Shadowrun: Ein ganz normaler Auftrag

Jahrelang herrschte bedauerliche Ruhe auf dem Markt der „Shadowrun“-Romane, und das, obwohl das Rollenspiel floriert wie eh und je. Doch dann begann Catalyst Games 2015, neue Geschichten zu veröffentlichen, und 2017 zog Pegasus Spiele mit deutschen Übersetzungen nach. „Ein ganz normaler Auftrag“ von Genre-Veteran Mel Odom ist hierzulande als zweites Buch erschienen und stellt einen bemerkenswerten Gegensatz zum ersten Band der Reihe, „Für alle Fälle Kincaid“, dar.

von Frank Stein

Cover und Klappentext sind im ersten Augenblick ein bisschen irreführend, denn sie legen ein Indiana-Jones-artiges Abenteuer mit einem Helden namens Katar Hawke nahe, der mit Hut und Umhängetasche durch den Dschungel hetzt. Das sieht erstmal gut aus, wie überhaupt die ganze Aufmachung der „Shadowrun“-Romane von Pegasus absolut gelungen ist und einen Eindruck wertiger Verarbeitung hinterlässt. Bloß die Schrift ist leider winzig klein, trotz 400 Seiten Buch. Bitte macht so ein Buch doch beim nächsten Mal 50 Seiten dicker, damit man keine Lupe beim Lesen braucht.

Beginnt man mit der Lektüre, wird rasch klar, dass die Indiana-Jones-Assoziation richtig und falsch zugleich ist. Falsch ist sie, weil der Bursche auf dem Cover eben nicht der Protagonist ist, sondern ein Archäologe namens Fredericks, der von seiner Assistentin Rachel Gordon begleitet wird. Richtig ist sie, weil beide in einer Ausgrabungsstätte in Zentralamerika ein eigenartiges Artefakt finden – man kennt derlei vom Spielbergschen Peitschenschwinger –, mit dem Rachel auf besondere Weise verbunden ist. Das rückt sie in den Fokus eines ominösen Mister Johnson, der Runner Hawke mit der Extraktion – man könnte auch sagen: Entführung – der jungen Frau beauftragt.

Also macht sich Hawke gemeinsam mit einer elfischen Riggerin und ihrem Monster von einem Allzweckfahrzeug (dschungelbrechend, schwer gepanzert, schwer bewaffnet, tauchfähig) in den Urwald auf, nur um dort direkt mit Truppen des Mega-Konzerns Aztechnology zusammenzustoßen, der auch ein Interesse an Rachel und dem Artefakt hat. Was folgt, ist eine Flucht zu Wasser und zu Lande, von Amazonien, über Caracas, nach Havanna, Denver und noch weiter. Dabei versucht die kleine Truppe nicht nur, ihren Konzerngegnern aus dem Weg zu gehen, sondern auch Rachel zu beschützen, die mehr und mehr in den Bann des Artefakts gerät, bis ihr Geist völlig in einer anderen Sphäre entschwindet, in der sie durch einen urtümlichen Dschungel irrt. Das Ganze entwickelt sich zu einem Abenteuer, das weit über der gewöhnlichen Preisklasse von Katar Hawke liegt.

Mel Odom macht in seinem Roman einiges anders als der typische „Shadowrun“-Autor. Oft sind diese Romane in einer einzigen Stadt angesiedelt und haben ein eher lokales Problem zum Thema. Hier wird wild durch Amerika gereist und dabei schleppen die Protagonisten ein ultramächtiges Artefakt mit sich herum, hinter dem gleich zwei Mega-Konzerne her sind. Und als wäre das noch nicht genug, beschwört Odom gerade gegen Ende noch Verbindungen zu früheren magischen Zeitaltern der Erde herauf. Dazu muss man (als Laie) wissen, dass das Rollenspiel „Shadowrun“ vor vielen Jahren mit dem Rollenspiel „Earthdawn“ (damals beides FASA) verknüpft wurde, indem beide als verschiedene Zeitalter der Magie auf der Erde verkauft wurden, „Earthdawn“ als frühes mit Fantasy-Setting („Vierte Welt“), „Shadowrun“ als Near-Future-Setting („Sechste Welt“). Dazwischen liegt das uns bekannte Zeitalter der Menschen, die „Fünfte Welt“, in der es keine Magie gab. Hier nun wird über das Zweite Zeitalter orakelt und Andeutungen gehen in cthuloide Richtung.

Mir persönlich hat dieses „Earthdawn“-Cross-Over, das den Magie-Aspekt des Spielsettings sehr über den Cyberpunk-Aspekt dominieren lässt, nie so richtig gefallen. Entsprechend halte ich es für zumindest gewagt von Pegasus, als zweiten Roman der Reihe mit etwas derart Abgedrehten zu kommen wie einem Abenteuer, das bis in frühere magische Zeitalter zurückverweist. Wer von „Shadowrun“ wenig Ahnung hat und es nur als Cyberpunk-mit-Magie-Rollenspiel versteht, dürfte mit den mythischen Passagen seine Schwierigkeiten haben. Leute, denen der Magie-Aspekt des Settings besonders zusagt, lesen das Ganze natürlich mit Spannung.

Allerdings mit einer Spannung, die abrupt beendet wird. Das ist die zweite Schwäche des Romans. Kapitellang lässt sich Mel Odom wirklich Zeit für seine Erzählung. Es wird gekämpft, geplant und auch viel geredet, während seine Protagonisten durch die Welt reisen. Doch dann beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen, um auf den letzten 50 Seiten nochmal eine ganz neue Wendung zu nehmen. Auf einmal kommt es zu Erzählsprüngen, die es vorher so nicht gab, so als wäre der Autor unter Zeitdruck geraten, sein Werk zu beenden und hätte noch unbedingt das Finale reinquetschen müssen. Es passieren irrwitzige Dinge auf diesen letzten Seiten, dennoch steht man am Ende da und hat das Gefühl, auf 400 Seiten bloß einer Origin Story beigewohnt zu haben. Eine Fortsetzung ist bis heute (also mehr als 3 Jahre später) nicht in Sicht.

Fazit: „Ein ganz normaler Auftrag“ steht in diesem Roman um den Runner Katar Hawke ganz sicher nicht auf dem Programm. Und Mel Odems Werk ist auch kein „ganz normaler Shadowrun-Roman“. Über weite Strecken absolut spannend und nah an den Figuren dran, muss man als Leser sich doch mit zwei Dingen anfreunden: 1) Der Roman hat eine massive Magie-Komponenente, die weit in die Erdvergangenheit verweist. 2) Das Ende kommt recht abrupt und ist insofern nicht gänzlich befriedigend, weil es zugleich der Anfang von etwas ist, das bislang nicht weitererzählt wurde. Ein Roman, den ich eher „Shadowrun“-Veteranen als Anfängern empfehlen würde.

Shadowrun: Ein ganz normaler Auftrag
Rollenspiel-Roman
Mel Odom
Pegasus Press 2017
ISBN: 978-3-95789-099-3
400 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 12,95

bei pegasus.de bestellen
bei amazon.de bestellen