Die Fleischgärten von Carcosa

Zum Jahresende erschienen noch einmal einige neue Abenteuerbände für das Horror-Rollenspiel „Cthulhu“. Darunter befand sich auch ein Band mit dem grotesken Titel „Die Fleischgärten von Carcosa“. Carcosa, das lässt natürlich an den Gelben König denken, dem bereits einige Szenarien auf den Leib geschrieben wurden. Wie innovativ sind da noch die „Fleischgärten“?

von Jens Krohnen

Der vorliegende Abenteuerband enthält zwei Abenteuer, welche sich thematisch mit dem Gelben König beschäftigen. Diese Wesenheit stammt gar nicht von Lovecraft selbst, sondern wurde von Robert W. Chambers erdacht; das Buch, welches das Theaterstück rund um den Gelben König beschreibt, gilt als eine Art inoffizielle Vorlage für das „Necronomicon“ aus Lovecrafts Werk. Kein Wunder, dass mit „Königsdämmerung“ bereits eine umfangreiche Kampagne rund um den Gelben König verlegt wurde und auch bereits in der Frühzeit des cthuloiden Rollenspiels mit „Narrenball“ ein hochgelobter Klassiker diese Motive aufgriff.

Es sind also große Fußstapfen, in die sich „Die Fleischgärten von Carcosa“ wagt. Und tatsächlich ist es Autor Björn Winkler gelungen, eine ganz eigene Interpretation und Variation des Motivs einzubringen. Denn durch einen unglücklichen Umstand – welcher nur grob umrissen wird – gelangen die Investigatoren in die titelgebenden Fleischgärten des Gelben Königs, die dieser aus den lebenden Untertanen Carcosas geformt hat. In dieser lebensfeindlichen Umgebung müssen sie eine morbide Schnitzeljagd überleben, um wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Bei der Beschreibung der Fleischgärten schöpft der Autor aus dem Vollen und lässt seiner makabren Kreativität freien Lauf. So gibt es zahlreiche widerwärtige Landschaften – von der Hirnblumenwiese über die Magenbaumwälder bis hin zum Lebergebirge –, die es zu erkunden gilt. Bevölkert wird diese widerwärtige Landschaft von Kreaturen, deren Existenzgrundlage ebenfalls menschliche Organe oder Körperteile sind – Lungenschmetterlinge, Fingerameisen oder Gliederwölfe gehören noch zu den harmloseren Bewohnern dieser Gefilde. Ergänzt wird das Ganze mit umfangreichen Regeloptionen – welche das Erwandern der Fleischgärten ungewöhnlich gestalten werden – und Zufallstabellen, Hilfestellungen und Informationen über den Gelben König. Hier findet sich auch die bislang kompletteste Variante des Theaterstücks, die ich bislang zu Gesicht bekommen habe.

Ich bin ein wenig hin- und hergerissen, was ich von dem Abenteuer halten soll. Auf der einen Seite stehen Stimmigkeit, Ungewöhnlichkeit und Kreativität; auf der anderen Seite stehen (natürlich) ein gewisser Ekelfaktor und die Tatsache, dass Investigatoren bei „Cthulhu“ eher zerbrechlich sind und sich das Abenteuer – aller Optionalregeln zum Trotze – als beinhart erweisen dürfte. Auch die Handlungsführung ist teilweise wenig subtil; immerhin ist aber der Großteil des Abenteuers als Sandbox gehalten. Am ehesten könnte ich mir vorstellen, diese groteske Spielwiese mit einem anderen System – vielleicht sogar einem OSR-Ableger – zu bespielen: für „Cthulhu“-Investigatoren erscheinen mir viele der hier aufgebauten Hindernisse als zu unlösbar. Auch als Ergänzung zu anderen Abenteuern mit Bezug zum Gelben König könnte ich mir einen etwas kürzeren – oder aber fokussierteren und/oder besser vorbereiteten – Ausflug in die Fleischgärten vorstellen.

Abgerundet wird der vorliegende Band mit dem ungleich kürzeren Abenteuer „Das Gelbe Zeichen“. Hierbei handelt es sich um eine Übersetzung, die bereits in der Zeitschrift „Cthuloide Welten“ veröffentlicht wurde und daher dem einen oder anderen Leser bereits bekannt sein könnte. Das Abenteuer ist für einen Spieler und Spielleiter gedacht und ein Paradebeispiel dafür, wie ein „One-on-one“-Abenteuer aussehen kann. Handlung und Spannungsaufbau sind hervorragend gelungen und trotz des klassischen 1920er-Settings wird die gelbe Attitüde des Bandes gut bedient.

Wie üblich für die Reihe der cthuloiden Abenteuerbände erscheint „Die Fleischgärten von Carcosa“ als Softcover-Band im Schwarz-Weiß-Druck. Die Illustrationen stammen dieses Mal aus der talentierten Feder von Nora Back und fangen die Fleischgärten mit einfachen Strichen recht gekonnt ein. Dieses Mal sind auch die Handouts wieder schick gestaltet, so dass technisch nichts zu meckern bleibt.

Fazit: „Die Fleischgärten von Carcosa“ bieten wirklich ungewöhnliche Abenteuer rund um den Gelben König. Dabei ist insbesondere das titelgebende Abenteuer eine Geschmacksfrage. Freunde von Body-Horror-Elementen finden hier mindestens eine große Ideenfundgrube; alle anderen werden hier wohl nicht wirklich glücklich.

Die Fleischgärten von Carcosa
Abenteuerband
Björn Winkler, Daniel Harms
Pegasus 2021
ISBN: 978-3969280416
80 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

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