The Sundering I: The Companions

Vor vielen, vielen Jahren habe ich das erste Mal von Drow Drizzt Do’Urden, erfunden und berühmt gemacht durch den Autoren R. A. Salvatore, gehört und gelesen. Es waren damals die ersten sechs „Die Saga vom Dunkelelf“-Bände von Goldmann, die im Englischen der „The Dark Elf“-Trilogy entsprechen. Nach fast drei Jahrzehnten Abstinenz habe ich einen erneuten Einstieg in das Universum der „Vergessenen Welten“ gewagt. Eine Herausforderung!

von Jakob Schwarz

Man darf sich als Leser nicht täuschen lassen: Obwohl der 2013 erschienene Hardcoverband „The Companions“ mit „The Sundering I“ übertitelt ist, heißt das weiß Gott nicht, dass man es hier mit dem Beginn einer neuen Geschichte zu tun hätte, die sich einem Laien von selbst erschließt. Wobei ich einen Teil des Satzes etwas relativieren muss: Es war damals doch der Beginn einer neuen Geschichte, nämlich des Übergangs des „Dungeons & Dragons“-Rollenspieluniversums von „D&D 4.0“ auf „D&D 5.0“ (zum Zeitpunkt des Romanerscheinens noch als „D&D Next“ bezeichnet), mit dem auch eine Neuausrichtung des vielleicht beliebtesten Kampagnensettings, der „Forgotten Realms“, einhergehen sollte. Danach sollte vieles nicht mehr sein wie vorher, genau wie zu jedem Versionswechsel. Doch in manchen Aspekten hieß es auch merklich „back to the roots“.

Das beginnt damit, dass wir den Barbaren Wulfgar, den Halbling-Dieb Regis, den Zwerg Bruenor Battlehammer und die Magierin Cattie-Brie – Drizzt Do’Urdens Gefährten seit Band 1 seiner Abenteuer – in einem Art „Paradies“ zwischen den Ebenen antreffen, wohin es sie alle offenbar nach ihrem Tod verschlagen hat. Doch nun sollen sie, die Gefährten, dem langlebigen und einsamen Dunkelelfen Drizzt zur Freude, wiedergeboren werden. Einer der vier entscheidet sich gegen die Wiedergeburt und reist in seinen „eigenen“ Himmel weiter, die übrigen landen in Babykörpern. Zuvor hat man verabredet, sich nach 21 Jahren an einem ganz bestimmten Ort zu treffen. Der Weg zu diesem Punkt ist im Wesentlichen die Geschichte von „The Companions“, bei der Drizzt selbst bloß eine Kommentatorenrolle innehat. Parallel dazu kündigt sich bereits das Ereignis namens „The Sundering“ an, bei dem die Geschicke und Geographie der „Forgotten Realms“ neu ausgerichtet werden.

Man kann diesen Roman witzigerweise auf zwei verschiedene Arten wahrnehmen. Als „normaler“ Fantasy-Leser steht man vor der Handlung und versteht im Wesentlichen Bahnhof. 23 Romane ist die seit 1990 weitererzählte Legende von Drizzt zum Zeitpunkt dieses Romans schwer (Stand 2020 sind wir bei 33, wenn ich nicht irre) und R. A. Salvatore verschwendet keine Zeit für große Erklärungen. So musste selbst ich, der die Ursprünge des Dunkelelfen kennt, erstmal im Internet recherchieren, seit wann auf einmal alle „klassischen“ Gefährten von Drizzt tot sind, was es mit den Schauplätzen auf sich hat, wer die Gegenspieler sind und wie das Ganze mit den Göttern funktioniert. Man wird in ein seit Jahren ausgebautes Universum mit komplexer Geschichte geworfen und steht davor etwa so hilflos wie ein Erstleser, wenn er „Perry Rhodan Heft 2921“ in die Hand nimmt. Dazu kommt, dass die komplette Handlung des Romans im Grunde für Nichtkenner relativ langweilig ist. Ein paar Figuren, die einem nichts bedeuten, werden wiedergeboren und erleben ein paar Gefahren, während sie älter werden, nur um am Ende zusammenzufinden. Nichts, was einen typischen Hollywood-Stoff abgeben würde.

Für „D&D“-Kenner und insbesondere Drizzt-Fans, mag der Roman dagegen geradezu eine Offenbarung sein. Die vielen Jahre, in denen die „Forgotten Realms“ schon bestehen und vor allem die zum Teil merklichen Zeitsprünge zwischen den Rollenspiel-Versionen, zwangen Salvatore geradezu dazu, sich von seinen alten Helden irgendwann zu verabschieden, da die Lebensspanne von Menschen eben begrenzt ist – im Gegensatz zu der von Elfen. Vielleicht wollte er seinen Helden zwischendurch auch einfach mal neu erfinden und ihm neue Gefährten zur Seite stellen, nach mehr als 19 beziehungsweise 20 Jahren durchaus verständlich. Deswegen mussten sie 2009 beziehungsweise 2010 in relativ kurzer Folge das Zeitliche segnen. Die Fans scheinen davon nicht begeistert gewesen zu sein; anders kann ich mir die schnelle Rückkehr der „alten“ Recken in neuen Körpern schwerlich erklären. Doch mit „The Companions“ führt Salvatore die Legende von Drizzt ins nächste („D&D Next“ – hehe) Zeitalter, wobei er gereifte, zum Teil geradezu nachdenkliche Charaktere präsentiert, die sich – trotz junger Körper – kaum noch mit Orkjagden oder dem Nekromanten der Woche begnügen dürften. Für Kenner war es sicher spannend zu beobachten, was Salvatore mit seiner legendären Truppe fürderhin anfangen würde. (Antwort: Viel Krieg führen, oft gegen alte Feinde – aber das sind andere Geschichten.)

Fazit: „The Sundering I: The Companions“ verdient eigentlich drei Beurteilungen. Als gewöhnlicher Fantasy-Roman bietet das Buch einen eher dünnen Plot, eine Übergangshandlung zwischen Prä- und Post-„Sundering“, die zudem für Laien schwer zu verstehen ist, weil die Welt in keiner Weise erklärt wird. Als „The Sundering“-Auftakt bleibt er etwas blass, denn das Ereignis selbst, der unglaubliche Wandel, der die Welt Toril ergreifen wird, deutet sich nur in Kleinigkeiten an. Als „Drizzt“-Roman liegt zweifellos ein wichtiger Wendepunkt vor, der vieles, was Fans in den Jahren zuvor an der Serie missfallen hat, wieder zurechtbiegt. Dass die Handlung letzten Endes weniger aus sich selbst erwachsen ist, sondern aus „produktionstechnischen“ Vorgaben („D&D 5.0“ brauchte neue „Forgotten Realms“, in denen auch alte Publikumslieblinge wieder umherstreifen sollten), mag einem etwas aufstoßen. Doch dankt Salvatores mitreißendem Erzählstil überwiegt die Freude, hier dem Beginn einer neuen Ära beiwohnen zu dürfen.

The Sundering I: The Companions
Rollenspiel-Roman
R. A. Salvatore
Wizards of the Coast 2013
ISBN: 978-0786963713
384 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 19,99

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