von LarsB
Das Spielmaterial
Der Spielkarton mit Glitzer und Bling ist definitiv sehr ansprechend gestaltet. Die Karten stehen da schon ein ganzes Stück zurück. Sie sind nicht absolut unbrauchbar, aber schon von einfacher Qualität. Sie biegen sich nach dem Mischen schnell durch, weil sie recht dünn sind. Hier hätte ich mir etwas mehr Qualitätsübertrag vom Spielkarton Richtung Spielkarten gewünscht. Was dem Spiel auch gut gestanden hätte, wäre ein Wertungsblock. Zugegeben, jeder Zettel tut es auch. Aber so ein Block gibt nochmal mehr Struktur. Und in der Schachtel verbliebene alte Wertungszettel erinnern immer wieder an vergangene, epische Partien. Ich mag sowas.
Doch was ist auf den Karten drauf? Im Spiel sind Zahlenkarten mit den Werten 0 bis 12 vorhanden, wobei die 12 zwölfmal im Kartendeck vorhanden ist, die 11 elfmal, usw. Die 0 ist, und hier kommt der Systembruch, einmal vorhanden. Außerdem finden sich im Karton sechs Bonuskarten sowie Sonderkarten dreierlei Typs. Alle Karten sind funktional illustriert, ohne einen Schönheitspreis zu gewinnen. Es wäre ein Gewinn gewesen, wenn die Kartenwerte einer Farblogik gefolgt wären (zum Beispiel entlang den Regenbogenfarben).
Der Spielablauf
Jeder Spieler bekommt reihum offen eine Karte ausgeteilt. Reihum können dann die Spieler entscheiden, eine weitere Karte ausgeteilt zu bekommen oder sie können den Zug beenden. Kleiner Einschub: Leider ließ die Spielanleitung uns etwas im Unklaren, wann genau man eigentlich aussteigen darf. Hier wäre eine Phasenübersicht oder ein Beispiel hilfreich gewesen. Einschub Ende. Die Krux ist, dass doppelnde Zahlenwerte in der eigenen Auslage der sinnbildliche Zonk sind. In dieser Runde gibt es dann gar keine Punkte für den Spieler. Und die möchte man eigentlich doch so gerne haben. Ziel des Spiels ist schließlich das Erreichen oder Überschreiten der 200-Punkte-Marke.
Punkte verdient man sich – sensationellerweise – über die Karten in der eigenen Auslage. Dabei zahlt jede Karte ihren Nennwert auf das eigene Punktekonto ein. Verfeinert wird das Punkteergebnis mit den jeweils einmal im Spiel vorhandenen Bonuskarten für zusätzliche Punkte oder gar Punkteverdoppelung.
Die insgesamt neun Sonderkarten sorgen für Abwechselung. „Freeze“ lässt einen (Mit-)Spieler seine aktuelle Runde beenden. Dumm nur, wenn man der einzige noch aktive Spieler ist. Dann freezt man sich nämlich selbst. „Flip Three“ lässt einen (Mit-)Spieler drei Karten hintereinander ziehen, ohne die Möglichkeit des zwischenzeitlichen Abbruchs. „Second Chance“ ist eine freundliche Sonderkarte, die dem Spieler beim Doppelziehen einer Karte eine zweite Chance einräumt. Eine Art Schutzschild oder doppelter Boden.
Die spielnamensgebende Sonderregel besagt, dass es einen Sonderbonus von 15 Punkten gibt, wenn man es geschafft haben sollte, sieben verschiedene Zahlenkarten aufzudecken (Flip 7).
Das Spielgefühl
„Flip 7“ ist unglaublich schnell erklärt und damit ein sehr zugängliches Kartenspiel. Man kann es aus dem Bauch heraus spielen oder Karten zählend mit einer gewissen Ernsthaftigkeit. Sieggarant ist das Mitzählen mitnichten. Es verleitet an der ein oder anderen Stelle gar zum Eingehen eines Risikos, das der Bauchspieler wahrscheinlich nicht eingegangen wäre.
