Merchant of Venus

Fantasy Flight Games ist der absolute Platzhirsch im Bereich der Genre-Brettspiele. Wer es fantastisch liebt, wird in den letzten Jahren kaum an Spielen wie „Descent: Journeys in the Dark“, „Runebound“ oder „Mansions of Madness“ vorbeigekommen sein. Doch FFG ist auch ein Meister des Überarbeitens und Neuveröffentlichens alter Spielkonzepte. „Talisman“, „Cosmic Encounter“ oder „Arkham Horror“ – so manche Spieleperle vergangener Jahrzehnte hat hier erneut das Licht der Welt erblickt. So jetzt auch „Merchant of Venus“, das auf Deutsch beim Heidelberger Spieleverlag erschienen ist.

von Frank Stein

„Merchant of Venus“ wurde erstmals 1988 von Avalon Hill veröffentlicht. Es wurde von Richard Hamblen entwickelt und dreht sich um einen zu Beginn unerschlossenen Teil des Weltraums, der von den Spielern, die jeweils einen Händler mit einem eigenen Raumschiff übernehmen, erforscht werden will, damit man dort schließlich möglichst gewinnbringend Handel treiben kann. Der Planet Venus spielt übrigens keine Rolle in dem Spiel. Der Titel ist eine Anspielung auf das Shakespeare-Stück „Merchant of Venice“.

Eine interessante Eigenheit der vorliegenden Neuausgabe: FFG hat hier – in Kooperation mit Stronghold Games – nicht nur eine neue Interpretation des klassischen Spiels vorgelegt, sondern das klassische Spiel gleich mit in den Karton gepackt. Es gibt einen doppelseitigen Spielplan, zwei Regelheft und Spielmaterialien für beide Varianten. Das nenne ich eine tolle Idee! So können Veteranen die guten alten 80er heraufbeschwören (und das im absolut schicken neuen Look); gleichzeitig bietet das „Standardspiel“ alles, was man von modernem Genre-Game-Design erwartet.

Im Folgenden soll primär das „Standardspiel“ vorgestellt werden.

Zu Beginn …

Vor der ersten Partie sind einige Hürden zu überwinden. Zum einen ist die eindrucksvolle Box wirklich voller Pappmarker, die ausgestanzt und sortiert werden wollen. Der kluge Besitzer von „Merchant of Venus“ macht das alles, bevor er Freunde zum Spielenachmittag einlädt. Dabei lässt sich bereits die FFG-typische Qualität bewundern. Spielbrett, Karten und Spielmarker sind farbenfroh, gut verarbeitet und weisen tolle Illustrationen auf, die ein stimmungsvolles Spiel unterstützen. Hier kann man – wie fast immer in den letzten Jahren – nur die Bestnote vergeben, wenngleich so ein fertig aufgebautes Spiel gerade Casual Gamer ein wenig in Angst versetzen mag.

Danach gilt es, eine 36-Seiten lange Regelbroschüre durchzuarbeiten, wobei man zur Verteidigung des Spiels sagen muss, dass FFG/Heidelberger auf sehr luftiges Layout setzen und die Mechanismen mit vielen Beispielen verdeutlichen. Dazu kommen die Vorstellung des Spielmaterials und ein paar Anhänge, sodass die Regeln selbst bloß etwa 20 Seiten ausmachen (alle Beispiele rausgerechnet nur etwa 12). Die Grundprinzipien sind dabei erfreulich leicht zu verinnerlichen. Allerdings warten einige Detailregeln auf die Spieler, die während der ersten Partien regelmäßig nachgeschlagen werden müssen (etwa: Wie war das noch mal mit dem Abbau von Asteroiden? Wann darf ich eine Raumstation bauen? Welche Folgen haben die unterschiedlichen Arten, Piraten zu bezwingen?). Hier wäre eine Schnellübersicht eine tolle Sache. (Wer des Englischen mächtig ist, findet eine von Fans erstellte im Internet: www.orderofgamers.com/downloads/MerchantofVenus_v1.pdf)

„Erwerbsregeln“

Das „Standardspiel“ wird reihum in 30 Runden gespielt. Wer am Ende die meisten Credits hat, gewinnt. Credits bekommt man durch den Verkauf von Waren, den Transport von Passagieren, das Schürfen auf Asteroiden, den Bau von Raumstationen oder das Sammeln von „Ruhm“ – selbiger wird in der Endwertung im Verhältnis 1:10 (bzw. 1:20) vergoldet. Man kann das Spiel ebenso solo wie in der Gruppe (bis zu 4 Personen) spielen. Letzten Endes bleibt die Herausforderung die Gleiche. Bloß dass die Konkurrenz im Universum größer ist, wenn mehrere Händler gleichzeitig aussichtsreiche Handelsrouten erschließen wollen. (Den direkten Kampf Spieler gegen Spieler gibt es nicht.)

