Noblemen

Nie war es schöner, nach Prestige zu streben und der Königin auf einem Maskenball die Aufwartung zu machen. In „Noblemen“ geht es für höfische Verhältnisse beinahe schon zu harmlos zu, das Ganze entwickelt sich aber zu einem überaus interessanten Spiel, bei dem die Zeit nur so verfliegt.

von Lars Jeske

Ein neues Schwergewicht erscheint am Strategiehimmel. Es hört auf den Namen „Noblemen“. Während das Cover verspielt wirkt, sieht die Rückseite eher mau aus – wie die ersten Versuche, etwas mit Photoshop zusammenzuzimmern. Aber es kommt auf den Inhalt an. Dieser ist ungeahnt mannigfaltig, pompös und opulent, sodass der Karton fast aus allen Nähten platzt. Karten, Marker (aus 14 Stanzbögen zu befreien), ein kleiner Spielplan, Gebäude aus Holz, Figuren, Pappmünzen. Außer Würfel gibt es eigentlich nix, was es nicht gibt. Und Würfel haben in einem Strategiespiel eh nicht viel zu suchen. Selbst in den Sichtschirmen steckt Liebe zum Detail, bei den Adelstiteln gibt je die weibliche und die männliche Variante. Die Qualität des Materials ist hierbei überzeugend; sowohl Druck als auch Pappendicke gehen in Ordnung, die Optik ist allerdings Geschmackssache (mir sagt sie zu). Wie dem auch sei, man will sofort loszuspielen.

Wie für ein normales Strategiespiel mit Tiefgang üblich, kann der Einstieg jedoch nur über die Spielanleitung geschehen. Überraschenderweise sind es heuer nur 12 Seiten. Die wollen zwar auch erst einmal gelesen werden, doch ist die Sprache verständlich, und es gibt reichlich Bilder und Beispiele für die wenigen, etwas kniffligeren Stellen. Ansonsten ist die Anleitung angenehm knapp und kompakt. Durch die zusätzlichen Hinweiskarten für jeden Spieler und die Informationen auf den Sichtschirmen hat jeder die wichtigsten Regeln immer vor Augen. Ein dickes Plus.

Das Setting hat der Autor Dwight Sullivan ins England des 16. Jahrhunderts gelegt. Die Thronfolge von Elisabeth I. ist ungeklärt, was die 3 bis 5 Spieler auf den Plan ruft. In der Rolle von Angehörigen des Adels wetteifern sie in drei Dekaden um die ausstehende Führungsrolle, denn die Königin wird am Spielende einen Nachfolger bestimmen.

Jeder Baron beginnt mit etwas Geld und einer Burg. In einer an „Carcassonne“ erinnernden Manier hat man die Möglichkeit, das eigene Land zu erweitern. Alternativ kann man unter anderem Gebäude errichten (Burgen, Paläste oder Kapellen), der Kirche Land spenden, Steuern einzutreiben oder neues Land hinzugewinnen. Man weiß oft gar nicht, wo man anfangen soll, denn es gibt viel zu tun. Zwischendurch gibt es pro Dekade zwei Maskenbälle, zu denen es gilt, ausreichend Prestigepunkte vorweisen zu können, um einen besseren Adelstitel (bis hin zum Duke respektive der Duchess) verliehen zu bekommen, der zusätzliche Vergünstigungen gewährt. Ebenso gibt es Sonderpunkte für gut befestigte und sinnvoll strukturierte Landstriche. Gewinner ist, wer final die meisten Siegpunkte errungen hat.

Dies ist zugleich der einzige kleine Kritikpunkt des Spiels. Irgendwie leuchtet es einem nicht ein, dass die Königin lange Wertungsbögen vor sich liegen hat, um anhand derer zu entscheiden, wer ihr nachfolgen soll. Wer darüber hinwegsehen kann, bekommt mit „Noblemen“ ein sehr schönes Siegpunkteeinsackungsoptimierungsspiel mit royalem / mittelalterlichem Flair.

Wann immer man selber an der Reihe ist, kann man immer aus sieben verschiedenen Aktionen wählen. Leider nur eine, wodurch man ähnlich wie bei „Agricola“ nie alles umsetzen kann, was einem vorschwebt. Schließlich muss man Geld, Siegpunkte, Land und Prestige optimieren, um den maximalen Gewinn herauszuziehen. Das Spiel ist dabei nicht komplizierter, als es sein muss. Komplex, aber nicht überfordernd, sodass man selbst als Teilzeitstratege auf seine Kosten kommt. Einmal gespielt, kommt man auch immer wieder schnell rein. Es ist ein Ressourcen- und Zeitmanagement mit geringer Glückskomponente. Diese resultiert aus den Aktionen der Mitspieler und welche Skandalkarten man bekommt.