Die nur schwarz-weiße Wahl zwischen Weitermachen oder Aufhören erscheint so einfach und ist manchmal doch so schwer. Hat man eine „11“ und eine „12“ schon in den ersten beiden Runden gezogen, hat man gute 23 Punkte im Sack, wenn man aufhören sollte. Aber es sind ja erst läppische zwei gezogene Karten … Doch die Elfen und Zwölfen sind einfach so präsent im Kartendeck. Viele niedrige Zahlen bringen wenig Punkte und verleiten zum Weitermachen. Und dann ist die sechste Karte eine Zwölf. Soll ich nun den „Flip 7“ probieren für 15 weitere Punkte? Das sind Beispiele für die „sein oder nicht sein“-Momente. Oft habe ich erlebt, dass die Mitspieler nach dem Passen quasi per Reflex direkt die nächste Karte aufdecken wollten, um zu sehen, ob es gut gegangen wäre.
Doch viel der Spannung kommt über die Dynamik der Spielgruppe hinein. Sollte ich noch eine Karte nehmen, um im Spiel zu bleiben, um meine Mitspieler unter Druck zu setzen? Oder: Ich muss noch dreißig Punkte aufholen und muss jetzt mal was riskieren. Geht das gut? Ziehe ich womöglich sogar die Verdoppelungskarte, die mich an allen Mitspielern vorbei katapultiert? Ach Mensch, wann steigen denn meine Mitspieler endlich aus …
„Flip 7“ stellt seine „Alles-oder-Nichts“-Fragen im spielgruppendynamischen Kontext. Das macht es spannend, manchmal sogar herzzerreißend spannend. Und oft genug greift das „Gier frisst Hirn“-Entscheidungsmuster. Glücksgefühle und Frustration wechseln sich manchmal schneller ab als die Zollsätze für Importe in die USA. Eine Partie „Flip 7“ ist jedoch so schnell gespielt, dass keine Herztabletten beigefügt werden mussten. Eine Niederlage wiegt schließlich nicht so schwer, wenn man direkt noch eine Partie nachlegen kann.
Das Spiel behauptet, auch mit großen Gruppen (größer zehn Spieler) gut spielbar zu sein. Ich würde von allzu großen Gruppen abraten, weil das Warten auf den nächsten eigenen Zug kaugummiartig wird. Das Spiel lebt klar von den Spannungsmomenten, aber es lebt auch von einer gewissen Spielgeschwindigkeit und Kürze. Und es lebt von der Hoffnung, mit einer sehr guten Spielrunde wieder Anschluss zu finden. Diese Hoffnung wird einem bei großen Gruppen aufgrund der schieren Statistik genommen. Drei Mitspieler haben mal zwei, drei schlechte Runden, dreizehn Mitspieler aber nicht. Und 200 Punkte als Spielende-Kriterium sind in einer Partie in großer Gruppe eindeutig zu langwierig. Mit drei Spielern ist das Spiel manchmal etwas zu linear. Comeback-Momente und psychischer Druck sind hier aufgrund des geringen Wettbewerbs eher selten. 5- bis 6-Spieler-Runden bieten aus meiner Sicht das Optimum an „Flip 7“-Erlebnis.
Fazit: „Flip 7“ ist deshalb ein interessanter Vertreter der „Push-Your-Luck“-Spielegattung, weil es so leicht zugänglich ist und so häufig die Alles-oder-Nichts-Frage stellt. „To be or not to be?“ Wäre nur die Frage nach der Kartenqualität („To bend or not to bend?“) vom Redaktionsteam bei Kosmos anders beantwortet worden … Epische und unterirdische Züge wechseln sich in atemberaubender Geschwindigkeit ab: vom Flip zum Flop in unter einer Sekunde. Glück und Pech sind bei „Flip 7“ einfach so fest in die Spiele-DNA eingewoben wie die spannende Entscheidungsdynamik in der Spielerunde ab vier aber mit nicht mehr als acht Spielern. So, „Flip 7“-Pause. Ich lass jetzt erstmal meine Fingernägel wieder wachsen.
Flip 7
Kartenspiel für 3 bis 18 Spieler ab 8 Jahren
Eric Olsen
Kosmos 2025
EAN 4002051685430
Sprache: Deutsch
Preis 14,99 EUR
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