The Star Wars – Die Urfassung

Wenn man, wie ich, die Entwicklung des „Star Wars“-Universums seit Jahrzehnten mittlerweile verfolgt, hat man einiges gesehen. Kurzgeschichten-Anthologien, die Filmkomparsen zu Hauptfiguren machen, Prequels, die das Fandom erregen, 19-bändige Epen um einen Krieg gegen intergalaktische Aggressoren, Parodien, Genre-Experimente und mehr. Jetzt hat Dark Horse dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Mit dem Comic „The Star Wars – Die Urfassung“ wurde das Rough Draft von George Lucas aus dem Jahr 1974 in Szene gesetzt. So hätte „Star Wars“ auch aussehen können, wenn ihm jemand dafür Geld gegeben hätte …

von Bernd Perplies

 

Nobel gibt sich dieses Comic-Highlight für „Star Wars“-Fans schon auf den ersten Blick. Ein schickes Hardcover ist der Panini-Sammelband geworden, der auf 224 Seiten sowohl die 8-teilige US-Serie als auch ein umfangreiches Making-of im Anhang umfasst. Vom Cover blicken uns unbekannte Gestalten in bekannter Pose entgegen. Ein Luke Skywalker als grauhaariger Krieger (mit deutlichen optischen Anleihen an George Lucas), ein Han Solo als grünhäutiges Alien, ein C-3PO, der an die Robo-Maria aus Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ erinnert und ein Sith-Lord, der eine Metallmaske trägt, die Assoziationen an Dämonen der asiatischen Sagenwelt wachruft.

Die Geschichte beginnt mit dem klassischen gelben Rolltext und einem Raumschiff, das auf einen Planeten zufliegt. Doch schon dieser Text irritiert, weil er die Jedi-Bendu als Samurai-artige Krieger etabliert, die Generationen lang den Imperator beschützten, bevor sie – nach der Großen Rebellion (die nicht näher thematisiert wird) – von den Rittern der Sith, einem anderen Kriegerorden, der dem neuen Imperium dient, gejagt und ausgelöscht wurden. Dazwischen fallen Worte wie Himmelsäquator und Großer Graben, die auch nie mehr im Comic erwähnt werden. Man merkt schon auf dieser ersten Seite: Dem Fan steht ein ungewöhnliches Lese-Abenteuer bevor.

Die Handlung hat ihren Ausgangspunkt auf dem vierten Mond von Utapau, wo der alte, herrische Jedi-Bendu Kane Starkiller mit seinen Söhnen Annikin und Deak im Verborgenen lebt. Als sie von einem Sith aufgespürt werden, der einen Banta Vier fliegt (ich betone das, damit man sieht, wie Lucas Namen später willkürlich umsortiert hat), und Deak das Leben verliert, gibt Kane sein Exil auf und kehrt zum Planeten Aquilae zurück, der mit dem militaristischen Imperium im Streit liegt. Um die Invasion Aquilaes durch eine gewaltige Raumstation, den Widerstand des alten Generals Skywalker, die Flucht mit Annikin und den Kindern des Königspaars – darunter natürlich Leia –, den Absturz auf einer Dschungelwelt, die von Pelzjägern und wilden Wookiees bewohnt wird, die Entführung Leias durch die Imperialen und den schlussendlichen Gegenschlag der Guten geht es in diesem Comic.

Die Handlung an sich kommt dabei etwas holprig und sprunghaft einher. Man fühlt sich an „Episode I“ erinnert (Aquilae ist Naboo, bloß mit den für Tatooine typischen Wüsten), ergänzt um Elemente aus der gesamten klassischen Trilogie, darunter der Todesstern, die Flucht durch ein Asteroidenfeld und der Absturz auf einer Dschungelwelt, die allerdings noch nicht von Kuschel-Ewoks, sondern von gemeingefährlichen Kriegern bewohnt wird. Der eigentliche Reiz des Comics liegt jedoch gar nicht in der Geschichte selbst, sondern vor allem im Spiel aller Beteiligten mit bekannten und weniger bekannten Elementen der „Star Wars“-Saga, die in Wahrheit ganz anders verwendet wurden.

