Jenseits der Zeit (Trisolaris Trilogie 3)

Ein Buch mit mehr als 960 Seiten! Da liegt die Frage vor uns, ob auf ihnen die spannenden Entwicklungen der Menschheitsgeschichte im Vordergrund stehen oder doch eher die studienhaften Berichte und ziellos anmutenden Episoden des zweiten Teils. Doch eigentlich gibt es hier nichts zu fragen. Die ersten Bände waren faszinierend genug, nicht lange darüber nachzudenken und einfach loszulesen.

von KaiM

Auch im letzten Teil seiner Trilogie stellt Cixin Liu unter Beweis, dass man Science Fiction auch im 21. Jahrhundert noch neu denken kann. Die Handlung setzt dort an, wo der zweite Band beendet wurde, und somit geht es weiter um nichts Geringeres als das Schicksal der Menschheit. Das Wandschauerprogramm ist Geschichte und der Erde wird klar, dass es kaum etwas gibt, was sie gegen außerirdische Mächte tun kann. Allein der Schwerthalter und das Wissen um den dunklen Wald kann die Bedrohung durch die Trisolarianer dämpfen. Doch keine Abschreckung hält ewig. Die Ereignisse überschlagen sich, und die Menschheit muss erneut durch eine tiefe Krise, bis sie schließlich wieder zu neuer Stärke findet.

Doch das ist bei Weitem nicht alles, denn dieser Roman geht weiter, viel weiter, wie man schon zu Beginn des Buches in der Übersicht der Zeitalter sehen kann. Das Zeitalter der Bunker beginnt mit dem Jahr 2333 und endet etwa 70 Jahre später im Jahr 2400, was ja noch recht nah dran erscheint. Aber die Kryotechnik erlaubt es der zentralen Figur des dritten Bandes, der Raumfahrtingenieurin Cheng Xin, noch weiter zu reisen und sogar das Zeitalter der Schwarzen Domäne der Galaxie DX3906 zu erleben, welches um 2687 beginnt. Verwirrend scheint das, gemessen an der Zeitskala, recht exakte Ende dieses Zeitalters im Jahr 18.906.416. Bis zu diesem Zeitalter und noch weiter hinaus begleiten wir einige Figuren, die wir aus den ersten Bänden noch nicht kennen, aber zumindest Luo Ji trägt noch etwas zur Handlung des großen Finales bei und unterstreicht dabei seine tragende Rolle in der Geschichte, die schließlich auf Seite 965 des dritten Bandes ihr Ende findet.

Kritik

Immer wieder geht Cixin Liu auf wichtige Fragen ein, die die Menschheit schon seit Urzeiten bewegen. Was motiviert uns, was gibt uns Hoffnung, was gibt uns Antrieb, wohin führt das alles und woher kommen wir?

In einem Moment gibt er einer einzelnen Person das Schicksal aller Menschen in die Hand, lässt sie eine Entscheidung treffen, die niemals ein einzelner Mensch treffen sollte, und erzeugt damit viele moralische, aber auch strategische Fragen, die auch er nicht wirklich zu beantworten versucht. Im nächsten Moment schickt er Menschen ins All, die sich für die letzten Überlebenden der Menschheit halten und mit ihren begrenzten Mitteln in einer wahrlich tödlichen Umgebung haushalten müssen.

In diesem Kontext zeigt er, wie romantisiert das All in den meisten Sci-Fi-Romanen dargestellt wird und wie schrecklich die Realität hingegen ist, wenn man unsere aktuellen und selbst zukünftigen technischen Mittel ins Verhältnis setzt. Dieses Wissen und wie es auf die Überlebenden wirkt, zeigt er eindrucksvoll auf seine ganz spezielle Art und Weise aus einer gesamtheitlichen Sicht, ohne einzelne Charaktere dabei zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken.

Schließlich widmet er sich noch dem Punkt, auf den er von Seite eins des ersten Romans an hingearbeitet hat: Welche Zukunft hat die Menschheit in diesem Universum?

Insgesamt gefallen mir alle drei Bände der Trilogie ähnlich gut, obwohl sie alle ihre Stärken und Schwächen haben. Allerdings finden sich hier wieder Passagen, die mich nicht sonderlich gefesselt haben. Sei es an den vielen Stellen, wo der Autor verschiedene Entscheidungsoptionen diskutiert oder auch eine lange Phase im letzten Teil des Romans, wo der Text der Dramatik des Moments allein deswegen nicht gerecht wird, weil die Beschreibung dann doch zu lang und ausufernd wirkt. Davon abgesehen werden hier viele Aspekte unseres Lebens und unserer Zukunft beleuchtet und hinterfragt, wobei Gesellschaft, Moral und Physik wieder viel deutlicher im Vordergrund stehen, als die Charaktere.

Dies allein zeigt schon, mit welcher Bandbreite an Themen sich der Autor beschäftigt hat und welche Last er sich selbst auferlegt hat, all diese Themen in nur einem Roman ausführlich zu diskutieren. Immer wieder werden Regierungen, Gruppen oder einzelne Personen vor schwerwiegende Probleme gestellt, wobei die Einordnung der Entscheidungen zumeist dem Leser oder der Leserin überlassen wird. Gemeinsam mit den ersten beiden Teilen der Reihe bildet dieses Werk einen außergewöhnlichen Zyklus, der nicht umsonst so viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Es bleibt zu hoffen, dass die Netflix-Serie es schafft, Interesse an den Romanen zu wecken, denn es ist kaum vorstellbar, dass man bei der Verfilmung die Intention verfolgt, all diese Fragen zu stellen, die der Roman aufgegriffen hat.

Fazit: Dieses Buch bringt einen epischen, wenn auch nicht immer ganz einfachen Sci-Fi-Zyklus zu einem beinahe allumfassenden Ende, das sich über alle Bände konsequent entwickelt hat. Großartige Fragen, glaubhafte Physik und eine Zukunftsvision mit fast unendlichen Ausmaßen.

Jenseits der Zeit
Science-Fiction-Roman
Cixin Liu
Heyne 2019
ISBN: 978-3-453-31766-6
990 S., Paperback, deutsch
Preis: 17,99 EUR
        
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