Die schlimmste Reise der Welt – Die Graphic Novel 1

Wer sich für Polarforschung interessiert, der wird an den Namen von Robert Falcon Scott und Roald Engelbregt Gravning Amundsen nicht vorbeigekommen sein. Die parallelen Expeditionen zum geografischen Südpol im Jahre 1911 wurden zu einem Duell und Wettlauf gegen die Zeit. Mit der Graphic Novel von Sarah Airriess folgen wir dem Team von Scott – erzählt aus der Perspektive des Zeitzeugens Apsley Cherry-Garrard.

von Daniel Pabst

Apsley Cherry-Garrard veröffentlichte im Jahre 1922 den Reisebericht „The Worst Journey in the World“. Dieser beginnt mit: „Polar exploration is at once the cleanest and most isolated way of having a bad time which has been devised“. Dabei hatte er gar nicht vorgehabt, seine Erlebnisse niederzuschreiben. Doch als ehemaliges Expeditionsmitglied von Robert Falcon Scott ließ er sich schließlich vom Antarctic Committee dazu hinreißen. Und siehe da: Sein Werk der „Terra Nova“-Expedition avancierte zum Klassiker der Reiseliteratur.

100 Jahre später nahm sich Sarah Airriess vor, den Klassiker als Graphic Novel herauszubringen. Im Jahre 2023 nun liegt auch bei Panini Comics die deutsche Übersetzung vor. Der erste Band hat insgesamt 170 Seiten, wovon 145 Seiten die Graphic Novel zeigen. Die restlichen Seiten werden mit einem ausführlichen Vorwort der Autorin sowie einem Anhang mit historischen Bezügen zu ihren Zeichnungen und Texten gefüllt.

Bereits in dem Vorwort wird deutlich, wie sehr es der Autorin eine Herzensangelegenheit war, sich diesem Klassiker in Form einer Graphic Novel zu nähern. Erstmals hörte sie – im wahrsten Sinne des Wortes – davon in der Hörspielfassung des BBC Radio 4. Danach fasste sie das Ziel: „Ihnen ein episches Abenteuer aus der Weltgeschichte zu präsentieren, mit Spaß und auf fesselnde Art.“ Panini Comics präsentiert das Ergebnis mit einem Hardcover-Band im Großformat (32,4 cm Höhe und 23,5 Breite). Das sieht schon mal episch aus.

Bemerkenswert ist der dokumentarische Stil und die Nähe zum Original, wie etwa durch das Telegramm von Amundsen, das Scott erhielt und das verkündet haben soll: „Madeira. Am going South. Amundsen“. In der englischen Graphic Novel befinden sich zudem hunderte Kommentare, die weitere Forschungsergebnisse enthalten, auf das Original verweisen oder mitteilen, was von der Autorin hinzugedacht wurde. Da der Anhang der deutschen Ausgabe mit 12 Seiten nicht alle Anmerkungen enthält, verweist die Autorin auf ihre eigene Webseite, wo schnell zu überprüfen ist, was geschichtlich gesichert und was künstlerische Freiheit gewesen ist: worstjourney.com/deutsch/.

Obwohl diese Graphic Novel den Titel „Die schlimmste Reise der Welt“ trägt, beginnt die Geschichte eher in „seichten“ Gewässern. Sie liest sich anfangs wie eine aufregende Reisegeschichte. Das Team um Scott lernt sich kennen und es werden die einzelnen Rollen an Deck verteilt. Denn die Reise beginnt nicht direkt am Südpol! Was viele vielleicht nicht wussten ist, dass das Expeditionsteam 1910 von Cardiff (Hauptstadt von Wales) aus in See stach. Sie segelten bis nach Neuseeland, um von dort aus Richtung Südpol zu steuern. Unterwegs entstanden wahre Freundschaften und die ersten Gefahren traten auf – denn das Meer kennt kein Erbarmen.

