von Michael Wilhelm
Der 160 Seiten starke Abenteuerband kommt im üblichen schicken Hardcover-Format mit Lesebändchen daher. Diese Qualität sind wir von Pegasus Spiele und der deutschen „Cthulhu“-Ausgabe gewohnt. Wie üblich beginnt der Band mit einem Regelteil, der auf 17 Seiten alle relevanten Regeln zum Thema Natur- und menschengemachte Katastrophen bietet.
Neben einer Reihe an Beispielen zum Thema Katastrophen, wie dem Untergang Pompejis, dem Ausbruch des Krakatau 1883 oder dem großen Erdbeben von San Francisco 1906, werden auch Regeln für Schaden, durch Katastrophen veränderte Bewegungsweiten oder verursachter Stabilitätsverlust zur Verfügung gestellt.
Anschließend widmet sich der Band fünf vorgefertigten Abenteuern, die jeweils zwischen ein und drei Spielabende dauern sollten.
Das umfangreichste Szenario ist „Der Ruf des Legrasse“, das in einem überfluteten New Orleans spielt. Neben den Überschwemmungen spielen natürlich auch wasseraffine Kreaturen des Mythos eine wesentliche Rolle. Im Auftrag der Polizei suchen die Investigator*innen nach dem verschwundenen Inspektor Legrasse, bekannt aus Lovecrafts genredefinierender Geschichte „Der Ruf des Cthulhu“. Dieser, immer noch im Besitz der mysteriösen Statue, die er vor über 20 Jahren gefunden hatte, suchte in den Sümpfen um New Orleans nach den Voodoo-Kultisten, die inzwischen wieder ihr Unwesen trieben. Auf seinen Spuren unterwegs, besuchen die Investigator*innen Schauplätze in und um New Orleans. Sie begegnen einem verrückten Professor und müssen sich vor Alligatoren und Tiefen Wesen in Acht nehmen. Immer wieder gibt es Vorboten des kommenden Unheils. Die Geschichte nimmt eine dramatische Wendung, als die Flut die Stadt in den Griff nimmt. Schließlich geht es bei der Flucht aus der verlorenen Stadt nur noch ums nackte Überleben. „Der Ruf des Legrasse“ kann als mehrere Abende füllender One-Shot gespielt werden oder als Auftakt für eine epische Kampagne genutzt werden, in deren Zentrum der Große Alte schlechthin die Hauptrolle spielen könnte.
„Unter Tage“ spielt dann in deutschen Landen, um genau zu sein in Ludwigshafen. Den Hintergrund bildet die Explosion des Oppauer Stickstoffwerks von 1921. Bei dem größten Chemieunfall der deutschen Geschichte starben damals 559 Menschen. Die 400 Tonnen Ammoniumsulfatnitrat, die dabei explodierten, führten noch in 75 km Entfernung zu Schäden an Gebäuden. Als ob das nicht genug wäre, bekommen es die Investigator*innen mit einer mysteriösen Maschine der Älteren Wesen und einem als Bauleiter getarnten Schoggothenlord zu tun. Bald stellt sich heraus, dass explodierender Dünger vielleicht sogar das geringste Problem für alle Beteiligten darstellt.
In „Zuckersüßer Tod“ geht es ins Hafen- und Industriegebiet von Boston. Liest man sich die Berichte über die Melassekatastrophe von Boston 1919 durch, muss man fast schmunzeln, auch wenn diese wahrscheinlich durch Fahrlässigkeit verursachte Katastrophe neben weitreichenden Zerstörungen 21 Todesopfer forderte. Für das Rollenspiel wurde das Ganze in die 1920er-Jahre verlegt, was bedeutet, dass die Melasse prohibitionsbedingt hier nicht mehr für Rum sondern für die Herstellung von Industriealkahol gedacht war. Hier sind es nicht die Schergen des Mythos, die die Katastrophe auslösen, sondern sie nutzen vielmehr das Chaos, um sich an deren Opfern und damit an leichter Beute zu laben. Neben dem Fotografen und Maler Richard Upton Pickman (bekannt aus „Pickmans Modell“) kann man auch andere ungewöhnliche Verbündete finden, um die von der Katastrophe betroffenen Menschen zu retten und vor den Kreaturen des Mythos zu bewahren.
Das Abenteuer „Todesnebel“ ist in einem Theater in London angesiedelt. Die Investigator*innen sind Mitglieder einer skurril zusammengewürfelten Theater-Truppe um den geheimnisvollen James Trevelyan. Auch dieser ist ein alter Bekannter für Freunde klassischer Literatur, wenn auch nicht von H. P. Lovecraft ersonnen, sondern vielmehr aus der Feder von Oscar Wilde. In diesem Kammerspiel sind alle Beteiligten durch einen im wahrsten Sinne tödlichen Nebel im Theater eingeschlossen, während das Ensemble schrittweise dezimiert wird. Aufgabe ist es, nicht nur den Mörder zu finden, sondern auch nicht selbst zum Opfer zu werden.
„Feuer & Asche“ schließlich spielt in Kalifornien, wo ein Waldbrand wütet. Ausgelöst dieses Mal von leichtsinnigen Teenagern, die ein wenig zu forsch mit alten Folianten und Ritualzaubern herumpfuschten, um dann selbst zu den ersten Opfern von Kreaturen aus einer anderen Welt zu werden. Beiden Problemen gilt es Herr zu werden.
Alle dieser Abenteuer spielen in der klassischen „Cthulhu“-Periode, den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Bei den letzten vier Abenteuern sollte es kein Problem sein, sie auch an anderen Orten anzusiedeln. Bei „Der Ruf des Legrasse“ dürfte es etwas aufwändiger sein, aber dennoch möglich.
Neben den ausführlichen Beschreibungen des Settings, Spielwerten für Verbündete und Antagonisten und stimmungsvollen Illustrationen sowie Plänen und Karten, wird zu jedem Abenteuer auch eine Reihe an hübsch gestalteten Handouts als Kopiervorlage mitgeliefert.
Fazit: Mit „Katastrophen“ legt die Cthulhu-Redaktion einen Band in gewohnt hoher Qualität vor. Der Regelteil regt die Fantasie für weitere Abenteuer mit und ohne Mythos-Bezug an. Warum soll man nicht auch mal die Investigator*innen im Unklaren lassen, ob neben Sturm, Nebel oder einer Brandkatastrophe der Mythos überhaupt eine Rolle spielt? Die fünf vorgefertigten Abenteuer sind ohne viel zusätzliche Vorbereitung als One-Shots spielbar oder teilweise auch in eine laufende Kampagne einzubauen.
Katastrophen
Abenteuerband
Heiko Gill, René Feldfoß, Frank Heller u. a.
Pegasus Spiele 2024
ISBN: 978-3-9692-8129-1
Sprache: Deutsch
Preis: 29,95 EUR
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