Helden müssen draußen bleiben

Als „Dungeon Keeper“ vor 26 Jahren erschien, schaffte es mit seinem Humor und der Rollenumkehr von Helden und Verliesbewohnern die Computerspielewelt zu begeistern. Der englische Titel „Keep the Heroes Out“ führt sofort zu Assoziationen und fördert Erwartungen. Also: Auf die Helden – Fertig – Los!

von KaiM

„Eigentlich ist ja gar nichts gegen Helden einzuwenden. Niemand hat etwas dagegen, wenn sie durch die Gegend ziehen und unschuldige Menschen gegen richtig fiese Typen verteidigen. Es kann eigentlich auch niemand was dagegen sagen, wenn sie dabei ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und irgendwelchen Unholden die Goldmünzen abnehmen. Held sein ist mit Sicherheit ein teures Geschäft und wir wissen alle, dass die Kopfgelder, die gezahlt werden, nur knapp über dem Mindestlohn liegen, wenn man nicht gerade Waldem…dings anschleppt. Nichts gegen Schmiede, aber es ist schließlich etwas anderes, jeden Tag einfach aufzustehen, die Esse anzuheizen, auf heißem Metall rumzuhämmern und auf Kundschaft zu warten, als tagein, tagaus durch die Welt zu reisen und immer nur aus dem Koffer zu leben … Wenn man denn überhaupt einen Koffer hat. Das alles mag ja stimmen, aber das gibt diesen Waldläufern, Magiern, Dieben und Barbaren noch lange nicht das Recht, in unser schönes Verlies einzudringen und unsere Schätze zu klauen. Da hört unsere Geduld wirklich auf. Und wenn sie es doch versuchen sollten, müssen sie sich auf eine ordentliche Tracht Prügel einstellen. Sie werden schon merken, dass man mit uns nicht so umspringen kann.“

In „Helden müssen draußen bleiben“ ist der Name Programm. Wir übernehmen die Rolle von verschiedenen, typischen Bewohnern von Verliesen – wie Ratten, Schleimwesen, Drachen oder Hexen – und versuchen gegen Wellen von Helden zu bestehen, die es nur auf eines abgesehen haben: die große Truhe in unserer Schatzkammer. Das hält sie zwar überhaupt nicht davon ab, auf dem Weg dorthin schon zu plündern, aber es ist vollkommen klar, was sie wirklich wollen.

Wir bauen unseren Dungeon entsprechend eines der vielen Szenarien auf, wählen unsere Monsterart und schon können wir allein oder mit bis zu vier Personen loslegen. Für Kinder ab 10 Jahren wird das Spiel empfohlen und soll ca. 40 Minuten Zeit in Anspruch nehmen.

Tatsächlich funktioniert das Spiel solo sehr gut, und auch zu viert kann man Spaß haben. Durch die überschaubare Komplexität nimmt die Spieldauer mit mehr Personen nicht sonderlich zu, aber obwohl man hier zusammen spielt und immer mitreden darf, kann sich die Zeit zwischen den eigenen Zügen in die Länge ziehen. Daher scheint die optimale Besetzung bei zwei bis drei zu liegen. Die Regeln sind nur dann etwas verwirrend, wenn die Helden jede Runde in das Dungeon einfallen, womit das Abschätzen von Risiken nur von erfahrenen oder älteren Kindern zu einer machbaren Aufgabe wird. Daher passt die Altersangabe, wenn Kinder allein spielen wollen. Wenn Kinder mitspielen, funktioniert das schon eher, ca. ab sieben bis acht Jahre. Die Spielzeit würde ich pauschal auf eher 60 bis 80 Minuten veranschlagen.
 
Material

Autor und Illustrator Luís Brueh hat hier offenbar ein Herzensprojekt abgeliefert. Der Comicstil an sich ist schon bis ins Detail liebevoll und schön ausgearbeitet und das Ganze gipfelt in den unglaublich schönen, bedruckten Holzfiguren, die für jede Monsterart in unterschiedlicher Menge beiliegen. Die großen Quadrate, aus denen das Dungeon gebaut wird, sind ebenfalls schön thematisch gestaltet und aus robuster Pappe. Die Größe ist entsprechend der ganzen Dinge, die später darauf Platz finden müssen, ebenfalls super gewählt. So wird der Platzbedarf nicht zu groß und die Übersicht bleibt dennoch gewahrt.

