von KaiM
„Dragon Dale“ ist nicht nur ein Spiel, es ist eine Welt. Von der Anleitung bis zu dem Spielmaterial zeigt es den unbedingten Willen, mehr zu sein als ein generischer Fantasy-Titel. Bis zu vier Fraktionen treffen aufeinander und kämpfen um die Vorherrschaft und die Kontrolle über magische Bäume. Es ist ein Ringen um die Dominanz auf der Insel und die Kontrolle des magischen Drachenwesens, das seit Urzeiten dort verharrt. Maeve, die dunkle Fee, ist dort beinahe ebenso lange gefangen, hat sich aber nun gerüstet, um ihrem Gefängnis zu entkommen. Ihre wachsende Macht hat das Gleichgewicht der Insel durcheinandergebracht und einen Kampf ausgelöst, den nur eine der Fraktionen gewinnen kann.
Diesen ungewöhnlichen Kampf tragen Spielende ab 14 Jahren in einer Spielzeit von bis zu 150 Minuten aus. Insbesondere in den ersten Partien ist mit längerer Spielzeit zu rechnen. Die Altersempfehlung geht in Ordnung, wobei spielerfahrene Kinder schon eher loslegen können. Allerdings fordert das Spiel einiges, weshalb 14 am Ende doch eher das untere Ende der Altersskala darstellt.
Das Material
An dieser Stelle gibt es so viel Gutes zu berichten. Schon die Miniaturen, die einen wichtigen Teil der Mechanik, rund um die verdeckten Bewegungen der verschiedenen Einheiten ausmachen, sind sowohl schön, als auch funktional. Jede Fraktion hat nur einen Figurentyp, aber durch das Einsetzen der Einheitenmarker und des Fraktionssymbols kann man sich im Geheimen bewegen und muss die Miniatur nur umdrehen, um sich zu offenbaren. Wirklich sehr schön gemacht. Die Spielbretter sind übersichtlich gestaltet, haben wichtige Infos an den richtigen Stellen und gute Illustrationen. Kleine Mankos sind vorhanden, stören den Gesamteindruck aber kaum. Zum Beispiel passt die Auflage für zwei Spieler nicht so ganz zum Hauptplan, aber wie gesagt, ist das eher eine Nebensächlichkeit. Die Kampfkarten haben schön stimmungsvolle Bilder und zeigen ein wenig umständlich, welche Effekte sie auslösen. Große Kartenhalter dienen dazu, den aktuellen Kampfeffekt geheim zu halten, während man ihn selbst aber jederzeit sehen kann. Auch das funktioniert gut, wenn man nicht gerade ein Grobmotoriker ist. Auch das Inlay ist fantastisch und hilft, das Spiel in wenigen Minuten aufzubauen.
An dieser Stelle muss ich leider zu den weniger positiven Aspekten des Materials überleiten. Denn was auf dem Spielbrett sehr gut und auf den Kampfkarten ganz okay gelöst wurde, hat bei den Fähigkeitskarten leider nicht funktioniert. Wenige Symbole und viel Text fordern die Spielerschaft heraus, und die vielen unterschiedlichen sowie komplexen Effekte haben keinen Wiedererkennungswert und erschweren es, die Übersicht zu behalten. Und wo wir gerade beim Thema sind: Mehr Übersicht hätte dem Regelwerk auch gut getan. Zwar wird man bei der Hand genommen und durch die verschiedenen Aspekte dieses vielschichtigen Spiels geführt, aber am Ende bleiben leider jede Menge Fragezeichen, die man in den ersten Partien immer wieder langwierig nachschlagen muss.
Der Spielablauf
Das Ziel besteht darin, am Anfang des eigenen Spielzugs mindestens vier Siegpunkte zu haben. Als Kelten, Wikinger, Druiden oder die dunkle Maeve werden Einheiten ausgesandt, um sich auszubreiten, Erkenntnisse über die Insel zu sammeln und wichtige Orte zu kontrollieren. Man erlangt Siegpunkte auch durch die Dominanz über Runensteine, die auf der Insel verteilt stehen. Doch vor allem ringen die Fraktionen um die Drachenbäume, die ebenfalls auf der Insel stehen. Die Druiden wollen sie stärken, wohingegen Maeve sie vergiften möchte. Die Kelten und die Wikinger benötigten sie jedoch, um sich auf den Winter vorzubereiten und wollen sie fällen und in ihr Lager bringen. Dabei wird die Insel vom namensgebenden Drachen beschützt, und eine Begegnung mit ihm führt unweigerlich zu einem Kampf, der nur schwer zu gewinnen ist.
