Providence 2

Der Schatten von H. P. Lovecraft reicht weit. Immer wieder erfährt sein Werk an stilprägender phantastischer Horrorliteratur zeitgenössische Bearbeitungen. Als Ahnherr und Pate der morbiden amerikanischen Phantastik hat der 1890 in Providence, Rhode Island, geborene Howard Phillips Lovecraft für die Literaturgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika einen ähnlichen Stellenwert wie sein zeitlicher Vorgänger Edgar Allan Poe; beim breiten Publikum ist er dennoch weniger bekannt. Comic-Superstar Alan Moore, einer der profiliertesten Autoren unserer Gegenwart, hat sich zusammen mit Zeichner Jacen Burrows dem Mythos um Lovecraft angenommen und mit der Reihe „Providence“ eine ganz eigene Interpretation geschaffen. Die deutschen Sammelbände erscheinen bei Panini.

von Simon Ofenloch

Nach einem privaten Schicksalsschlag hat sich Robert Black, in den späten Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts Zeitungsreporter beim New York Herald, besonders eindringlich in die Arbeit gestürzt. Die Geheimnisse um ein seltsames Buch sowie ambitionierte Pläne zum Verfassen eines eigenen literarischen Meisterwerks führen den Journalisten seitdem durch verschiedene Städte und Gegenden Neuenglands. Örtlichkeiten, in denen das Grauen regiert und Unheimliches lauert. Statt Antworten findet Robert Black allerdings nur noch mehr Rätselhaftes und Wunderliches. Allerorten trifft er auf ungewöhnliche Einheimische. So auch in Manchester, wo er zunächst bei einer alten Vermieterin unterkommt, die des nachts ihr hexenähnliches Wesen enthüllt. Die nächste schauerliche Begegnung hat Black mit einer jungen hochbegabten Studentin, die erst einmal harmlos und hilfsbereit erscheint, bevor sie sich zu einem verstörenden Sexmonster wandelt. Auf seiner Flucht landet Black danach in Boston, wo gerade Gewerkschaftsunruhen wüten. Doch das Schlimmste für den jungen Journalisten sind nicht die gewalttätigen wie tödlichen Straßenkämpfe, deren Zeitzeuge er wird, sondern die Begegnung mit Monstern aus der Tiefe. Und über allem hängt drohend das Rätsel um die geheimnisvolle Gruppe Stella Sapiente und den Wahnsinn eines arabischen Gelehrten. In welcher Weise vermag Robert Black wohl der bewunderte Autor zu helfen, den er bei einer Abendveranstaltung in Boston kennenlernt: Howard Phillips Lovecraft?

Es erscheint als ebenso große wie großartige Leistung, was Autor Alan Moore mit der Comic-Reihe „Providence“ am Werk des bedeutenden amerikanischen Fantasy-Schriftstellers vollbringt. Eine sorgfältige Recherche und die Liebe zum Detail offenbaren sich an vielen Stellen. Für ebenso Versierte im Oeuvre H.P. Lovecrafts muss es eine wahnsinnige Freude sein, umbenannte Namen und Schauplätze den jeweiligen Vorgaben zuzuordnen, die entsprechende Vorlage genau wiederzuerkennen. Weniger beschlagene Leser können die Geschichten für sich faszinierend finden. Wer beim Entschlüsseln der zahlreichen Anspielungen und Verweise nach Unterstützung sucht, der kann Hilfestellungen im nachfolgend verlinkten Online-Kompendium finden, in dem viele Hintergründe erläutert werden. Der Horror ist hier nicht von schlechten Eltern. Intensiv, erschreckend, pervers, durchaus verstörend. Ganz eindeutig ein Comic für ältere Semester. „Empfohlen ab 18 Jahren!“ prangt ein auffälliger Hinweis auf der Rückseite.   

Den sorgfältigen klaren Zeichnungen von Jacen Burrows folgen stets lange Prosastücke, vorgeblich Tagebucheinträge von Robert Black, in welchen die zuvor dargestellten Ereignisse noch einmal aus einer ganz persönlichen zweiten Perspektive rekapituliert werden. Ein wahrlich besonderes, durchaus erhellendes stilistisches Mittel, das einiges an zusätzlicher Leseleitung abverlangt, zugleich aber auch belohnt, mit neuen Eindrücken und Erkenntnissen. Ein großes Lob hat sich an dieser Stelle auch die Übersetzerin Gerlinde Althoff verdient, die für Panini Comics ansprechende Texte verfasste, die gut zu lesen sind und bestens passen. Weitere Schriftstücke, die im Rahmen der Handlung Bedeutung erlangen, finden sich ebenso in die Tagebuchnotizen eingebunden.

Im zweiten deutschen Sammelband sind erneut die Cover und Variant-Versionen der zugehörigen vier US-Einzelausgaben, ein Vorwort von Christian Endres und einige abschließende Erläuterungen von Antonio Solinas enthalten, neben Kurzinfos zu den beiden Comic-Künstlern Moore und Burrows auf der letzten Seite.   

Fazit: Im wiederholt äußerst referenzreichen und vielschichtigen zweiten Band setzt Robert Black seine Forschungs- und Recherchereise in die finsteren Ecken von Neuengland fort und entdeckt noch mehr Geheimnisse und noch mehr Horror und Schrecken – und begegnet nicht zuletzt dem großen Meister Howard Phillips Lovecraft in Person.

Providence 2
Comic
Alan Moore, Jacen Burrows
Panini Comics 2016
ISBN: 978-3-95798-719-8
184 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 19,99

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Links:

Umfangreiche Anmerkungen zu Alan Moores „Providence“ (auf Englisch)