Laut Packung dauert eine Partie „Noblemen“ etwa 75-120 Minuten. Dies ist erfreulicher Weise nicht deutlich untertrieben. Sogar die Einstiegsrunde dauert nicht viel länger, da ewiges Grübeln eh nicht viel bringt. Eine wirklich falsche Entscheidung gibt es nie. Selbst mehr Zeit für die maximale Spieleranzahl von 5 ist nicht nötig, da hierbei die drei Dekaden in der Regeln sogar etwas schneller ablaufen. Da man dann jedoch noch weniger Zeit für seine Pläne hat, ist es ein etwas anderes Spielgefühl. Der Schwierigkeitsgrad ändert sich jedoch nicht merklich, mehr und anders vorauszuplanen ist jedoch sinnvoll. Kurzum: Es spielt sich in jeder Besetzung genauso gut, kalkulierter agieren muss man bei 5 Spielern, um im richtigen Moment entsprechende Prestigepunkte beisammenzuhaben, die für die Zwischenwertungen wichtig sind.

(Anmerkung: Als zu stark erwies sich jedoch die Skandalkarte „Intrige“, welche es dem Spieler erlaubt, alle drei anstatt nur einer Skandalkarte zu behalten. Denn diese Skandalkarten können die Partie durchaus gravierend beeinflussen und letztlich über Sieg oder Niederlage entscheiden. So man diese Karte durch Zufall selber zieht, stört man sich an „Intrige“ natürlich nicht.)

Zwei herausstechende Merkmale der „Noblemen“ sind die Spielmechanismen und die daraus resultierende Familienfreundlichkeit. Durch die einfachen Regeln und weil jeder die Vorteile der verschiedenen Aktionen immer vor Augen hat, muss man das Regelheft kaum konsultieren. Die verwendeten Spielmechanismen sind überwiegend bekannt (dies wird sogar auf der Verpackung angemerkt) und greifen gut in einander. Es gibt keine „Killerstrategie“, da es mehrere Wege gibt, erfolgreich zu sein. Auf die Mitspieler zu achten hilft hierbei. Ein selten gesehenes Element ist die direkte Möglichkeit der Spieler, die Spieldauer (Länge einer Dekade) durch ihre gewählten Aktionen zu beeinflussen. Wer immer es schafft, die Gunst der Königin zu erlangen, sorgt dafür, dass der Rundenmarker nach seinem Zug weiter in Richtung Wertung (Ende der aktuellen Dekade) gezogen wird. Bleibt hingegen die Königin bei einem Spieler stehen, so hat jeder mehr Zeit für seine Pläne. Was immer einem gerade mehr hilft.

Für die Komplexität des Spiels und angesichts der Thematik ist das Spiel überraschend familienfreundlich. Jeder Spieler optimiert vor sich hin, und es gibt wenige direkte Konflikte bezüglich Ressourcen oder Ähnlichem. Die Interaktion ist relativ gering, da man vorrangig mit dem Aufbau seines Gebietes beschäftigt ist. Wer ein Spiel ähnlich „Junta“ erwartet, wird als Spielernatur somit nicht bedient. Durch die sieben Optionen, die man jeweils hat, sollte man sich entweder frühzeitig für eine Strategie entscheiden oder clever genug sein, opportunistisch zu agieren. Als Einstiegsalter halte ich hierbei 14 Jahre für angemessen (auf der Packung steht ab 12), um Chancengleichheit mit älteren Mitspielern zu wahren. Unter Gleichaltrigen mag es auch für Jüngere funktionieren. Etwas Geduld sollte man jedoch mitbringen und einfach während der Züge der anderen selber weiterplanen.
 
Fazit: Preislich und von der Materialfülle bewegen sich die „Noblemen“ – nomen est omen – im oberen Segment. Wen das nicht abschreckt, der bekommt dafür jedoch einen überaus angemessenen Gegenwert: eine reichhaltige Ausstattung für ein gut funktionierendes Strategiespiel, welches kurzweilig und für das Genre sehr familienfreundlich ist. Bei einer Spieldauer von gut 2 Stunden werden Optimierer ihren Spaß haben, egal oder 3, 4 oder 5 Spieler mit dabei sind. Hervorragend für Vielspieler, Gelegenheitspieler sollten jedoch auch einen Blick riskieren.


Noblemen
Brettspiel für 3 bis 5 Spieler
Dwight Sullivan
Pegasus Spiele 2012
EAN: 4-250231-738005
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 49,95

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