Die bunten Illustrationen führen aber auch gerade bei Anfängern zu einer leichten Reizüberflutung, sodass es manchmal schwierig wird, alles im Blick zu behalten. Da hilft es nur, auf den Teilen eine strikte Ordnung einzuhalten, damit sich  alles schnell wiederfindet und man weiß, wo man Helden, Monster oder Gegenstände zu suchen hat. Das Inlay ist sinnvoll gestaltet, womit der Auf- und Abbau gut unterstützt wird. Weiterhin gibt es zwei Hefte, eines mit den Regeln, das andere mit den Szenarien. Zudem haben alle eine Karte mit einer Rundenübersicht und für den kompliziertesten Teil, die Abhandlung der Heldenphase, gibt es einen Entscheidungsbaum mit Handlungsanweisungen, woran man sich entlanghangeln kann. Einziger Kritikpunkt ist eine fehlende Symbolübersicht, die wirklich alle Symbole beinhaltet. So blättert man hin und wieder im Regelheft und fragt sich, warum man das jeweilige Symbol denn nun nicht findet.

Im Spielaufbau muss man sich für ein Szenario entscheiden. Jedes Dungeon wird etwas anders aufgebaut und verwendet den einen oder anderen Sonderraum, womit etwas Abwechslung erzeugt wird. Zudem hat jedes Szenario eine andere zentrale Figur, wie eine Kräuterhexe, einen Scharfrichter oder auch einen Vampir, die alle durch ihre individuellen Handlungen unterschiedliche Herausforderungen darstellen.

Spielablauf

„Wir wussten ja schon, dass die Helden uns bald wieder Ärger machen würden. Aber jetzt scheint es wirklich dicke zu kommen. Gerade ist die Nachricht reingeflattert, dass eine ganze Horde von ihnen unterwegs ist, um unseren Schatz zu klauen. Ich kann nur hoffen, dass wir lange genug durchhalten und ihnen die Luft zuerst ausgeht. Hauptsache, alle von uns behalten die Nerven und es tauchen keine unangenehmen Überraschungen auf (Anm. d. Red.: Der Kartenstapel mit Helden muss zweimal durchgearbeitet werden. In ihm stecken die Szenariokarten, die für die genannten Überraschungen sorgen. Wurde der große Drachenschatz bis dahin nicht geraubt, gewinnt man.). Wir müssen uns also gut koordinieren. Ein paar von uns sollten eine gute Verteidigung aufbauen und die Helden erstmal stoppen, sobald sie im Dungeon auftauchen. Das machen am besten die Schleimblobs oder die Skelette. Haben wir das erstmal geschafft, sollten wir sie auch gleich wieder rauswerfen. Wenn unser Drache da ist, könnte sie das übernehmen, oder wir fragen die Hyänen, die gehen ja auch keinem Ärger aus dem Weg. Damit wir dann noch mit ausreichend Waffen, Werkzeugen und Helfern versorgt werden, könnten wir noch Unterstützung gebrauchen. Die Hexen mit ihren Portalen oder die Geister könnten hilfreich sein, weil sie einfach superschnell durch die Wände huschen können. (Anm. d. Red.: Es stehen neun Monsterarten zur Verfügung, die alle eine andere Spezialisierung haben: Angriff, Verteidigung und Unterstützung. Jedes Volk hat ein eigenes Kartendeck, das sich durch eine Sonderfähigkeit und die unterschiedliche Gewichtung der Aktionssymbole darauf auszeichnet.)

Jetzt müssen wir nur noch zusehen, dass wir alles gut im Auge behalten und dann werden wir das schon schaffen. Zum Glück kommen die Helden ja auch nicht alle auf einmal, sondern immer nur in kleinen Gruppen. Wenn wir uns gut verteilen und uns ausrüsten, dann werden wir das schon schaffen. (Anm. d. Red.: In jedem Zug spielt man alle seine Handkarten aus und handelt die Symbole darauf ab: Angriff, Fernkampf, Sonderaktionen, Gegenstände kaufen, Bewegung und einige weitere. Anschließend werden Karten nachgezogen und danach Karten vom Heldendeck aufgedeckt. Es erscheinen einige von Ihnen im Dungeon. Dann greifen sie an, plündern Schätze, stürmen durch die Räume und animieren Helden, die sich dort schon aufhalten, zu neuen Schandtaten. Danach ist der oder die Nächste an der Reihe, spielt alle Handkarten aus, usw. Das geht so lange, bis die Monster entweder alle Angriffe abgewehrt haben oder sich geschlagen geben mussten. Aufgedeckte Szenariokarten sorgen dabei für die Sonderaktionen, die neben unterschiedlichen Dungeonarchitekturen immer wieder dazu zwingen, sich neue Strategien auszudenken.).

