Era – Das Mittelalter

Das Mittelalter – eine dunkle Zeit voller Seuchen und Armut ... Weit gefehlt: In Matt Leacocks „Era – Das Mittelalter“ bauen wir eine imposante Stadt mit Kathedralen, Zunfthäusern und Universitäten. Aus buntem Plastik. Klingt erstmal schräg? Kann schon sein. Besser, wir schauen uns das mal genauer an.

von Michael Wilhelm

Bisher war Autor Matt Leacock eher für kooperative Spiele bekannt. Besonders „Pandemie“ hat neben den beiden Staffeln von „Pandemic Legacy“ zahlreiche Erweiterungen und Nachfolger bekommen. Im Familienspiele-Bereich wären da noch „Die Verbotene Insel“, „Die Verbotene Stadt“ und „Forbidden Sky“ zu nennen.

Aber auch die beiden Würfelspiele „Im Wandel der Zeiten – Das Würfelspiel – Bronzezeit“ und „Eisenzeit“ gehen auf sein Konto. Das aktuelle Spiel nutzt nun einen Mechanismus aus diesen beiden Würfel-Spielen und erweitert ihn um das dreidimensionale Bauen einer mittelalterlichen Stadt. Und somit erscheint das erste „Roll & Build“-Spiel auf der Bühne.

Mit stolzen 1900 g und 9,5 cm Schachtelhöhe ist „Era – Das Mittelalter“ auch schon mal physisch ein ziemlicher Brocken. Hat man die Schachtel geöffnet, ermöglicht das den Blick auf zwei Ebenen von Tiefziehböden mit reichlich Material: 36 Würfel, über 100 detailliert modellierte Gebäude und Mauerteile aus farbigem Kunststoff in grau, weiß, gelb, blau, braun und orange sowie 4 stabile Spielbretter und 25 Markierungs-Stifte für die Spielbretter. Zu guter Letzt finden wir noch 5 Spielende-Tokens und einen Wertungsblock.

Gespielt wird mit 1 bis 4 Spielern, laut Packungsangabe ab 10 Jahren. Die Spieldauer ist mit 45 bis 60 Minuten angegeben, was durchaus realistisch ist, außer bei den ersten zwei oder drei Partien. Da kann es auch mal etwas länger dauern, bis man den Überblick hat.



Zu Beginn erhält jeder Spieler ein Spielbrett und die zugehörigen Stifte, mit denen die Startrohstoffe Nahrung, Holz und Steine markiert werden. Bei Handelswaren sowie auf den Desaster- und Kultur-Leisten beginnt man mit 0. Außerdem können auf dem Spielbrett ein Turm, drei Bauernhäuser, ein Bauernhof, ein Ödland-Feld, sowie drei Mauerteile als Start-Stadt verbaut werden. Dann wird mit drei gelben Würfeln (gehört zu den drei Bauernhöfen) und einem grauen Würfel (gehört zum Turm) gestartet. Alle übrigen Würfel und Gebäude werden als Auslage in die Tisch-Mitte gelegt.

Jede Spielrunde besteht aus sechs Phasen. In der ersten Phase wird gewürfelt. Die Spieler würfeln gleichzeitig mit den eigenen Würfeln hinter dem eigenen Sichtschirm. Nun darf mit einer beliebigen Zahl von Würfeln erneut gewürfelt werden, und anschließend ein drittes Mal. Nach jedem Wurf müssen aber alle Würfel, die Seiten mit Desaster-Symbol (ein Totenkopf) zeigen, auf jeden Fall beiseite gelegt werden und dürfen nicht erneut gewürfelt werden. Was nun liegt, wird in der weiteren Spielrunde für Rohstoffertrag und Bauarbeiten verwendet.

Gelbe Würfel entsprechen Bauern und ergeben vor allem Nahrung, aber auch Stein oder Holz, graue Würfel entsprechen Adeligen und bringen als einzige Schwerter und Schilde, die zum Angriff oder zur Verteidigung in Phase 6 „Erpressen“ benötigt werden. Die blauen Würfel erhält man durch den Bau von Bürgerhäusern; und sie geben Handelswaren, Kulturpunkte, Steine oder Baumöglichkeiten. Kirchen bringen einem Spieler weiße Würfel ein. Diese Kleriker-Würfel ergeben am häufigsten Kultur-Punkte (die am Ende als Siegpunkte zählen) oder das Feder-Symbol, das einen Extra-Wurf mit einem bereits ausliegenden Würfel auch noch nach dem dritten Wurf ermöglicht.



In der zweiten Phase „Sammeln“ markieren die Spieler auf ihrem Spielbrett mit den Stiften in den entsprechenden Reihen ihre erhaltenen Rohstoffe. Das sollte in den ersten Runden noch in Ruhe und reihum passieren, damit keiner den Überblick verliert. Mit etwas Übung (und wenn in der Runde nicht geschummelt wird), kann das auch simultan bei allen Spielern gleichzeitig erledigt werden und spart dann ordentlich Zeit.

In der dritten Phase wird das eigene Volk ernährt, das heißt man muss Nahrung in Höhe der eigenen Würfelzahl abgeben, in der ersten Runde also 4. Hat man nicht genug Nahrung, gibt es Desaster-Punkte, die dann zu Spielende als Minus-Punkte gewertet werden. Und das kann manchmal wirklich schmerzhaft werden, wenn man sieben oder acht Würfel kontrolliert, aber beim Würfeln Pech hat oder sich zu sehr auf andere Pläne versteift hat.

