Microscope

„Microscope“ ist ein klassisches Erzählspiel. Doch während viele Erzählspiele den Fokus möglichst eng setzen, will „Microscope“ ganze Zeitalter spielerisch erlebbar machen und universell einsetzbar sein. Eine große Zielsetzung, deren Umsetzung wir uns nun einmal ansehen wollen.

von Jens Krohnen

Erzählspiele erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Die Möglichkeit, bestimmte Situationen mit maßgeschneiderten Regeln zu bespielen, reizt nicht zuletzt all jene Rollenspielenden, denen für längere Kampagnen schlicht die Zeit fehlt. Doch auch wer in einer langfristigen Kampagne steckt, genießt sicher einmal die Abwechslung, die ein Erzählspiel bietet. Nicht zuletzt dank der Spiele, die in der „Kleinen Reihe“ des System-Matters-Verlages erscheinen, ist auch bereits eine breite Palette unterschiedlicher Systeme erschienen. Ihnen gemein ist oft ein enger Fokus und Regeln, die auf eine bestimmte Spielsituation abgestimmt sind.

„Microscope“, lokalisiert vom Uhrwerk-Verlag, geht wiederum völlig andere Wege. Mit „Microscope“ können und sollen Spielende weite Geschichtsabschnitte erforschen können. Zu Beginn des Spiels legen die Spielenden gemeinsam den Start- und Endpunkt des zu erforschenden Zeitraums fest. Ein guter Startpunkt könnte vielleicht „Die Menschheit greift nach den Sternen“, ein Endpunkt „Das Sternen-Imperium der Menschheit zerbricht in tausende kleine Reiche“ sein. Innerhalb dieser Endpunkte fügen die Spielenden Details ein. Dies geschieht, indem abwechselnd Zeiträume, Ereignisse und Szenen in das Spiel eingebracht werden. Dabei steigt der Detailgrad immer weiter an und innerhalb einer Szene übernehmen die Spielenden sogar die Rolle von einzelnen Charakteren, die an der Szene teilhaben. Der besondere Clou: Niemand ist an eine zeitliche Abfolge gebunden. So können immer mehr Details eines Zeitabschnittes erforscht werden, obschon das Ende der Geschichte durch spätere Ereignisse möglicherweise bereits feststeht.

„Microscope“ eignet sich damit mehr als viele andere Erzählspiele als Ergänzung zu klassischen Rollenspielsystemen. Über die einfachen Mechanismen von „Microscope“ lässt sich beispielsweise kollaborativ eine Spielwelt für die nächste, eigene Kampagne erstellen und mit reichlich historischem Leben füllen. Die Charaktere könnten dann an einer Stelle in das Spiel einsteigen, die noch nicht festgeschrieben wurde und die weitere Geschichte ganz klassisch gestalten.

Mehr noch als andere Erzählspiele eignet sich „Microscope“ auch für Spielgruppen, in denen nicht alle gleich erzählfreudig sind. Durch die klare Strukturierung der Möglichkeiten des jeweiligen Spielenden wird jeder gleichermaßen eingebunden. Außerdem ist jede geäußerte Idee für die anderen Mitspielenden bindend. So werden keine Diskussionen über einzelne Details zugelassen; stattdessen sollen die Ideen der anderen Mitspielenden eingebunden werden und inspirierend wirken.

Während das Spiel selbst mit großer Flexibilität und variablen Einsatzmöglichkeiten glänzt, so hat mir die Aufbereitung des Regelwerks leider überhaupt nicht zugesagt. Das eigentliche Regelsystem wird auf knapp zehn Seiten umrissen. Da es kaum ernsthafte Zufalls- oder andere Spielmechanismen gibt, die über ein paar Erzählregeln hinausgehen, ist das auch wenig verwunderlich. Der Rest des 80-seitigen Regelwerks ergeht sich dann in detaillierten Beschreibungen einzelner Erzählschritte. Das wirkt ermüdend und zäh. Zusätzlich erschwert wird die Lektüre durch eine kleine Schriftart – das im A5-Format gehaltene Büchlein wirkt, als hätte man es für ein größeres Format layoutet und dann einfach geschrumpft. Dazu kommt, dass keine einzige Illustration den Weg in das Buch gefunden hat. Das wirkt wenig inspirierend. Nicht zuletzt die eingangs erwähnte „Kleine Reihe“ hat in der optischen und inhaltlichen Aufbereitung von regelleichten Erzählspielen Maßstäbe gesetzt, die „Microscope“ nicht erfüllen kann.

Fazit: „Microscope“ enthält leichtgängige, interessante Erzählspielregeln, um gemeinsam eine große Geschichte zu erforschen. Die Aufbereitung des Ganzen erhält von mir deutliche Abzüge in der B-Note, das Spielkonzept selbst ist jedoch interessant und bietet spannende Möglichkeiten.

Microscope
Grundregelwerk
Ben Robbins, Friederike Bold
Uhrwerk Verlag 2020
ISBN: 978-3958672079
80 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 17,95

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