Sarah Airriess gelingt es hierbei treffend, die vielen Aspekte einer solchen Schiffsreise in die Bildsprache zu übersetzen: von lustiger Kameradschaft, den gemeinsamen Mahlzeiten an Bord und an Land sowie Trinkgelagen, bis hin zur tödlichen Gefahr durch Stürme und Unwetter, bei denen die Wellen das Schiff fluten und das Schiff zu sinken droht. Neben den menschlichen Beziehungen, steht die Natur im Vordergrund. Denn auch wenn die Mannschaft die Schönheit und Vielfalt der Natur bestaunt, so spüren sie die Unbezwingbarkeit und die totbringenden Naturgewalten.

Das ist mit ein Grund, weswegen der 1922 erschienene Bericht bis heute so viel Anklang gefunden hat und immer noch als Reiselektüre gekauft wird. Scott und sein Team versuchten, die Natur zu „lesen“ und zu dokumentieren und forderten sie gleichzeitig heraus. Dabei lief die Grenze zwischen Forschung und Leichtsinn fließend und man kann sich nur allzu gut vorstellen, welches Wechselbad der Gefühle sie durchlebten.

Und noch ein weiterer Gedanke drängt sich beim Lesen dieser Graphic Novel auf: Nimmt man die „schlimmste Reise“ nämlich nicht nur als Reisebericht, sondern als eine Allegorie, so wird jede und jeder einmal seine „winter journey“ durchqueren müssen. Dabei hilft einem die Freundschaft weiter. Aus heutiger Sicht mit all dem wissenschaftlichen Know-How und den technischen Mitteln zur Vorbereitung, wirkt es umso waghalsiger, dass damals solche Expeditionen gestartet wurden und sich Männer bereiterklärten, daran teilzunehmen …

Mit dem Zeichenstil von Sarah Airriess wird diesen Erlebnissen neuer Atem eingehaucht. Sie verleiht den Figuren eine Lebendigkeit und lädt zur Abenteuerlust ein. Beinahe übermütig scheinen die Abenteurer in vielen der Zeichnungen zu sein. Umso schlagartiger treffen die Leserinnen und Leser die Naturgewalten. Ebenso gelungen sind die Einschübe von Airriess, mit denen sie wie ein „Lehrbuch“ über das Packeis, über den „Protoplasma-Zyklus“ von T. Griffith Taylor und über den Kontrahenten Roald Amundsen berichtet.

Bei all der Faszination und Schönheit der Natur- und Tierwelt lauert der (bekannte) Ausgang der „Terra Nova“-Expedition – wie ein düstere Vorahnung – im Hintergrund. Desto weiter man dem Ende dieses ersten Bandes von „Die schlimmste Reise der Welt – Die Graphic Novel“ zusteuert, desto beklemmender und kälter wird es. Nach der abenteuerlichen Überfahrt bis zum Südpol wird in dem Fortsetzungsband die Durchquerung des Südpols anstehen. Bis dahin liest man am Besten das Original von Cherry-Garrard. Es bleibt ein Klassiker.

Fazit: Wenn ein Klassiker in eine Graphic Novel umgesetzt wird, scheiden sich die Geister. „Die schlimmste Reise der Welt“ aber macht dem Original alle Ehre. Sie versprüht die Freude am Abenteuer, warnt vor dem Hochmut und betont, dass die Natur nie zu unterschätzen ist. Wer sich nicht bestmöglich vorbereitet hat, der riskiert das Leben. Diese Graphic Novel ist lehrreich und sehr zu empfehlen. Sie entführt euch in eine Zeit, in der die „Eroberung“ der Erde ihren Höhepunkt fand. „The Worst Journey in the World“ ist ein zeitloses Lehrstück, welches mit dieser neuen Veröffentlichung einem noch größeren Publikum zugänglich gemacht wird.  

Die schlimmste Reise der Welt – Die Graphic Novel 1
Comic
Sarah Airriess, Apsley Cherry-Garrard
Panini Comics 2023
ISBN: 978--37416-3329-4
170 S., Hardcover, deutsch
Preis: 32,00 EUR

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