzen in schriller Optik und mit stellenweise ziemlich expliziten Gewaltdarstellungen. Ob mit derart psychopathischen und sadistischen Figuren wie den beiden Auftragskillern mit Comic-Masken Hazel und Cha-Cha das Rad in manchen Szenen nicht doch überdreht wird, darüber ließe sich streiten. Doch tatsächlich stehen auch sie in einiger popkultureller Tradition. Man erinnere sich nur an die zwei diabolischen Killer Mr. Wint und Mr. Kidd in „James Bond 007 – Diamantenfieber“.

Und so strotzt auch dieses zweite große Abenteuer der Umbrella Academy wieder vor Referenzen, Parodien und abgedrehten Ideen auf verschiedenen Handlungsebenen in Zeit und Raum. Wo ein Goldfischglas den Kopf eines Strippenziehers bildet – in gewisser Ähnlichkeit zum Superschurken Krang (auch: Kraang) der Teenage Mutant Ninja (auch: Hero) Turtles, dessen Fußclan-Krieger (auch: Foot Clan-Krieger) gleichsam die Einsatztruppen der Temps Aeternalis inspiriert haben mögen. Wo die Abraham-Lincoln-Figur des Washingtoner Lincoln-Memorial Amok läuft wie einst der Eiffelturm von Paris. Wo Vietcong-Vampire dem Schrecken des Vietnam-Kriegs eine ganz neue Ausprägung geben. Und wo Gott in Schwarz-Weiß im Cowboy-Pferdesattel auftritt. Alles ist verdreht und verrückt, unvorhersehbar, ungeniert – und niemals langweilig. Ein wahnsinniger Spaß. Und absolut fesselnd. Die beeindruckenden Bilder von einer ganz eigenen faszinierenden Qualität stammen erneut von Zeichen-Genie Gabriel Bá und Kolorist Dave Stewart, der insbesondere für seine grandiose Arbeit an „Hellboy“ bekannt ist.  

Bei der „Neuen Edition“ handelt es sich um eine Neuauflage des zum ersten Mal 2008 bis 2009 in den USA erschienen Comics, dieses Mal in einem angepassten größeren Format.

Zum Hardcover-Sammelband gehören neben der sechsteiligen Hauptgeschichte „Dallas“ noch ein äußerst huldvolles Vorwort von Fantasy-Legende Neil Gaiman, ein Nachwort von Gerard Way sowie ein zusätzlicher Kurz-Comic „Nur weg“ über Vanya (Weiße Violine) und Diego (Kraken) als frühe Punk-Rocker, mit einer Einleitung von Gabriel Bá. Des Weiteren einige Entwurfsskizzen und Charakterstudien zu „Dallas“. Dazu dann noch Kurzbiographien zu Gerard Way und Gabriel Bá, ein vierseitiges Interview mit letzterem und auf den hinteren Seiten wie üblich noch einige Werbemotive für weitere Comics aus dem Programm von Cross Cult. Darunter auch eine Vorschau auf den nächsten Sammelband „The Umbrella Academy 3: Hotel Oblivion“.

Fazit: Es bleibt ausgefallen, verrückt und immer wieder aufregend unerwartet. Die „Kinder“ der Umbrella Academy sind definitiv nicht „your ordinary bunch of superheroes“. Hier vereinen sich Superhelden-Geschichte, Science-Fiction und Popkultur in postmoderner Vermischung. Im Resultat ein gelungenes Experiment. Auch im zweiten Sammelband weiterhin irre originell und wahnsinnig unterhaltsam.  

The Umbrella Academy 2: Dallas (Neue Edition)
Comic
Gerard Way, Gabriel Bá
Cross Cult 2019
ISBN: 978-3-95981-175-0
192 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 22,00

bei amazon.de bestellen