Shadowrun 2050

Im Jahr 1989 war das Jahr 2011 noch sehr weit weg. Im Jahr 2050, in der die erste Edition von „Shadowrun“ zu spielen begann, war es allerdings bereits lange Vergangenheit – und die Welt eine andere. Seitdem sind sowohl in der Spielwelt als auch in der unseren viele Jahre vergangen. Mit „2050“ erscheint nun ein Rückblick auf die 1. für die 5. Edition: Wie war das damals noch mit der Matrix?

von Adaon

Die Zukunft ist Vergangenheit. Viele Ereignisse der „Shadowrun“-Zeitlinie sind – bedauernswerterweise, zum Glück oder beides – nicht eingetreten. Bald wird das Jahr 1989, in dem „Shadowrun“ zum ersten Mal erschien, weiter von uns entfernt sein als das Jahr 2050, in dem die erste Edition spielte; 29 Jahre ist das nun, im Jahr 2018, her. Und die Ereignisse der Spielwelt, die sich mitbewegt haben, sind im Jahr 2079 angelangt – also natürlich ebenfalls 29 Jahre später. Aus jeder Richtung betrachtet also, 1989, 2018 und 2079 ist das Jahr 2050 weit entfernt. Blitzendes Chrom, bedrohliche Gangs und mysteriöse Magie beherrtschen damals die Schatten; klobige Cyberdecks, große Wummen und glänzende Cyberware waren die Werkzeuge der Runner dieser Zeit. Mit der Verlockung von Technik und Magie, angesiedelt in der fernen – 1989 noch deutlich ferneren – Zukunft einer dystopischen, von Konzernen beherrschten Welt, begann ein neues Rollenspielsystem damit, sich eine Fangemeinde aufzubauen und diese über fünf Editionen, zahllose Regelwerke und Quellenbücher, Romane und Computerspiele zu halten – bis heute.

„2050“ ist kein alternatives Grundregelwerk und kein Quellenbuch zur 5. Edition, sondern etwas dazwischen. Über zahlreiche Kapitel und 212 Seiten hinweg wird die Stimmung dieser für Spieler wie für Charaktere zurückliegenden Zeit eingefangen; nicht nur die Kurzgeschichten, auch viele der Beschreibungen wirken für den „modernen“ „Shadowrun“-Spieler des Spieljahres 2079 etwas altmodisch. Shadowland ist das aktuelle Netzwerk für Shadowrunner. Kommentare werden von bekannten alten Namen wie Fastjack, Dodger und Dunkelzahn gemacht. Und vieles klingt bekannt, aber eben doch auch ein wenig ... anders.

Das erste Kapitel, nach der schon bedrohlich gestimmten, einleitenden Kurzgeschichte, lautet „Messer an der Kehle“. Was kann und wird Runner auf den Straßen der 50er-Jahre töten? Die Großen Acht, die Megakonzerne, beherrschen die Welt – und fünf von ihnen kommen aus Japan, was damit wohl weltweit das gefährlichste Pflaster für Runner sein dürfte. Dann gibt es noch Gangs, Verbrechersyndikate und den Polizeikonzern Lone Star – und ein paar Tipps, wie man diesen Konzern zwingt, sich sein Geld zu verdienen. (Ein interessanter Abschnitt beschäftigt sich mit den großen Stars: die Band „Concrete Dreams“, die Sängerin Maria Mercurial und der Combatbiker Teddy „The Terminator“ Tartikoff sind ganz an der Spitze.) Metamenschen, vor allem die mit Hauern und Hörnern, haben es nicht leicht. Rassistische Ansichten sind weit verbreitet und zwingen viele Orks und Trolle an die Ränder der Gesellschaft.

Im zweiten Kapitel, „Herz der Schatten“, werden Schauplätze für Shadowruns besprochen. Wo sind die Schatten am tiefsten? Wer ist vor Ort ansässig? Wen darf man nicht verärgern und welche Aufträge werden in Seattle, Chicago, Hongkong und Berlin vergeben?

Um Aufträge geht es auch im folgenden Kapitel „Stellenangebote“. Sortiert nach Auftragsarten wie Beschaffung, Datendiebstahl, Infiltration und vielen weiteren, werden Jobangebote aufgelistet, diskutiert und manche Anekdote zum Besten gegeben, wie ein Auftrag schief laufen oder richtig erfolgreich werden kann.

„Runner 2050“ stellt 13 ausgearbeitete Charaktere vor, mit denen die Spieler sich im Jahr 2050 sofort heimisch fühlen können, und die mit (meist leichten) Anpassungen auch im Jahr 2079 eingesetzt werden könnten. Die Persönlichkeiten wirken etwas kantiger, die Ausrüstung mag veraltet sein – aber eine Ares Predator reißt immer noch große Löcher.