Reihum sind die Fraktionen am Zug und müssen zwei Aktionen ausführen. Sie können sich bewegen und Aktionen erlernen, ausspielen oder auf die Hand nehmen. Zieht man dabei in eine Region, in der sich der Drache oder eine gegnerische Fraktion befindet, kommt es zu einer Begegnung. Diese endet zumeist damit, das nur noch Einheiten einer Partei in der Region verbleiben. Zudem hat jede Begegnung Einfluss auf die Gunst des Drachen. Je nachdem wie man sich verhält, wird der Drache wütend oder besänftigt, was wiederum Auswirkungen darauf hat, wie sich der Drache bei einer Begegnung demjenigen gegenüber verhält. Waren alle am Zug, bewegt sich auch der Drache über die Insel, was seinerseits zu Begegnungen führen kann.
Jede Fraktion verfügt über unterschiedliche Aktionskarten, womit jeweils einzigartige Manöver möglich werden, um sich in eine günstige Ausgangsposition für das Erringen von Siegpunkten zu bringen. Auch die Begegnungen basieren auf stark asymmetrischen Fähigkeiten. Jede Fraktion hat drei bis vier verschiedene Einheiten mit jeweils unterschiedlichen Verhaltenskarten und daher mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Die Einheiten werden in vielen Fällen verdeckt über den Spielplan bewegt und erst aufgedeckt, wenn eine Begegnung ausgefochten wird. Dann wählen alle eine aktive Fraktion und verwenden die schon zuvor bereitgelegte Verhaltenskarte. Je nach Initiativwert, der durch Einsatz von Erkenntnis beeinflusst werden kann, wird bestimmt, wer das Verhalten zuerst ausführen darf. Danach wird das zweite Verhalten ausgeführt und danach ist die Begebung vorbei, auch wenn noch mehrere Fraktionen in der umkämpften Region stehen. Keine Karte gleicht der anderen, sodass man schon eine Menge Erfahrung benötigt, um die Möglichkeiten der Gegner vorherzusagen. Unter bestimmten Bedingungen kann man sich am Ende des Spielzugs Siegpunkte nehmen, wobei nur Siegpunkte durch die magischen Bäume wirklich sicher sind und nicht mehr verloren gehen können.
Das Spielgefühl
Nach dem Studium der Regeln herrschte insbesondere ein ungewohntes Gefühl vor: Überforderung. Viele Expertenspiele nehmen die Anfänger an die Hand und helfen beim Einstieg. Die Version für Neulinge vereinfacht zwar einige Regeln und macht es den Spielern auch leichter, die ersten Ziele zu erreichen, aber es gilt dennoch viele schwierige Aspekte im Blick zu behalten.
Da wäre zum Beispiel das Reisen über die Insel. Es ist nicht trivial, denn die schön thematisch umgesetzten Einschränkungen, die einem auferlegt werden, helfen nicht gerade bei einer zielgerichteten Ausbreitung. Mal darf man sich nur mit wenigen Einheiten hinein oder hinaus bewegen, mal muss man sich beim Verlassen in verschiedene Gebiete aufteilen. Dann wieder verirrt sich beim Verlassen eines Gebiets immer eine Einheit in den Wurzeltunneln oder man muss Erkenntnis oder Karten zahlen. Nicht zuletzt darf immer nur eine Einheit auf einmal in das Drachental gesetzt werden. Die eigentlich einfachen Bewegungsregeln werden dabei zur Nebensächlichkeit, da es genau genommen gar keine normalen Bewegungen gibt, sondern eigentlich nur Ausnahmen. Das macht es besonders Anfängern schwer, weil man ohne viel Erfahrung kaum planen kann. Durch die vielen Beispiele am Ende der Regeln, werden Unklarheiten zwar geklärt, aber einfach und intuitiv kann man das Bewegungssystem wirklich nicht nennen.
Dann kommt das Management von Erkenntnis hinzu. Erkenntnis ist die einzige Ressource im Spiel, was erfrischend anders ist als bei anderen Spielen. Endlich mal kein Stein, Holz oder Magie. Bewegt man sich über die Insel in unbekannte Gebiete, sammelt man Erkenntnis ein, und auch auf anderen Wegen ist es möglich, sie zu bekommen. Sie wird benötigt, um Begegnungen abzuhandeln, und vor allem auch, um Aktionskarten auszuspielen. In anderen Spielen gestaltet sich der Aspekt einfach und gradlinig, aber hier muss man sich des öfteren fragen, wie man handlungsfähig bleibt und man lernt schnell, dass man ohne genug Erkenntnis wenig Chancen auf den Sieg hat. Somit ist auch an dieser Stelle eine gute Planung essenziell.
