Star Wars: Verlorene Welten

Vor einem halben Jahr kam wohl einer der am sehnsüchtigsten erwarteten Filme des letzten Jahrzehnts in die Kinos: „Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht“. Noch am Premierenabend schlugen die Wellen im Fandom hoch. Während die einen ihn als Rückkehr von „Star Wars“ zu den alten Tugenden anpriesen, schmähten die anderen ihn als einfallslose Nacherzählung von „Episode IV – Eine neue Hoffnung“, garniert mit ein paar Highlights aus den anderen Teilen der klassischen Trilogie. Vor allem aber wurde dem Film vorgeworfen, viele Fragen offen zu lassen. Kann der Jugendroman ein paar von ihnen beantworten?

von Frank Stein

„Verlorene Welten“ ist in dreierlei Hinsicht ein fürs Franchise ungewöhnlicher Roman. Zum ersten handelt es sich um eine dezidierte Liebesgeschichte. Die Liebe zwischen Thane Kyrell und Ciena Ree spielt nicht nebenbei eine Rolle, sie ist sozusagen der Plot, die Klammer, die alles zusammenhält. Wir hatten im Laufe der Jahre verschriftlichte Heist-Movies („Glücksritter“), Gefängnisfilme („Darth Maul – In Eisen“), Horrorstreifen („Todeskreuzer“) und Parodien („War was?“). Einen echten Liebesroman hatten wir noch nicht. Zum zweiten spannt sich der Handlungsbogen ungewöhnlich weit, nämlich über mehr als ein Jahrzehnt, beginnend mit der Übernahme des Außenrand-Planeten Jelucan acht Jahre nach der Ausrufung des Imperiums und endend ein Jahr nach der Schlacht von Endor mit der Schlacht um Jakku (ja, das ist die Wüstenwelt, auf der Rey in „Episode VII“ lebt). Und drittens spielt keiner der bekannten Helden eine nennenswerte Rolle in diesem Roman. Luke, Han, Leia: Sie alle werden höchstens erwähnt oder haben, im Fall von Leia, einen Cameo. Die komplette Handlung hangelt sich an den Geschehnissen der klassischen Trilogie entlang, aber immer außerhalb der Leinwand, wenngleich manchmal nur sehr knapp.

Worum geht's?

Thane Kyrell und Ciena Ree stammen beide vom Hintern des Universums, einem rückständigen Planeten im Äußeren Rand, genannt Jelucan. Er ist ein Aristokratenspross, sie ein Abkömmling der ersten Siedler (eine Art Bauernkind), dennoch schließen der Junge und das Mädchen an dem Tag, an dem das Imperium auf Jelucan Einzug hält und mit großen Tönen eine glorreiche Zukunft verspricht, eine ungewöhnliche Freundschaft. Zwei Dinge einen Thane und Ciena: die Liebe zum Fliegen und der Wunsch, später einmal Karriere im Imperium zu machen, diesem pompös auftretenden Staatsapparat, der eine Flucht aus dem heimischen Mief verspricht.

Beide haben Glück. Sie finden tatsächlich ihren Weg zur Flottenakademie. Dort reifen sie sowohl körperlich als auch charakterlich heran und aus Freunden wird ein Paar, wenngleich ihre Beziehung eine Mischung aus Kameradschaft und Sehnsucht bleibt. Für echte Liebe ist im Militärapparat des Imperiums kein Platz. Dann jedoch schleichen sich plötzlich Zweifel in ihr Glück, um genau zu sein Thanes Zweifel am Glanz des Imperiums. Wieder und wieder erlebt er die grausame Vorgehensweise von Palpatines Schergen – und schließlich desertiert er völlig desillusioniert. Damit gerät Ciena in eine üble Zwickmühle, denn nun streiten ihre Liebe zu Thane und der ihr heilige Eid, den sie dem Imperium geschworen hat, in ihrem Inneren um die Vorherrschaft. Werden die zwei sich dennoch finden? Vor allem der englische Titel „Lost Stars“ (erinnernd an „star-crossed“, dt. „etwas steht unter einem schlechten Stern“) lässt daran Zweifel aufkeimen.