Doch es soll um das Jahr 2050 gehen, richtig? „Leben im Jahr 2050“ wird dem Spielleiter dabei helfen, die Stimmung dieser Zeit genauer einzufangen, und den Spielern, ihre Charaktere durch diese unsicheren Zeiten zu steuern. Nutzung der Matrix (die ja sehr im Hintergrund auf Glasfaserkabel läuft), Überleben auf den Straßen (saurer Regen, giftige Luft, schlecht gelaunte Gangs), einkaufen um die Ecke („Bitte halten Sie Ihren Credstick an das Lesegerät.“) oder das besorgen von Ausrüstung und Informationen halten einen Runner auch ohne Aufträge beschäftigt.

„Magie“ ist selten. Verdammt selten. Es gibt sie erst seit weniger als 40 Jahren, und Hermetiker haben noch viel zu lernen – und mit Schamanen, diesen nervigen Geisterbeschwörern, die selbst immer Geistern folgen, fast nichts gemeinsam. Oder?

Die „Matrix“ wurde nach dem Crash von 2029 mit Rücksicht auf die damals auch gerade entwickelten Cyberterminals entworfen – eine gedankenschnelle Verbindung von Metamensch und Maschine. Heute, im Jahr 2050, gibt es tragbare Cyberdecks mit eingebauter Tastatur, und ihre Nutzer werden „Decker“ genannt. Was sie da in der virtuellen Realität machen, versteht jemand von außerhalb eigentlich kaum – aber jeder weiß, dass alle wichtigen Daten irgendwo in der Matrix gespreichert sind. Jeder normale Nutzer braucht allerdings einen Bildschirm und Tastaturen (oder ähnliche Eingabegeräte), um die Matrix nutzen zu können, und sieht immer nur den kleinen Bereich, in dem er arbeitet.

Doch auch für mundane Charaktere finden sich im Jahr 2050 einiges zum Spielen, dank dem „Arsenal 2050“. Waffen (Nah- und Fernkampf – sehr viel Fernkampf), Zubehör für Waffen, Munition für Waffen und Panzerung gegen Waffen werden angeboten. Natürlich auch ein Haufen elektronischer Spielzeuge, praktischer Ausrüstung, Gifte und Drogen, Fahrzeuge und Drohnen für den lauten oder leisen Einsatz. Die immer beliebte Cyberware rundet das Angebot ab.

Der solide Hardcover-Band zum günstigen Preis von 19,95 Euro bietet damit alles, was eine Spielgruppe für eine Runde im Jahr 2050 braucht, ohne dabei allerdings tiefer ins Detail zu gehen. Hintergründe für dieses Spieljahr finden sich natürlich in alten Spielpublikationen und auch in der Shadowhelix im Internet.

Das interne Design des Buches wirkt im grünen Farbton, mit Abbildungen von Platinen und der Verwendung von LCD-artiger Schrift bei Überschriften ebenfalls angenehm auf altmodische Art Science-Fiction-orientiert, wie es für ein Regelwerk über ein Zukunftssetting ja auch sein muss. Die Bilder sind ebenfalls passend ausgewählt, auch wenn immer wieder weibliche Charaktere mit bemerkenswert bauchfreier Panzerung (oder auch bemerkenswert wenig Kleidung) auf Runs dargestellt werden. Da hätte ich mir doch etwas mehr Anpassung an die Realitäten eines Feuergefechtes und einer giftigen Umwelt gewünscht.

Fazit: Ein nostalgischer Rückblick. Eine Reise zu den Anfängen. Eine Möglichkeit, die ganzen alten Quellenbücher aus den 90ern nochmals zu verwenden, mit neuen Spielern neu zu entdecken und das Ganze mit dem bisher besten Regelsystem für „Shadowrun“. (Ja, ich meine Euch, alte Matrixregeln.) Da die Welt nicht drahtlos funktioniert, kann der Decker nicht alles um das Team herum beeinflussen – doch dafür gibt es auch keine G.O.D., die ihm nach gefühlten Sekunden auf den Fersen ist und aus der Matrix wirft, und keine Verpflichtung, mit dem Team mitzulaufen, solange der Zielort des Runs eine gute Kabelverbindung zum Rest der Welt hat. Braucht man „2050“, um „Shadowrun“ zu spielen? Nicht wirklich, solange man dem aktuellen Metaplot folgt und im Jahr 2078+ unterwegs ist. Für eine kleine Kampagne in der Vergangenheit (oder einen One Shot auf einer Convention) ist das Buch aber durchaus interessant. Und: Es macht Spaß!

Shadowrun 2050
Regelwerk/Quellenbuch
Jean-Marc Comeau, Jason M. Hardy, Aaron Pavao, Robert Wieland u.a.
Pegasus Spiele 2014
ISBN: 978-3-941976-99-3
212 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 19,95

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