Das betrifft natürlich George Lucas’ Vorlage selbst. In ihr ist Luke Skywalker mehr oder weniger die Figur des Obi-Wan Kenobi, Annikin dagegen ist Luke, Han Solo ein grünhäutiges Alien, R2-D2 ein mürrischer „Hausmeister“ von einem Droiden, der übrigens sprechen kann und ungefähr die Hälfte des weinerlichen Gezeters, das wir aus C-3POs Mund kennen, zum Besten gibt. Alderaan ist die Hauptwelt des Imperiums, Darth Vader ein gewöhnlicher, wenn auch brutaler Heerführer. Die Sturmtruppen besitzen Lichtschwerter und „reiten“ wie klassische Ritter auf STAPs, diesen kleinen Flugplattformen der Droidenarmee aus „Episode 1“. Owen Lars lebt als Einsiedler in einer Holzhütte im Dschungel, die Siedlung Achorhead ist hier ein Planet, die Liste ließe sich fortsetzen.

Hauptillustrator Mike Mayhew gibt seinen Teil zum fröhlichen Spiel mit Erwartungen dazu. Natürlich hat er sich, wo immer möglich, an den frühen Konzeptentwürfen von Ralph McQuarrie orientiert. Viele der Dinge, die in dem Rough Draft nur grob beschrieben sind, musste er jedoch neu entwerfen. So hat er Darth Vaders Uniform beispielsweise sehr am bekannten Outfit Vaders angelehnt, nur dass der Helm des Heerführers offen ist und sein kantiges Gesicht zeigt. Die Sternenzerstörer, die in dieser Version von „Star Wars“ kleine Kampfjäger sind, hat er absichtsvoll keilförmig realisiert, was für besondere Irritation sorgt. Das typische Design der riesigen Schiffe, aber auf fünf bis zehn Meter Länge geschrumpft? Kaum zu akzeptieren. Sehr hübsch sind auch kleine Momente, etwa wenn das Königspaar von Aquilae in einer Szene auf einen doppelten Sonnenuntergang blickt oder ein paar Farmer mit einem Schwebefahrzeug auf dem Feld arbeiten, das frappierend einem Flugpanzer der Droidenarmee ähnelt.

Zur Qualität der Illustrationen insgesamt sei gesagt, dass sie durchgehend erfreulich hoch ist. Man merkt, dass hier ein Prestigeprojekt umgesetzt wurde. Die Panels sind detailreich und die Figuren wirken fast wie per „übermalte“ Fotografien – mit entsprechend fein ausgearbeiteten Gesichtszügen und Körperposen. Vor allem Skywalker, Vader und Leia sind dem Künstler fantastisch gelungen. Man glaubt beinahe die Schauspieler zu sehen, die diese Figuren in einer denkbaren Verfilmung dargestellt hätten.

Das Making-of gibt vor allem Einblicke in die Arbeit von Mike Mayew. Wie entwickelte sich das Design der Figuren, wie das der Raumschiffe? Solche Fragen werden anhand von Konzeptzeichnungen und kleinen Texten beantwortet. Am Ende stehen eine Covergalerie und die visuell völlig anders gestalteten Konzeptseiten von Scott Kolins, der zu Beginn des Projekt engagiert wurde, um George Lucas mithilfe einiger visualisierter Schlüsselszenen die Idee von „Star Wars – Die Urfassung“ zu „verkaufen“.

Fazit: Einfach großartig! Kaufen! Viel mehr kann ich zu dem Projekt „Star Wars – Die Urfassung“ abschließend kaum sagen. Jeder, der sich auch nur ein wenig intensiver mit dem Phänomen „Star Wars“ beschäftigt, wird einen Heidenspaß daran haben, die Gesichte mal ganz anders und doch verstörend vertraut zu erleben. Also wenn ihr euch in diesem Jahr nur einen „Star Wars“-Comic zulegen wollt, dann nehmt den hier. (Aber, ganz nebenbei bemerkt, bin ich froh, dass niemand George Lucas dieses Drehbuch hat verfilmen lassen. Es wäre dadurch vermutlich einiges anders gekommen. Ganz zu schweigen davon, dass das Projekt noch viel teurer geworden wäre.)


Star Wars – Die Urfassung
Comic
George Lucas, J. W. Rinzler, Mike Mayew u.a.
Panini Comics 2014
ISBN: 978-3957980465
224 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,99

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