Achtung sie kommen! ALLE AUF IHRE POSTEN!“

So fühlt es sich an

„Helden müssen draußen bleiben“ ist kein kompliziertes Spiel. Die Ikonografie ist schnell verständlich und die Spezialfertigkeiten und Aktionssymbole überfordern ebenfalls nicht. In jedem Zug werden die vorhandenen Handkarten ausgespielt, was prinzipiell schnell gesehen ist. Hierbei muss man aber aufpassen, sich nicht zu verzetteln. Plant man alle Aktionen akribisch durch, dauert ein Zug zu lange. Insbesondere in einem Spiel mit vier Personen sind die Wartezeiten dann nicht mehr tragbar. Also sollten bei jedem Zug alle gemeinsam beschließen, welche die wichtigsten Schritte sind. Dann kann man den Rest planen und den Zug schnell abschließen. Es ist ein positives Gefühl, die Helden zu vermöbeln, sich neue Ausrüstung zu besorgen oder Fallen auszulegen. Dabei hat jede Monsterklasse ihre Stärken und ist auf ihre Weise wichtig und macht Spaß. Auch als Supporter hat man eine aktive Rolle und erleichtert das Spiel für alle. Man kommt sich dabei nicht schlechter vor als der Kämpfer, der in einem Zug fünf Helden über die Klinge springen lässt.

Ist der eigene Zug soweit beendet, kommt der komplizierte Teil. Wenn die Helden in das Dungeon einfallen, muss ein Ablauf eingehalten werden, an den man sich erst mal gewöhnen muss. Das ist insbesondere für Anfänger etwas gewöhnungsbedürftig, aber selbst wenn niemand dabei ist, der helfen kann und sich schon auskennt, hat man das Prozedere nach ein paar Partien verinnerlicht. Die einzelnen Aktionen sind überhaupt nicht kompliziert, aber es stellt sich doch immer mal wieder die Frage nach der Reihenfolge, den Sonderfähigkeiten der Helden, wann eine Falle zuschnappt oder wie genau das Voranstürmen funktioniert.

Alles in allem haben wir hier ein familienfreundliches Kennerspiel auf dem Tisch, was durch die gemeinsamen Entscheidungen und die pure Niedlichkeit immer wieder Höhepunkte setzen kann.

Im leichtesten Schwierigkeitsgrad kann man die Missionen im Allgemeinen gut erfüllen. Aber schon eine Stufe höher wird es wirklich stressig. Hier sollte man schon ein wenig Erfahrung gesammelt haben oder sich bewusst sein, dass ein paar mehr Anläufe notwendig sein könnten, um zu gewinnen. Neben dem Kampagnenmodus und den vielen Szenarien haben wir hier aber ein weiteres Element, was den Langzeitspaß hochhalten sollte. Eine Grundvoraussetzung ist jedoch, dass man mit dem ansonsten eher leichten Deckbuilderkonzept gut klarkommt. Die Entwicklung des eigenen Decks ist über eine Partie doch eher überschaubar. Insbesondere bei schwierigen Spielen hat man nur wenig Zeit, das Deck überhaupt aufzuwerten, und die wenigen zugekauften Karten müssen hart erarbeitet werden. Wenn dies kein Hindernis darstellt, kann man gut zugreifen. Dabei fällt mir gerade auf, dass ich mich immer noch über die letzte verlorene Partie ärgere und es die Tage unbedingt nochmal versuchen muss. Für mich immer ein gutes Zeichen für ein Spiel. Gerade wenn man schon einige Partien hinter sich gebracht hat.

Fazit: Ein familienfreundlicher Tower-Defence-Deckbuilder mit stark erhöhtem Niedlichkeitsfaktor. Wem das Thema und die Grundmechanik zusagt, kann bedenkenlos zugreifen.

Helden müssen draußen bleiben!
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Luís Brüeh
Mirakulus 2023
EAN: 4255682700120
Sprache: Deutsch
Preis: 54,99 EUR

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