In Phase 4 „Desaster“ werden bei jedem Spieler auf den Würfeln die Totenkopf-Symbole gezählt und das zugehörige Ereignis abgehandelt. Bei einem Totenkopf rauben Briganten eine Ressource oder verpassen einen Desaster-Punkt. Bei zwei Totenköpfen gibt es in der eigenen Stadt eine Seuche, und jedes Gebäude ohne Sicherheitsabstand zu den Nachbargebäuden beschert uns einen Desaster-Punkt. Da will also schon zu Beginn vorausschauend gebaut werden, da es sonst schnell schmerzhaft werden kann. Witzigerweise simuliert das ganz gut die mittelalterlichen Hygiene-Verhältnisse, wo Krankheiten schnell in engen Gassen von einem Gebäude zum nächsten übersprangen, ob durch verunreinigtes Wasser oder mithilfe lebender Überträger wie Ratten und blutsaugendem Ungeziefer.

Mit zunehmender Totenkopf-Zahl wird es prinzipiell unangenehmer, wobei bei drei und fünf Totenköpfen aber die Mitspieler Ziel des Desasters sind und entweder ein Ödland ins Herrschaftsgebiet bauen müssen oder sogar ein bereits gebautes Gebäude verlieren.



In Phase 5 wird dann endlich gebaut. Hier ist die Spielerreihenfolge tatsächlich am wichtigsten. Der aktive Spieler wählt ein Gebäude aus der Auslage, bezahlt die Rohstoffe und baut das Gebäude (oder auch mehrere, falls man in Phase 2 mehrere für Bauarbeiten nötige Hammer-Symbole gewürfelt hat) ins eigene Herrschaftsgebiet. Wichtig ist hierbei, dass zu Spielende eine abgeschlossene Stadtmauer den Wert aller innerhalb der Mauern befindlichen Gebäude verdoppelt. Dennoch sollte nicht zu eng gebaut werden, da die sonst häufigen Seuchen reichlich Desaster-Punkte bescheren.

Zusätzliche Würfel gibt es für Bauernhäuser, Bürgerhäuser, Türme und Kirchen. Das sind auch die eher kleineren und günstigeren Gebäude, die schon für 2 Holz oder 2 oder 3 Steine zu haben sind. Dafür geben sie bei der Endabrechung auch nur jeweils einen Siegpunkt. Deutlich teurer, weil punktemäßig lukrativer, sind Hospital, Universität oder Zunfthaus. Die Kathedrale bringt sogar 5 Siegpunkte, kostet aber auch 2 Holz, 4 Stein und 6 (seltene und stark begehrte) Handelswaren. Außerdem geben die größeren Gebäude auch noch Vorteile während des Spiels oder üppige Punkt-Boni zu Spielende.

Nach der Bauphase kommt noch Phase 6 „Erpressen“. Da kommen nun die Schwerter und Schilde von den grauen Adeligen-Würfel ins Spiel. Wer mehr Schwerter als die Mitspieler hat, kann denen einen Rohstoff klauen, es sei denn, sie können sich durch Schilde schützen. Das ist ein netter kleiner Mechanismus, aber stellt keine spielentscheidende Wendung dar.

Ähnlich wie in Deckbau- oder Aufbau-Spielen will in „Era – Das Mittelalter“ zwischen während des Spiels nützlichen Investitionen und dem Ergattern von Siegpunkten die richtige Balance gefunden werden. Denn das Ende kommt manchmal sehr plötzlich. Im Spiel zu zweit oder dritt, wird die letzte Runde eingeläutet, nachdem drei Gebäudetypen ausverkauft sind, im Spiel zu viert bei fünf ausverkauften Gebäuden. Angezeigt wird dies durch das Umdrehen von Spielende-Tokens. Und da es beispielsweise nur jeweils drei Hospitäler oder Kirchen gibt, kann das auch mal schnell gehen, selbst wenn man mit den eigenen Plänen noch irgendwie mittendrin war.



Das Management der Rohstoff-Leisten stellt manchmal eine ganz schöne Fummelei dar. Und gerade, wenn mit mehreren Spielern zeitgleich gesammelt und gebaut wird, verliert man leicht den Überblick, was auf den anderen Spielbrettern passiert. „Era – Das Mittelalter“ ist also kein Spiel für hochgradig kompetitive Gruppen. Wer aber Freude daran hat, eine funktionierende Würfel-Maschine in Gang zu bringen und eine hübsche Plastik-Stadt zu bauen, ist mit „Era – Das Mittelalter“ gut bedient. Übrigens auch in der Solo-Variante. Da läuft das Spiel prinzipiell gleich ab, ist aber auf 8 Runden begrenzt. Und es wird ein Dummy-Spieler mit zwei gelben und einem grauen Würfel für Phase 6 „Erpressen“ benutzt.

Fazit: „Era – Das Mittelalter“ ist ein spannendes, optisch und haptisch eindrucksvolles „Roll & Build“-Spiel, das erste seiner Art. Ob alleine oder mit bis zu vier Spielern macht es großen Spaß, eine flotte Würfel-Maschine anzuwerfen und eine hübsche mittelalterliche Stadt aufzubauen.

Era – Das Mittelalter
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Matt Leacock
Eggert Spiele 2019
EAN: 4250231718892
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 49,99

bei pegasus.de bestellen
bei amazon.de bestellen