Jeder Zug eines Spielers ist in vier Phasen aufgeteilt: Bewegungsphase, Erstkontaktphase, Geschäftsphase und Händler-Raumhafenphase. In der Bewegungsphase fliegt man mit seinem Frachter meist ein neues Ziel an. Plant man größere Handelsaktionen, muss man eine Runde an einem Ort bleiben, denn nur dann darf man unbegrenzt kaufen und verkaufen. Ist man eben erst auf einer Welt gelandet, ist man auf eine Kauf- und eine Verkaufaktion begrenzt. Die Bewegungsphase verläuft über fixe Raumrouten, die in einzelne Mini-Etappen aufgeteilt sind. Mithilfe von Bewegungspunkten, die man mit drei Würfeln ermittelt hat, kann man entlang dieser Routen durchs All düsen. Dabei warten je nach Route mehr oder weniger Hindernisse auf einen, etwa Begegnungsfelder, Teleportfelder, „Prüfungen“ der Pilotenfähigkeit, der Laser und der Schilde und mehr. Da viele dieser Felder einen stoppen können, wenn man nicht hinreichend ausgerüstet und geübt ist, muss man genau abwägen, ob man nicht lieber einen Umweg in Kauf nimmt.

Erreicht man einen der vierzehn Planeten (oder die zentrale Raumstation, an der das Spiel beginnt), kommt es möglicherweise zum Erstkontakt. Denn – das ist eine schöne Eigenheit von „Merchant of Venus“ – mit jeder Partie werden die vierzehn handelnden Kulturen verdeckt neu über das Spielbrett verteilt, sodass man nie genau weiß, wer nun wo lebt. Da jedes Volk nur mit den vier Völkern Handel treibt, die zahlenmäßig nach ihm kommen (Volk 7 – die Shenna – also mit 8, 9, 10 und 11), ist jede Partie anders. Optimale Routen kann man erst während des Spiels herausfinden. Landet ein Händler zum ersten Mal auf einem Planeten, wird die darauf liegende Erstkontaktkarte umgedreht und die Kultur enthüllt, die dort wohnt. Damit kommt ihr Markt ins Spiel. Außerdem bietet jede Kultur eine spezielle Rassentechnologie, mit der sich das eigene Raumschiff aufmotzen lässt, und zwei der vier Standardtechnologieaufwertungen Laser, Schild, Antrieb oder Frachtraum. Der Spieler, der den Erstkontakt herbeigeführt hat, erhält zusätzlich einen Creditbonus für dieses Volk.

In der Geschäftsphase wird dann mit Waren gehandelt. Es existieren drei Güteklassen an Waren – Bronze, Silber und Gold –, die unterschiedlich viel Gewinn abwerfen, und jede Kultur handelt, wie schon erwähnt, nur mit vier anderen, sodass man nicht überall seine Güter losschlagen kann. Weitere Dynamik wird durch den Marktfluss ins Spiel gebracht. Auf jedem Planeten liegen in einem Stapel drei Marktmarker, die zeigen, ob gegenwärtig gute, mittelmäßige oder miese Verkaufsbedingungen herrschen. Nach jeder Runde, während der Güter auf besagtem Markt verkauft wurden, wird das oberste Plättchen durch das Folgende ersetzt und die Bedingungen ändern sich. Parallel dazu können zahlende Passagiere, von denen alle zwei Spielrunden ein neuer zufällig auf dem Spielbrett auftaucht, abgeladen werden, sofern man den Zielplanet, der auf ihrem Marker aufgedruckt ist, erreicht hat.

Die Händler-Raumhafenphase ist vor allem bei Viererpartien interessant. Im Prinzip kann man, wenn man in der Runde keine Kaufaktionen durchgeführt hat, in dieser Phase eine Raumstation im Orbit bauen, wodurch man sich nicht nur den Anflug zur Oberflächenstadt erspart, sondern auch 10 Credits für jede Kauf- oder Verkaufsaktion einkassieren darf, entweder vom Handel treibenden Mitspieler oder – wenn man selbst aktiv ist – von der Bank. Ob man jedoch auf den Wareneinkauf verzichten möchte, nur um an einem von wirklich vielen möglichen Handelsplätzen im All eine Raumstation hinzusetzen, muss man sich gut überlegen. (Immerhin zählen Raumstationen in der Endwertung auch als Vermögen, sodass man zumindest keinen finanziellen Verlust mit ihrem Bau macht.)

