Gruselkabinett 105: Mitternachtsweg

Mit der Reihe „Gruselkabinett“ hat es sich das Audio-Label Titania Medien zur erklärten Aufgabe gemacht, „die Meisterwerke der Schauer-Romantik als atmosphärische Hörspiele mit den deutschen Stimmen vieler Hollywood-Stars“ zu produzieren. Zahlreiche nationale wie internationale Vorlagen haben da schon Eingang gefunden, insbesondere bekannte Klassiker. Mit der 105. Folge widmet sich die Reihe einer neueren deutschen Vorlage, Benjamin Leberts Roman „Mitternachtsweg“ von 2014.

von Simon Ofenloch

Zeitungsjournalist Peter Maydell schreibt Kolumnen-Beiträge für die Lübecker Lokalseiten. Dabei beruft er sich ein ums andere Mal auf Geschichten, die ihm ein junger Mann namens Johannes Kielland zuträgt. Eine dieser Geschichten handelt von einer mysteriösen Frau, Helma Marie Brandt, die Kontakt zu Kielland aufgenommen hat, nachdem dieser über einen unidentifizierten Leichnam berichtet hatte, der jüngst entdeckt und auf dem Friedhof der Heimatlosen in Westerland beigesetzt worden war, jenem Todesacker für namenlose Tote vom Sylter Strand, welche die Fluten vor allem früher häufig anspülten. Ein schwarzer Handschuh, der bei dem Toten gefunden wurde, spielt eine entscheidende Rolle, wie bald auch eine Sylter Sage, bei der es um eine Mutprobe unter Liebenden geht, den „Mitternachtsweg“. Dabei gilt es als besonderer Liebesbeweis, wenn zwei Verliebte in der Mittsommernacht einen bestimmten Weg durchs Watt beschreiten und von der nahenden Flut unbeschadet zurückkehren. Nachforschungen über die attraktive wie geheimnisvolle Helma Marie Brandt führen Johannes Kielland in die Vergangenheit, zurück bis in die 1930er Jahre, und schließlich wieder nach Sylt, wo der „Mitternachtsweg“ auch heute noch eine gefährliche Bedeutung haben mag. Gerade für Peter Maydell.

Die Geschichte ist in weiten Teilen gegenwärtig, der Schauplatz Norddeutschland. Das ist erstaunlich, das ist ungewöhnlich, nichts, was die Hörspielreihe „Gruselkabinett“ üblicherweise zu bieten hat. Im Gegensatz zu den meist ziemlich alten Vorlagen der Reihe gibt dieses Mal ein Roman aus dem Jahr 2014 den Inhalt vor: „Mitternachtsweg“ von Benjamin Lebert. Der deutsche Schriftsteller, dessen Debütroman „Crazy“ als Buch wie auch als Film zu einem großen Erfolg wurde, hat mit „Mitternachtsweg“ einen aktuellen Vertreter romantischer Schauerliteratur verfasst, eine Lagerfeuergeschichte über einen Inselbrauch, von der man sich vorstellen kann, wie sie nachts am Strand erzählt wird, voller Spannung und mit ein bisschen Gänsehaut. Krimi, Liebesdrama, Schauermärchen, alles in schöner nordisch-hanseatischer Tradition, über mehrere Zeitebenen hinweg, mit mehreren Erzählsträngen.

Bei Benjamin Lebert ist der Roman über 200 Seiten lang, bei Titania Medien wurde daraus ein Hörspiel um die 80 Minuten, dem es an nichts fehlt. Neben der starken Geschichte überzeugen viele sorgfältig besetzte exzellente Sprecher, Marius Clarén, Melanie Hinze, Eckart Dux, Matthias Lühn, Reinhard Scheunemann, Cathlen Gawlich, Lutz Reichert, Anita Lochner, Sabina Trooger, Jochen Schröder, Sven Dahlem, Herma Koehn, Julia Stoepel, Dana Fischer, Constantin von Jascheroff, Jonas Baeck und Judy Winter. Eine adäquate Geräuschkulisse und passende Musikstücke tragen ihr Übriges zum Erfolg bei.

Illustrator Ertugrul Edirne hat für das Covermotiv ein weiteres kleines Meisterwerk geschaffen, ein grandioses Stimmungsbild.

Fazit: Für Romantiker, die einen leichten Schauer über den Rücken vertragen, hat Benjamin Lebert eine moderne Gruselgeschichte, eine gegenwärtige Geistergeschichte erschaffen. Bei Titania Medien wurde daraus ein atmosphärisch überzeugendes Hörspiel mit tollen Stimmen und passender Musik. Ein besonderes Highlight. 


Gruselkabinett 105: Mitternachtsweg
Hörspiel nach einem Roman von Benjamin Lebert
Marc Gruppe
Titania Medien 2015
ISBN: 978-3-7857-5168-8
1 CD, ca. 79 min., deutsch
Preis: EUR 6,99

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