Um Siegpunkte zu erlangen, ist weiterhin Timing wichtig. Denn es nützt den Kelten nichts, einen Baum zu fällen, wenn die Wikinger ihn anschließend einfach abtransportieren können. Außerdem kann man auch nicht lange im Drachental verweilen, weil die Begegnungen mit dem Drachen häufig damit enden, dass man am Ende nicht mehr an der gleichen Stelle verharrt. Um gute Chancen zu haben, sollte man den Drachen vorher besänftigt haben, was wiederum ebenfalls gut geplant werden will.
Um all diese Planung sinnvoll gestalten zu können, muss man die eigenen Einheiten und Fähigkeiten gut kennen. Das wird leider durch die Fähigkeitskarten erschwert, die häufig durch Text geprägt sind und einigermaßen komplexe Effekte haben. Für sich genommen ist alles kein großes Ding, aber in Summe kommen eine Menge Informationen zusammen, die man sich merken muss. Der Wiedererkennungswert der Karten ist leider auch gering, denn neben dem Namen, kann man nur über die Formatierung des Textes schnell erfassen, um welche Karte es sich handelt, da kaum Symbole oder Bilder verwendet werden. Ich habe selten Karten so oft lesen müssen, bis ich die Wirkung verinnerlicht hatte. Schließlich kommen noch die Verhaltenskarten hinzu, die jeder Einheit einige einzigartige Effekte zur Verfügung stellen. Und damit nicht genug: Um sinnvoll vorgehen zu können, muss man die Effekte von Fähigkeiten und Verhalten kombinieren, um gute Chancen auf Siegpunkte nicht zu verpassen.
Wem das jetzt alles noch zu trivial ist, der mag bedenken, dass es bei Weitem nicht ausreicht, die eigenen Stärken, Schwächen und Strategien zu kennen. Denn eigentlich wird dieses Spiel erst dann zu einer Schlacht auf Augenhöhe, wenn man all diese Dinge der Gegner ebenfalls im Blick hat. Daher sehe ich den Sweetspot dieses Spiels auch bei zwei Personen. Wenn beide erst langsam lernen, wie man die eigene Fraktion spielt, wächst das Wissen über sich selbst und den Gegner von Partie zu Partie. Immer wieder reifen neue Pläne heran, wie man sich geschickt positioniert und den Gegner austrickst, um im entscheidenden Augenblick zuzuschlagen. Und immer wieder werden Situationen entstehen, die einen innerlich erschüttern, weil der Gegner mit irgendeinem Zug, von dessen Möglichkeit man nicht mal die leiseste Ahnung hatte, alle Pläne zunichte gemacht hat. Aber das gilt natürlich für beide Seiten, und ein sicher geglaubter, glorreicher Sieg kann sich auf einmal in einen Albtraum verwandeln.
„Dragon Dale“ ist ein Spiel, das erkundet und erobert werden will und darüber hinaus möchte, dass man sich ihm immer in derselben Gruppe widmet. Es verlangt obendrein, dass man flexibel genug ist, um zufällige Ereignisse, wie die Drachenbewegung, in der Planung zu berücksichtigen und dass man sich auch von Rückschlägen nicht entmutigen lässt. Denn ein Comeback ist hier selbst in aussichtslosen Situationen durchaus möglich, man darf nur eines nicht: aufgeben. Wer diesem Motto während des Regelstudiums und den ersten Partien treu bleibt, der hat ein Spiel gefunden, was durch die Fülle der Asymmetrien der vier Fraktionen viele Winter lang spannende Matches liefern dürfte.
Fazit: Es fällt schwer, ein klares Fazit zu ziehen, deswegen werde ich auch ein paar mehr Worte verlieren als normalerweise. Wahrscheinlich ist die beste Option, das Spiel auszuprobieren, denn es macht viele Dinge anders und bringt ein besonderes Spielgefühl auf den Tisch. Allerdings ist das Spiel aus meiner Sicht am ehesten für zwei Spieler gut geeignet, die Lust haben, die Welt und die vier spielbaren Völker immer weiter zu entdecken. Das rührt daher, dass die Lernkurve erst einmal bis zu einem gewissen Punkt gemeistert werden will, damit man wirklich sinnvolle Entscheidungen treffen kann. Denn Aktionen wollen gut geplant und vorbereitet sein, weil man nicht viele Versuche hat. Aber ohne profundes Wissen über die Fähigkeiten des Drachen und die des Gegners ist Planung schwer möglich und wie soll man das hinbekommen, wenn man selbst mit den eigenen Möglichkeiten in den ersten Partien überfordert ist? Das Streamlining einiger Regeln und eine klare Ikonographie hätten hier noch eine Menge herausholen können. Aber dennoch ist „Dragon Dale” ein besonderes Spiel, das seine Fans finden wird.
Dragon Dale
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Peter Kuhn
Corax Games 2024
EAN: 4255682705286
Sprache: Deutsch
Preis: 74,99 EUR
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