So werden 30 Runden lang (oder nach Wunsch auch länger; das Spiel kennt hier keine Grenzen) Kulturen entdeckt, Waren gehandelt, Passagiere transportiert, Piraten bekämpft und das eigene Raumschiff aufgerüstet, bis es am Ende zur Wertung kommt und der Frage, wer am erfolgreichsten den Raumsektor für sich erschlossen hat. Für zusätzliche Abwechslung sorgen außerdem Auftragskarten, die einen quer über den Spielplan jagen und nach erfolgreicher Abwicklung als Belohung oft Boni für das eigene Schiff oder gewisse Handelsaktionen einbringen.

Das meint der Handelsminister

„Merchant of Venus“ ist im Wesentlichen ein Warentransportspiel, bei dem die Spieler nebeneinander her agieren. Stören kann man sich bestenfalls über Ereigniskarten oder wenn man sich Strategien ausknobelt, um den Handel seiner Gegner zu behindern. Es gibt aber keinen offenen Schlagabtausch und im Grunde sorgt man sich eher um die Herausforderungen des Spielbretts, als um seine Gegner, was vor allem Spieler freut, die es nicht ganz so kompetitiv mögen. Trotz des Nebeneinanderspiels, das die Spieldauer pro Mitspieler um 60-90 Minuten anhebt, hält sich die Downtime dennoch in Grenzen. Die einzelnen Züge gehen durchaus recht schnell vonstatten – man spielt eben nur relativ viele Runden pro Partie.

Durch die immer anders verteilten Kulturen auf dem Spielbrett ist für gewisse Abwechslung gesorgt. Dennoch gibt es natürlich generelle Siegstrategien, die man nach zwei Runden raus hat. Ein Schiff muss schnell sein, starke Schilde haben und einen guten Piloten. V.a. die Rassentechnologien „Variabler Schild“ und „Variabler Laser“ bieten einen enormen Bonus, um nicht ständig an Piraten oder Gefahrenfeldern hängen zu bleiben. Erst wenn man so weit ist, kann man im letzten Drittel einer Partie richtig effektiven Handel treiben.

Die Solo-Variante des Standardspiels bietet fast den gleichen Spielspaß, hat allerdings noch ein paar Macken. So wird im Regelheft nicht geklärt, wie mit Navigationsfeldern umzugehen ist, wenn man keinen Navigationswürfel zuweisen will oder kann (im Standardspiel entscheidet dann ein Gegner, auf welche Route einen dieses „Irrfeld“ schleudert). Außerdem sind etliche Begegnungskarten unbrauchbar, weil sie einen anderen Spieler voraussetzen. Und schließlich fehlt im Regelheft ein ganzer Absatz zu den Herausforderungskarten, die eine Partie für Solo-Spieler kniffliger machen sollen. Glück für den Spieler, denn der Passus macht besagte Karten noch um einiges härter!

Fazit: „Merchant of Venus“ ist ein Klassiker, der auch in der neuen Version Laune macht. Schön, dass es mal nicht um Krieg und Eroberung geht – na gut, auch ein Handelswettstreit ist kein Sitzkreis mit Gitarre. Das Spielmaterial ist hervorragend, die deutschen Regeln haben noch ein paar winzige Macken, die hoffentlich bald mit einem Errata-Dokument behoben werden. Ein gewisses Manko – für mache – ist die lange Spieldauer. „Merchant of Venus“ zockt man am besten an einem langen Samstagnachmittag. Denn unter fünf Stunden wird man mit vier Spielern kaum durchkommen. Das ist bei 30 Spielrunden nicht machbar. Und eigentlich bietet es sich fast an, 40 oder 50 Runden zu spielen, um die Mechanismen so richtig auszureizen. Aber beim Brettspielen ist ja ohnehin der Weg das Ziel! Eine weitere Hürde sind sicher die vielen Regeln. Casual Gamer dürfte das eher abschrecken. FFG-gestählte Veteranen freuen sich allerdings über das atmosphärische Spiel, das sich daraus ergibt. Man bräuchte nicht unbedingt die Optionen, auf Asteroiden zu schürfen, Raumstationen zu bauen oder auf dreierlei Arten gegen Piraten zu kämpfen. Aber es ist schön, wenn man sie hat! Daher unterm Strich: Für Freunde epischer Weltraumspiele, die sich nicht darum drehen, gegnerische Armeen zu zermalmen, ein echter Leckerbissen. Und für den Umstand, dass FFG und Stronghold Games die „klassische“ Variante von Richard Hamblen dem Karton mit beigelegt haben, gibt es noch ein paar Bonuspunkte.


Merchant of Venus
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler
Richard Hamblen, Rob Kouba
Fantasy Flight Games/Heidelberger Spieleverlag 2014
EAN: 4015566012844
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 69,95

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