Protektor – Inkomplettium

Mit „Protektor – Monsterjäger mit Sockenschuss!“ wurde das von André Wiesler erdachte „Protektor“-Universum zur rollenspielerischen Realität. Das „Inkomplettium“ nun komplettiert das Regelwerk gleich einem Kompendium, bringt neue Inhalte und neue Ideen – doch hätte es das wirklich gebraucht?

von André Frenzer

André Wiesler, Autor des Romans und Mastermind hinter dem „Protektor“-Universum, finanzierte sein Rollenspielprojekt per Crowdfunding. Leider verstarb Wiesler kurz nach der erfolgreichen Finanzierung seiner „Protektor“-Herzensangelegenheit. Seine Freunde und Mitstreiter, die an dem Projekt im Vorfeld mitgearbeitet hatten, sorgten schlussendlich dafür, dass „Protektor – Das Rollenspiel“ doch noch erscheinen konnte. Das „Inkomplettium“ ist dabei leider genau das – inkomplett, denn ohne André Wiesler wird es wohl nie komplett sein können, wie im Vorwort so treffend bemerkt wird.

Was aber findet sich denn jetzt im „Inkomplettium“? Nun, zunächst einmal fällt die Materialfülle ins Auge – stolze 192 Seiten haben die Autoren zusammengetragen. Damit steht das „Inkomplettium“ dem „Grundregelwerk“ in nichts nach. Und auch die Breite des Materials kann sich sehen lassen: Zusatzregeln, neue Kreaturen, neue Archetypen, Abenteuer und Kurzgeschichten wurden hier versammelt.

Verhältnismäßig überschaubar sind die hinzugekommenen Regeloptionen. Das Grundregelwerk propagierte bereits einen recht leichten Umgang mit Regeln und so sind auch die Regeln für „Düsteres Befinden“, die das Spiel von eher düster angehauchten Kreaturen ermöglichen, und einige neue Gruppenaktionen leichte Kost. Diese Regeln fügen sich nahtlos in den etablierten Regelkanon ein. Spritziger wird es dann beim aus dem Grundregelwerk bekannten „Okkult-Otto“, der neue Kreaturen vorstellt, die der geneigte Spielleiter auf seine entnervten Spieler loslassen kann. Vom eitlen und eingebildeten Einhorn, über die Verkehrsunfälle verursachenden Irrlichter-Ampeln bis zur gnadenlosen Winsel-Omi bleibt kein Klischee ausgespart – und damit wohl kein Auge trocken.

Interessant sind die Kapitel, in denen neue Archetypen sowie berühmte Protektoren der Geschichte vorgestellt werden. Wer bislang noch Schwierigkeiten hatte, passende Ideen für Charaktere in diesem recht speziellen Universum zu finden, wird hier sicherlich fündig. Gerade diese Kapitel sind für Spieler eine interessante Ergänzung des Grundregelwerks.

Gleich drei Abenteuer sowie ein kleiner Abenteuergenerator sind im „Inkomplettium“ versammelt. Während der Generator leider eher blass bleibt, haben es die Abenteuer allesamt in sich. Sie spielen gekonnt mit Klischees, derbem Humor, abstruser Slapstick und absolut dramatischen Momenten, um eine Melange zu kreieren, die so wohl nur im völlig überdrehten „Protektor“-Setting funktioniert. Erfrischend ist, dass die Autoren wirklich nicht vor dem Breittreten platter Klischees zurückschreckten – von den bierjagenden, Lederhosen tragenden Bayerngeistern, über slawische Spiegelgeister-Spacken bis hin zum verrückten Nerd, der Computerspielfiguren auf die Welt loslässt ist hier alles vertreten. Die Abenteuer weisen dabei eine recht geradlinige Struktur auf, was jedoch im Falle dieses sehr auf Humor-Effekte ausgelegten Subgenres kein Nachteil ist.

Abgerundet wird das „Inkomplettium“ schlussendlich durch einige Kurzgeschichten, die nicht nur ein Wiedersehen mit dem Romanhelden Klaus Holger versprechen, sondern auch andere Protektoren ihren Moment im Rampenlicht gönnen. War ich zunächst skeptisch, da ich von Kurzgeschichten in Rollenspielpublikationen eigentlich eher weniger halte, muss ich hier jedoch nicht nur gute Handarbeit attestieren. Nein, neben der schreiberischen Qualität zeigen diese Geschichten darüber hinaus weitere Möglichkeiten im Setting auf, die Spieler wie Spielleiter aufgreifen und nutzen können.

Layout und Bebilderung sind – wie schon im Regelwerk – bewusst schlicht gehalten. Das „Inkomplettium“ ist gut strukturiert und dank dem Verzicht auf überbordende Layoutspielereien sehr gut lesbar. Korrektorat und Lektorat haben einen guten Job gemacht, sodass ich technisch wiederum nur eine gute Note ausstellen kann.

Fazit: „Protektor – Inkomplettium“ ist eine sehr gute Erweiterung des Grundregelwerks. Mehr noch als die Regeloptionen und neuen Kreaturen werten die unterschiedlichen Beispiele und Settingausreizungen den Band enorm auf. Wer mit dem Humor des „Protektors“ bereits im Vorfeld nichts anfangen konnte, ist hier natürlich auch an der falschen Adresse. Allen Spielern und Spielleitern in diesem speziellen Setting sei das „Inkomplettium“ aber ans Herz gelegt.

Protektor – Inkomplettium
Regel- und Abenteuerband
André Wiesler u. a.
Ulisses Spiele / Janina Wiesler 2018
ISBN: n.a.
192 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 25,00

bei Ulisses-Spiele kaufen