Im Elfenbeinturm

Dank Neugier und Erfindergeist ist die Menschheit weit gekommen und hat die Welt der 1920er Jahre scheinbar mit seiner wissenschaftlichen Expertise im Griff. Ein forschender Geist dringt dabei auch in Zonen vor, die besser unbekannt geblieben wären. Aus diesem Grund sind es in Lovecrafts Erzählungen oftmals Wissenschaftler und Schöngeister, die mit dem Cthulhu-Mythos konfrontiert werden. Wie ging es an den Universitäten der 1920er zu? Welche Besonderheiten haben Akademiker, welche Mittel stehen ihnen zur Verfügung? Und welche Chancen hat ein Investigator aus dem Elfenbeinturm gegen äonenalte Schrecken?

von Oliver Adam

„Im Elfenbeinturm“ ist der dritte Berufeband für „Cthulhu“, der sich gezielt an die Spieler richtet. Er ergänzt das „Investigatoren-Kompendium“ mit ganz neuen Berufen aus der Welt des akademischen Forschens und Wissens und stattet diese mit umfangreichen Hintergründen, Anregungen und Spielmechanismen aus. Wie bei den Vorgängerbänden ist die Aufmachung hochwertig und bietet auf rund 80 Seiten umfangreiches Quellenmaterial.

Das Auftaktkapitel „Im Innern des Elfenbeinturms“ zeichnet eine kurze historische Geschichte der wissenschaftlichen Bestrebungen vom Altertum über die Ära der griechischen Gelehrten und das „finstere Mittelalter“ bis zum modernen Wissenschaftsbetrieb der Zwanziger Jahre. Darüber hinaus werden verschiedene Örtlichkeiten des wissenschaftlichen Wirkens angerissen, die über Universitäten und Forschungslabore hinaus gehen. Abgeschlossen wird das Kapitel von einem Überblick über die Forschungsdisziplinen abseits der ausgetretenen Pfade, wie die Sexualwissenschaft oder Parawissenschaft. Ein Einstiegskapitel, das sehr gut in das Thema einführt und Lust auf mehr macht, auch wenn die Texte gerne noch etwas stärker mit cthuloiden Hintergründen verzahnt sein dürften.

Gerade in den 1920ern Jahren sind die Gepflogenheiten der akademischen Welt noch deutlich getrennter vom normalen Leben als heute. Daher spielt sich ein Investigator aus dem Elfenbeinturm etwas anders als beispielsweise ein harter Privatdetektiv oder ein okkulter Mystiker. Das Kapitel „Forscher unter sich“ beleuchtet die Besonderheiten von Investigatoren aus dem Forschungsmilieu und gibt zahlreiche Anregungen für eine gelungene Verkörperung dieser Personen von optischen Merkmalen wie Kleidungsstil, Manieren und Sprachgebrauch (inklusive einer spannenden Tabelle zum „Technobabbel“) über geistige Grundhaltungen und Herangehensweisen bei Problemen, bis hin zu Freizeitaktivitäten. Das Kapitel wird durch einen tabellenbasierten Generator abgeschlossen, mit dem man universitäre Investigatoren schnell erstellen kann, der aber auch dem Spielleiter ein schnelles Tool an die Hand gibt, spannende Nichtspielercharaktere aus dem Ärmel zu schütteln.

Als hochintelligenter oder zumindest gebildeter Mensch stehen einem Investigator einige Möglichkeiten zur Verfügung, die den Schrecken des Mythos entgegengestellt werden können. Dies schlägt sich in optionalen Regeln nieder, die im Kapitel „Wahrer Erfindergeist“ eingeführt werden. Durch den klaren Verstand des Akademikers kann dieser beispielsweise den Schrecken des Übernatürlichen durch Rationalisierung besser widerstehen und kann bei einer geistigen Umnachtung (mit einer gelungenen Probe) weiterhin handlungsfähig sein. Sehr spannend finde ich auch den Ansatz „Meister der Improvisation“, der die schnelle Improvisation unter widrigen Bedingungen und die damit verbundenen überraschenden Lösungen für kritische Situationen umschreibt. Im Text wird dies „MacGyvern“ genannt und mit den Fertigkeiten „Elektrische Reparaturen“ und „Mechanische Reparaturen“ verknüpft. Abgerundet wird das Kapitel durch exemplarische Pakete für erfahrene Akademiker, aus denen sich die Spieler bedienen können. Hier finden sich beispielsweise Rahmenbedingungen für schrullige, verrückte, praktische und unorthodoxe Wissenschaftler.

Der Band wird von einem umfangreichen Kapitel neuer Professionen im Elfenbeinturm abgeschlossen, die jene im „Investigatoren-Kompendium“ ergänzen und abrunden. Wer schon immer einen Archivar, Dekan oder begabten Hausmeister spielen wollte, findet hier die Regeln dazu.

Fazit: „Im Elfenbeinturm“ ist ein Berufeband für „Cthulhu“, der die Welt des akademischen Forschens und Wissens in den Fokus stellt. Das Thema wird sehr gut für „Cthulhu“ aufbereitet und bietet umfassende Informationen und Anregungen für Investigatoren aus dem forschenden Milieu. Insbesondere die neuen Berufs-Optionen, die soft facts zu universitären Gepflogenheiten sowie die Zusatzregeln zur Improvisation machen den Band zu einer empfehlenswerten Anschaffung, wenn Investigatoren oder Nichtspielercharaktere aus dem wissenschaftlichen Umfeld eine bedeutende Rolle in der „Cthulhu“-Runde spielen.

Im Elfenbeinturm

Quellenbuch
Carsten Pohl, René Feldvoß, Stefan Franck
Pegasus Press 2019
ISBN: 9783957892959
80 S., Softcover, deutsch
Preis: 9,95 Euro

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