Providence 3

Der Schatten von H. P. Lovecraft reicht weit. Immer wieder erfährt sein Werk an stilprägender phantastischer Horrorliteratur zeitgenössische Bearbeitungen. Als Ahnherr und Pate der morbiden amerikanischen Phantastik hat der 1890 in Providence, Rhode Island, geborene Howard Phillips Lovecraft für die Literaturgeschichte der USA einen ähnlichen Stellenwert wie sein zeitlicher Vorgänger Edgar Allan Poe; beim breiten Publikum ist er dennoch weniger bekannt. Comic-Superstar Alan Moore, einer der profiliertesten Autoren unserer Gegenwart, hat sich zusammen mit Zeichner Jacen Burrows dem Mythos um Lovecraft angenommen und mit der Reihe „Providence“ eine ganz eigene Interpretation geschaffen. Die deutschen Sammelbände erscheinen bei Panini.

von Simon Ofenloch

Der New Yorker Reporter Robert Black ist immer noch unterwegs, auf den Spuren unheimlicher Mysterien und okkulter Rituale in Neuengland, auf der Jagd nach Hinterlassenschaften des seltsamen Geheimordens „Stella Sapiente“, auf der Suche nach sich selbst und seiner literarischen Bestimmung. Seine Recherche-Reise brachte ihn zuletzt in Kontakt mit dem ebenso freundlichen wie rätselhaften Schriftsteller Howard Phillips Lovecraft, mit dem er nun weiterhin einige Zeit verbringt. Mit neuen Ortsbesichtigungen und neuen Bekanntschaften, auch sexueller Art, gerät Robert Black immer stärker unter den Einfluss wahnhafter Gedanken und Vorstellungen. Die Grenzen zwischen Wachsein und Träumen scheinen zu verschwimmen, und schließlich brechen auch die Wälle zwischen den Zeiten, zwischen Vergangenheit und Zukunft, und alles Geschehene wird Teil eines großen Ganzen, einer Schreckensvision, in der glitschige Tentakel weit ausgreifen, über die 1930er Jahre, die 1950er, 1960er und 1970er Jahre hinweg bis in die Gegenwart.

Mit dem dritten Sammelband schließt sich der Kreis. In diesen letzten Kapiteln 9 bis 12, welche die Titelüberschriften „Die Außenseiter“, „Das verwunschene Schloss“, „Der Unnennbare“ und „Das Buch“ tragen, bringen Autor Alan Moore und Zeichner Jacen Burrows ihre groß angelegte Studie zum Abschluss und verknüpfen „Providence“ mit ihrem vorangegangenen Kooperationsprojekt „Neonomicon“, ihrer ersten gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Fantasy-Horror-Ikone Howard Phillips Lovecraft. Am Ende von „Providence“ hat Robert Black die Bühne verlassen. Doch sein Recherchetagebuch hat die Jahre überdauert bis in eine Zeit, in der an seiner Statt drei FBI-Mitarbeiter, die Agenten Barstow und Fuller und deren Vorgesetzter Carl Perlman, die letzten Rätsel zu ergründen suchen. Hier tauchen Figuren und Sachverhalte auf, die zuvor in „Neonomicon“ etabliert wurden. Hier kulminiert alles in einem verbindenden Finale.

Ohne ein ordentliches Maß an Vorkenntnis über Lovecraft, seine Arbeit, seine Zeit und seine Einflüsse vermittelt sich die ganze clevere Großleistung von Moore und Burrows wohl nur schwer. Zum besseren Verständnis der letzten Seiten von „Providence“ sollte man außerdem „Neonomicon“ kennen. Beim Entschlüsseln der zahlreichen Anspielungen und Verweise kann wie bei den beiden früher veröffentlichten Sammelbänden wieder das nachfolgend verlinkte Online-Kompendium zu Rate gezogen werden. Dort sind viele Hintergründe sorgfältig aufgelistet und erläutert.

Wenngleich Moore und Burrows keinesfalls ausbeuterisch mit Lovecrafts schrecklichen Ideen und Vorstellungen und seinem imaginierten Bestiarium umgehen, ist der auffällige Hinweis „Empfohlen ab 18 Jahren!“ auf der Rückseite des Comicbandes eine zu Recht ausgegebene Warnung vor unappetitlichen und potenziell verstörenden Inhalten in Wort und Bild.

Der Schrecken kleidet sich wiederholt in faszinierend klar und sorgfältig gestaltete Zeichnungen in wundervoll passender Kolorierung. Zwischen den Passagen mit den beeindruckenden Zeichnungen von Jacen Burrows finden sich auch im dritten Sammelband wieder längere Prosastücke, die gewohnten Tagebucheinträge von Robert Black, ergänzt um einige zusätzliche Kurz-Zitate. Der insgesamt tollen Übersetzungsarbeit von  Gerlinde Althoff gebührt hierzu große Würdigung.

In diesem abschließenden dritten deutschen Sammelband sind ein ums andere Mal die Cover und Variant-Versionen der zugehörigen vier US-Einzelausgaben, ein Vorwort von Christian Endres und einige abschließende Erläuterungen von Antonio Solinas enthalten, neben Kurzinfos zu den beiden Comickünstlern Moore und Burrows auf der letzten Seite.   

Fazit: Zum Finale gibt es noch einmal Querverweise und hintergründige Andeutungen en masse – und ein dickes Ende, mit dem sich Moore und Burrows auf sich selbst beziehen. Versponnener geht’s gar nicht. Und doch ergibt letztlich alles einen Sinn. Wahnsinn. Mit ihrem Gemeinschaftswerk aus „Neonomicon“ und „Providence“ haben Moore und Burrows Howard Phillips Lovecrafts Leben und Werk tief durchdrungen und ein geniales analytisches Comicstück erschaffen, ein echtes Doppel-Meisterwerk in sich.

Providence 3
Comic
Alan Moore, Jacen Burrows
Panini Comics 2017
ISBN: 978-3-7416-0240-5
168 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 19,99

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Links:

Umfangreiche Anmerkungen zu Alan Moores „Providence“ (auf Englisch)