Salzträume (Band I)

Ein neues Abenteuer für die Charaktere aus „Das Obsidianherz“. Ganz harmlos fängt alles mit dem Brief eines alsbald Verschwundenen an. Schnell stellt sich heraus, dass übelste Machenschaften im deutsch-östereichischen Grenzgebiet die Vernichtung der magiebegabten Wesen zum Ziel haben. Zudem steht die Vollendung einer verheerenden Waffe bevor, welche dem Schicksal des 19. Jahrhunderts eine neue Wendung geben wird.

von Lars Jeske

Ein Autor ist dankbar, wenn seine Geschichten vom Leser angenommen werden. Leser sind es, wenn es Fortsetzungen zu gern gelesenen Geschichten gibt. Somit ist „Salzträume“ von Ju Honisch das Resultat einer Win-Win-Situation und die Fortsetzung zum überzeugenden Debütroman „Das Obsidianherz“. Sicherlich hat der Erhalt des Deutschen Phantastik Preises 2009 (in der Kategorie „Bestes deutschsprachige Romandebüt“) auch seinen Teil dazu beigetragen, die Veröffentlichung der Fortsetzung zu befördern. Wie dem auch sei, die gut ausgeformten Charaktere, die dem Leser schon ans Herz gewachsen sind, bilden die Grundlage für ein neues Abenteuer.

Ein halbes Jahr ist seit den Geschehnissen in „Das Obsidianherz“ vergangen, und alles könnte so friedlich und harmonisch sein. Ist es aber nicht, schließlich wäre so eine Geschichte eher langweilig. Es beginnt mit einem Brief von Ian an seinen Onkel, in welchem er komische Andeutungen macht. Dann verschwindet er samt Hauslehrer. Dadurch kommt vieles in Bewegung.

Während die Handlung in „Das Obsidianherz“ zu weiten Teil in der Enge eines Münchner Hotels spielte, liegt den Protagonisten nunmehr das Grenzgebiet von Bayern und Österreich als Spielwiese zu Füßen, welches auch gut gefüllt wird. Gleich zu Beginn von „Salzträume“ werden mehrere Handlungsstränge aufgebaut, die das bekannte Figurenensemble erneut kurz vorstellen und deren aktuelle Lebenssituationen schildern. Corrisande Fairchild ist schwanger, traut sich jedoch nicht, dies ihrem Mann zu sagen. Angus McMullen und Ex-Agent Philip Fairchild hingegen sind auf der Suche nach dem Neffen des Meisters des Arkanen, der in der Nähe des Grundelsees verschwunden ist. Von Orven ist in geheimer Mission als Herr Meyer unterwegs, um mehr über eine neue Erfindung herauszubekommen – zufällig im gleichen Gebiet. Mit dieser Erfindung soll es möglich sein, die Macht der Sí zu kanalisieren und als vernichtende Waffe zu benutzen. Somit hätte man nicht nur einen imensen militärischen Vorteil, sondern über kurz oder lang auch das Problem der magiebegabten Wesen beseitigt. Von Görenczy als Maler ist in ähnlicher Mission unterwegs, um das Treiben in den Bergen zu beobachten. Durch gezielte Träume für die Opernsängerin Cérise Denglot, Sophie Treynstern und Mrs. Fairchild, in welchen ihre Liebsten bedroht werden, machen diese sich ebenso auf den Weg.

Das interessante Figurenensemble wird zudem durch weitere Protagonisten erweitert. Da ist etwa die junge, aufgeschlossene Österreicherin Charlotte von Sandling. die in ihrer Vergangenheit schon mit einem Sí beziehungsweise Feyon Kontakt hatte. Sie ist zufällig dabei, als Graf Apard eine Falle gestellt wird, und entscheidet sich aufgrund ihrer persönlichen Vergangenheit, ihm das Leben zu retten. Gemeinsam fliehen sie in die Berge, werden rasch unter Tage eingeschlossen und irren in der Finsternis tagelang umher. Die Gegenspieler sind heuer der gewaltbereite van Wayndt, der begnadete Meister der Arkanen Künste Marhanor und der Erfinder Professor Hardenburg.