Lobrede

Während ich die ersten Werke unter dem Label „Journey to Star Wars: Das Erwachen der Macht“ noch vor allem unter dem Gesichtspunkt bewertet habe, inwieweit die Geschichte als Hintergrundwerk zum Kinofilm funktioniert – und meist war das kaum nennenswert der Fall –, sehe ich die Reihe mittlerweile in einem anderen Licht. Es schien den Machern weniger darum zu gehen, auf die damals noch nicht erschienen „Episode VII“ vorzugreifen, als vielmehr denjenigen jungen Fans, die mit den Prequels und den Klonkriegen aufgewachsen sind, die „Imperium“-Ära und die alten Recken näherzubringen.

Unter diesem Gesichtspunkt leistet „Verlorene Welten“ einen interessanten Beitrag, denn der Roman umspannt – wie gesagt – Jahrzehnte an Handlung, beginnend mit dem Aufstieg des Imperiums kurz nach „Episode III“ bis hin zu den Monaten nach der Schlacht von Endor. Und obwohl die Ereignisse der klassischen Kinofilme jeweils nur gestreift werden, erhält man so während des Lesens ganz nebenbei einen schönen Gesamtüberblick über die Ära des Imperiums und der Rebellion, erzählt von Protagonisten der zweiten Reihe.

Ganz abgesehen davon ist Claudia Gray auch dramaturgisch ein hervorragender Roman gelungen. Ich habe selten erlebt, dass jemand derart elegant eine Handlung über Jahre hinweg verteilen konnte, ohne dass der Plot gehetzt oder oberflächlich wirkt. Mit einem bemerkenswerten Gespür für Timing und Drama gelingt es der Autorin, exakt die Szenen zu erzählen, die für die Weiterentwicklung von Thane und Ciena wichtig sind. Das betrifft nicht nur die Entwicklung ihrer beider Gefühle füreinander, sondern vor allem die Reifung ihres Charakters, die angenehm komplex dargeboten wird. So wird einem als Leser vielleicht erstmals in einem „Star Wars“-Roman klar, warum es junge Menschen gibt, die vom Imperium begeistert sind. Dass diese Begeisterung irgendwann Ernüchterung weichen muss, ist klar. Entsprechend bittersüß ist das Finale, in dem die unterschiedlichen Lebensläufe von Thane und Ciena ihren einstweiligen Schlusspunkt finden.

Das stilisierte Cover zeigt einen abstürzenden Sternenzerstörer, wie es der Zufall will das einzig wirklich relevante Verbindungsstück zu „Das Erwachen der Macht“. Wer den Film gesehen hat, wird ahnen, in welchem Kontext der Absturz stattfindet. Darüber hinaus ist er natürlich ein schönes Symbol für den letztendlichen Fall des Imperiums, dessen ganze militärische Macht nicht ausreichte, um die Galaxis in eisernem Griff zu halten.

Fazit: Wenn ihr schon viele „Star Wars“-Romane gelesen habt, wird euch dieser durch seine ungewöhnliche Erzählweise erstaunlich frisch vorkommen. Wenn ihr ganz neu im Franchise seid, wird der Roman euch einen Überblick der Imperiums-Ära bescheren (am besten begleitet durch eine Sichtung der klassischen Trilogie). Wenn ihr auch nur einen „Road to“-Roman lesen wollt, nehmt diesen (und nicht den stilistisch verunglückten „Aftermath“ / dt. „Nachspiel“). Ihr merkt es ohne Zweifel: Ich gehöre zu jenen, die von Claudia Grays Werk sehr angetan waren. „Verlorene Welten“ ist eine gelungene Coming-of-Age-Geschichte, die aus dem Gros der „Star Wars“-Romane deutlich hervorsticht.

P.S.: Lieber Timothy Stahl, wenn Sie als Übersetzer Informationen dem deutschen Roman hinzufügen, die im Englischen so nicht im Text stehen, recherchieren Sie doch bitte korrekt. Es flog kein X-Flügler in die Brücke der Executor, sondern ein A-Flügler. (Im englischen Roman heißt es schlicht „starfighter“.)


Star Wars: Verlorene Welten
Film/Serien-Roman
Claudia Gray
Panini Books 2015
ISBN: 978-3-8332-3194-0
416 S., broschiert, deutsch
Preis: EUR 12,99

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