Star Wars – Die Hohe Republik: Das Gleichgewicht der Macht

Im „Star Wars“-Kinofilm „Rogue One“ durften wir die letzten Tage des Pilgermondes Jedha erleben, eines spirituellen Zentrums für alle Arten von Machtanbetern. Fast 400 Jahre zuvor blüht und gedeiht das Leben noch in dessen Hauptstadt Jedha City, doch hinter der Fassade brodelt es. In dieses Tollhaus gerät der Jedi-Ritter Vildar Mac – und er wird beinahe davon aufgerieben.

von Ye Olde Jedi-Master

Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung, wie Vildar Mac seine Prüfung zum Jedi-Ritter bestanden hat! Der Bursche ist völlig fertig! Ein frühkindliches Trauma – dunkler Machtanwender zerstört sein Dorf und tötet seine Eltern – sorgt für eine so tief liegende Angst, dass er noch heute Panikattacken davon kriegt. Außerdem hat er eine kurze Zündschur und neigt zum Aktionismus, ohne das immer gut zu durchdenken. Eigentlich hätten beim Aufnahmekomitee im Tempel alle Alarmglocken klingeln müssen, aber nein, man nahm ihn in den Orden auf – und nun wurde er als Ritter nach Jedha versetzt, um den Orden unter den dort zahlreichen Machtgruppierungen mitzuvertreten.

Dabei muss Vildar feststellen, dass der Pilgermond einem religiösen Hexenkessel gleicht. Auf den Straßen eckt er als Jedi immer wieder an und darf sich anhören, dass er sich in Probleme nicht einmischen soll. In der Synode der Machtanwender sind Debatten an der Tagesordnung, die konstruktives Handeln weitgehend verhindern. Darüber hinaus plagt eine Diebstahlserie die Stadt. Schon zahllose Machtartefakte wurden gestohlen. Und zu guter Letzt taucht auch noch der Pfad der Offenen Hand auf, der Machtnutzung grundsätzlich für einen Frevel hält und die einfache Bevölkerung kräftig gegen die religiösen Eliten aufstachelt. Ein super Arbeitsumfeld für eine so „ausgeglichene Natur“ wie unseren Protagonisten!

„Das Gleichgewicht der Macht“ wurde von Cavan Scott geschrieben und ist der erste Comic der Phase II des großen „Die Hohe Republik“-Projekts. Manch einer mag sich erinnern: In Phase I ging es 230 Jahre vor der Schlacht um den ersten Todesstern vor allem um den Kampf der Republik gegen die fiesen Nihil-Piraten und die gefräßigen Drengir-Monsterpflanzen. Phase II macht nun auf „Prequels“ und geht nochmal 150 Jahre in die Vergangenheit. Diesen Sprung muss man mögen. Leider hat er vor allem zur Folge, dass alle gerade ins Herz geschlossenen Figuren keine Rolle mehr spielen und man sich nach nur vier Comics (die „Abenteuer“-Titel außen vor) in Phase I wieder mit neuen Helden, Schurken und Konflikten anfreunden muss.

Dabei deutet sich vor allem in den Phase-II-Romanen an, dass wichtige Protagonisten der Offenen Hand zu den Gründern der Nihil werden. In diesem Comic merkt man davon wenig. In Bezug auf Phase I steht die Geschichte weitgehend isoliert da. Was Phase II angeht, schließt man allerdings – wenn auch aus einer anderen Richtung kommend – gewissermaßen an den Jugendroman „Der Pfad der Täuschung“ an, denn dort wollen die Pfad-Mitglieder am Ende nach Jedha. Hier nun treffen sie ein und sorgen gleich für Stress. Man muss „Der Pfad der Täuschung“ vorher nicht gelesen haben, man kann die auftauchenden Pfad-Mitglieder auch einfach als plötzliche Fanatiker-Truppe nehmen, aber mit dem nötigen Hintergrund wird der Konflikt doch interessanter.

Passend zu unserem etwas impulsiven, streitsüchtigen Jedi wirkt auch die ganze Handlung etwas sprunghaft. Der Fokus schwenkt von der einen zur anderen Figur, wir lernen alle ein bisschen besser kennen, aber dann doch nicht so weit, dass man wirklich mit ihnen mitfiebern würde. Cavan Scott macht hier ein großes Fass auf, aus dem dann ein paar Schlucke Inhalt ringsum verstreut werden. Stimmungsbild Jedha mischt sich mit Ermittlungsarbeit, Synodenstreit mit Unruhen auf der Straße, und obwohl ich vor allem Vildar Mac bisher erwähnt habe, gibt es noch mindestens drei fast gleichwertige „Spieler“, nämlich die Twi’lek-Padawan Matthea „Matty“ Cathley, die Jedi-Ritterin Oliviah und den schlitzohrigen, spitzohrigen Sephi-Gauner Tey Sirrek. Man bekommt einen ersten Eindruck von ihnen, aber bis man sie auch alle mag, wird sicher noch ein Comic-Band vergehen. Aber dann ist Phase II auch schon wieder vorbei. Ach ja …

Die Zeichnungen von Ario Anindito und Andrea Broccardo würde ich im gehobenen Mittelfeld einordnen. Sie verärgern nicht, reißen aber auch nicht vom Hocker. Der feine Strich kommt dem häufigen Durcheinander in Jedha City zugute. Und auch die Gesichtszüge und Posen sind völlig in Ordnung.

Fazit: „Die Hohe Republik“ geht in die nächste Phase – mit einer Rolle rückwärts. 150 Jahre vor Phase I gibt’s Ärger auf Jedha, wobei der Comic keinen nennenswerten Bezug zu Phase I nimmt, dafür aber den Roman „Pfad der Täuschung“ gewissermaßen weitererzählt. Für sich allein stehend ist er nur eine Einführung in das Leben auf dem Pilgermond Jedha und ein Neubeginn mit vielen Figuren, die einem als Leser erst noch ans Herz wachsen müssen. So richtig zündet der Konflikt erst gegen Ende – und dann kommt der Cliffhanger.

Star Wars – Die Hohe Republik: Das Gleichgewicht der Macht
Comic
Cavan Scott,  Ario Anindito, Andrea Broccardo
Panini Comics 2023
ISBN: 978-3-7416-3564-9
128 S., Softcover, deutsch
Preis: 17,00 EUR

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