von Kurt Wagner
Die Geschichte beginnt irgendwo in der Einsamkeit von Kanada. Eine blutende, schwer verletzte, aber unbezwingbar grimmige Gestalt schleppt sich durch die Einöde. Es ist Wolverine, auch als Logan bekannt, für viele der namhafteste Streiter der X-Men-Mutantengruppe, aber zugleich viel mehr. Hier ist er vor allem ein einsamer, verbissener Krieger, der gegen einen Jäger kämpft, der nicht von dieser Welt stammt – und mit dem ihm eine lange Vergangenheit verbindet, wie sich im Rahmen der vier Episoden, die dieser Comic hat, weisen wird.
Denn dieser Comic erzählt nicht bloß vom Zusammenstoß zweier brutaler, unfassbar körperlicher Kämpfer, er spannt auch einen weiten, über hundertjährigen Bogen von Wolverines Anfängen bis in die Gegenwart. Schlaglichtartig lernen wir dabei die verschiedenen Leben des Mannes kennen, der immer ein Einzelgänger war – auch wenn er mal in Teams arbeitete – und zugleich nie etwas anderes als den Überlebenskampf kannte. Am Anfang erleben wir einen jungen Mann im Alaska des Jahres 1900. Er arbeitet als Felljäger und bleibt am liebsten für sich. Die Natur und der unmittelbare Kampf Mensch gegen Bestie bestimmen sein Leben. Mit Leuten, die ihm dumm kommen, macht er kurzen Prozess. Da taucht der Predator auf, erkennt in ihm eine lohnenswerte Beute – und der Kampf beginnt.
Dieser wird sich über Jahrzehnte hinziehen. Wir begegnen Wolverine als Black-Ops-Soldat und Mitglied von Team X im Urwald von Südamerika – ganz klar, dass hier Bildzitate an den Ur-„Predator“-Film mit Arnold Schwarzenegger erinnern dürfen. Wir erleben, wie Wolverine in der Waffe-X-Einrichtung zur perfekten, adamantium-gestählten Kampfmaschine geformt wird. Als Schüler eines japanischen Schwertmeisters darf er zu sich selbst finden und dabei seine Fähigkeiten verfeinern. Schließlich findet er Freunde bei den X-Men unter Professor Xavier. All diese Lebensabschnitte werden immer wieder durch das Auftauchen des Predators unterbrochen, der unbeirrbar Wolverine besiegen will und doch stets auf die ein oder andere Weise den kürzeren zieht – bis in die Gegenwart hinein, die uns die Rahmengeschichte immer wieder präsentiert.
Der Comic hat seine Stärken und er hat seine Schwächen. Ich möchte mit den Schwächen beginnen, das scheint mir eleganter. Zum einen bleibt bei aller krachenden Action die Spannung in gewisser Weise auf der Strecke. Denn wer nicht völlig ahnungslos in diesen Crossover reingeht, der kann sich bereits vor der ersten Seite schon ausmalen, wer dieses Duell wohl gewinnen wird. Wolverine oder der namenlose Predator? Die Antwort auf diese Frage liegt nahe. Zum zweiten übertreibt es Autor Benjamin Percy in meinen Augen mitunter ein wenig. Egal ob Wolverine aus dem Orbit (!) stürzt oder im Zentrum eine Mini-Atombombe (!) steht, das ficht ihn nicht an. Solange ein Rest seines mit Adamantium überzogenen Skeletts übrig bleibt, aktivieren sich seine Selbstheilungskräfte irgendwann und setzen ihn binnen Tagen oder Wochen wieder zusammen. Dinge wie ein Herz, Lungen oder ein Gehirn braucht er offenbar nicht zum Überleben. Damit ist er de facto unsterblich – und das überreizt die Figur dann doch etwas.
Eine echte Handlung darf man übrigens auch nicht erwarten. Aber obwohl das einerseits enttäuschend ist, gleiten wir damit andererseits in den Bereich der Stärken hinüber, denn Percy gelingt es, aus den im Grunde sehr episodischen Clashs der Kampfmaschinen ein Gefühl von Epos herauszukitzeln. Was wir in diesem Comic finden, ist nicht weniger als die Summe von Wolverines Leben, zumindest dem Teil, der sich ganz auf ihn selbst konzentriert. Geradezu philosophisch wird hier über die Jagd und das Gejagtwerden nachgedacht. Wir begegnen einem Einzelgänger, der zugleich einsam ist, einem Mann, dessen Körper und Geist so oft zerschmettert wurde, dass er vor allem seelisch bloß noch ein Flickenteppich aus Gefühlen und Erinnerungen ist. Die einzige Konstante, so scheint es, ist dieser Zweikampf gegen seinen Feind aus dem Weltraum. So sehr sich beide umbringen wollen, so sehr scheinen sie sich auch zu brauchen. Das wird vor allem am Ende noch einmal eindrücklich klar.
Genau wie die Geschichte ist auch die Optik des Comics ein Sammlung aus Stilfragmenten. Nicht weniger als sieben Illustratoren und vier Koloristen haben sich an „Predator versus Wolverine“ ausgetobt. Sie alle liefern, durchaus auf ihre ganz eigene Weise, sehenswerte Bilder ab, was aber auch den mitunter wirklich brachialen Motiven geschuldet ist, die Percy ihnen ins Skript geschrieben hat. Die unzweifelhaft stärksten Bilder zeichnet indes Ken Lashley, der die Gegenwarts-Erzählhandlung illustriert. So gewaltig und gewalttätig habe ich Wolverine selten erlebt.
Eine zweiseitige Bildergalerie mit acht klein abgedruckten Covern schließt den Band ab.
Fazit: Wer eine spannende Handlung sucht, der wird von „Predator versus Wolverine“ enttäuscht werden. Der Comic ist viel zu fragmentarisch, spannt einen zu großen Bogen auf, um in dieser Hinsicht zu fesseln. Was er allerdings bietet, ist ein wirklich intensives, rohes Erlebnis, während sich zwei unfassbar körperliche Krieger einander über epische 120 Jahre hinweg brutale Zweikämpfe liefern, während keiner von beiden imstande ist, den anderen endgültig zu besiegen. Dadurch entsteht nicht zuletzt ein ganz eigenes Lebensporträt des Einzelgängers Wolverine, der in dem Predator scheinbar die einzige Person gefunden hat, die ihm wesensverwandt ist (auch wenn er zwischendurch darüber lästert, dass der sich so auf seine technischen Spielzeuge verlässt). Lesenswert – aber nur dann, wenn man damit zufrieden ist, zu sehen, wie sich zwei schier unbezwingbare, grimmige, willensstarke Männer aufs Maul geben.
Predator versus Wolverine – Ewige Jagd
Comic
Benjamin Percy, Ken Lashley u. a.
Panini Comics 2024
ISBN: 978-3-7416-3837-4
128 S., Softcover, deutsch
Preis: 16,00 EUR
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