Hilfreich ist in diesem Zusammenhang das Register der handelnden Personen, um sich bei den knapp 40 verschiedenen nicht zu irren und diese zuordnen zu können. Ju Honisch gelingt es hierbei, jeder Person genügend Platz zu gegeben, um als vollständiger, lebendiger Charakter für den Leser ansprechend zu wirken. Glücklicherweise gibt es zudem wenige Wiederholungen von Handlungsmotiven aus „Das Obsidianherz“, das Vorwissen der Leser ist somit von Vorteil. Man muss dieses Buch dennoch nicht zwingend gelesen haben, denn „Salzträume“ ist ein eigenständiger Roman. Allerdings fällt auf, dass die Motive und Charaktere der schon bekannten Personen eher kurz und knapp erklärt werden. Neuen Personen wird, deren Relevanz berücksichtigend, hierbei mehr Raum gelassen, um auch diese voll erfassen zu können; soweit es die Autorin zulässt. Durch diese extrem ausführliche Art der Figurenbeschreibung kann man deren Beweggründe sehr gut nachvollziehen und der Roman wird dadurch schlüssig und glaubwürdig.

Gewohnt ruhig (aber nicht langweilig) wird die Handlung beschrieben und vorangetrieben. Vor allem der Anfang ist dadurch weniger actionlastig. Die Detailtiefe, das erweiterte Ensemble und die längere Geschichte machten es zudem unabdingbar, den Roman in zwei Bände aufzuteilen. Schließlich sollen alle Figuren glänzen und zwölf Hollywoodstars könnte man als Vergleich auch nur in einen 90-minütigen Film pressen, wenn man alle zu kurz kommen lässt. Wer also dachte, dass „Das Obsidianherz“ mit seinen über 800 kleinbedruckten Seiten umfangreich ist, wird bei dessen Fortsetzung „Salzträume“ sogar noch überrascht. Mit gut 1200 Seiten wäre der Roman quadratisch geworden. Somit ist es wirklich nur der 1. Teil und die Handlungsfäden sind bei Weitem nicht entworren oder auch nur ansatzweise gelöst, wenn man das Buch zuschlägt.

Eine signifikante Umstellung ist es, dass die Randerscheinung der Magie bei „Das Obsidianherz“ jetzt zentraler in der Geschichte verankert ist. Je weiter die Erzählung voranschreitet, desto mehr werden von dieser die Personen und das gesamte Geschehen beeinflusst. Nach der nur geringen Realitätsabweichung zuvor, schöpft Ju Honisch jetzt aus dem Vollen. Sí, magische Wesen der Berge, Göttinnen, Wasserwesen, Traumweber, andere Dimensionen, Massenbeeinflussungszauber und vieles mehr: Da bleibt kein Stein der Realität mehr an seinem vermuteten Platz im bekannten Weltengefüge. Eine Umstellung, die der Leser so nicht unbedingt erwartet hat und die er vermutlich durch die starke Fokusierung zumindest anfänglich eher widerstrebend annimmt. Neben den menschlichen Charakteren treten nun ebenfalls eine Menge Wesen auf, deren Herkunft der Menschheit für immer verborgen bleiben wird. Als Folge dessen kann man sich nie sicher sein, wie „Salzträume“ ausgeht. Hat man sich als Leser einmal darauf eingelassen, macht genau das den Reiz der Geschichte aus und zieht einen in den Bann. Die Fähigkeiten der fremden Wesenheiten blitzen nämlich zumeist nur auf, und es ist nicht immer klar zu erkennen, wie und warum sich in die Belange der Menschen, die hier in den Bergen ihre Intrigen spinnen, eingemischt wird.

Fazit: Ein erwartet gutes und weiterhin historisches Setting mit interessanten und glaubwürdigen Charakteren geht mit „Salzträume“ in eine gelungene Fortsetzung. Nun hat jedoch Magie und Mystik einen viel größeren Stellenwert und sind integrale Bestandteile, die den Lauf der Geschichte entscheidend beeinflussen. Neben dieser Umstellung ist nur die weiterhin benutzte alte Rechtschreibung etwas, woran man sich gewöhnen muss. Schreibstil und die Geschichte in all ihren Facetten sind über jeden Zweifel erhaben. Die erste Hälfte ist spannend, man muss jedoch auch Band II lesen, damit es sich lohnt.


Salzträume (Band I)
Urban-Fantasy-Roman
Ju Honisch
Feder&Schwert 2009
ISBN: 978-3-86762-062-8
574 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 15,95

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