Die Fleischgärten von Carcosa (II)

Die Erzählungen über den „König in Gelb“ und die verlorene Stadt Carcosa prägen seit Jahrzehnten die Publikationen der „Cthulhu“-Linie. In unzähligen Abenteuern und Kampagnen werden diese Motive, die ihren Ursprung in einer Kurzgeschichtensammlung von Robert W. Chambers aus dem Jahr 1893 haben, aufgegriffen und weiterentwickelt. „Die Fleischgärten von Carcosa“ widmet sich nun abermals dem Thema. Gelingt es dem Band, der Thematik neue und überraschende Facetten hinzuzufügen oder wird lediglich bereits Bekanntes neu verpackt?

von Oliver Adam

„Die Fleischgärten von Carcosa“ erscheint in der Reihe der preisgünstigen Softcover-Publikationen für „Cthulhu“, unter denen schon einige Titel besonders hervorstachen. Auf rund 80 Seiten beschäftigen sich die beiden in dem Band enthaltenen Abenteuer mit der Mythos-Gottheit wie auch dem gleichnamigen Buch „Der König in Gelb“. Das Titelbild greift dabei bereits sehr „schön“ die widerwärtige Grundtendenz des ersten Abenteuers auf.

Ich werde mich nun etwas ausführlicher den Abenteuern widmen und dabei auf wesentliche Handlungselemente eingehen. Wer die Abenteuer noch als Spieler erleben möchte, ist eingeladen, gleich zum Fazit zu springen.

Das dem Band seinen Namen gebende Abenteuer „Die Fleischgärten von Carcosa“ verschlägt die Investigatoren in die lebensfeindlichen Fleischgärten, die der König in Gelb aus menschlichen Leichenteilen erschaffen hat. Für die Überführung der Investigatoren wird in einem Präludium ein kurzer Exkurs aufgezeigt, wie sie dorthin versetzt werden können. Während das Intro noch sehr geradlinig ist, folgt das Abenteuer in den Fleischgärten keiner vorgegebenen Struktur. Die Investigatoren können die Geheimnisse in ihrem eigenen Tempo und auf ihren eigenen Wegen erkunden. Und zu erkunden gibt es auf dieser Welt einiges, vor allem die Body-Horror-Elemente sind vielfältig und abstoßend. Daher sollte man sich als Spielleiter vorab gut überlegen, für welche seiner Spieler dieses Abenteuer geeignet ist.

Auf ihren Reisen werden die Investigatoren unter anderem Tränenteiche, den Magenwald, die Zahnstraße und ein Hirnblumenfeld durchqueren und auf Fingerameisen, Lungenschmetterlinge und Sehnenspinnen treffen. Daher müssen die Investigatoren nicht nur um ihr körperliches Überleben kämpfen, sondern angesichts des allgegenwärtigen Horrors permanent um ihren Verstand fürchten. Die Masse an widerwärtigen Schauplätzen und Gegenspielern kann einigen Gruppen durchaus too much sein. An einigen Stellen hatte ich den Eindruck, dass es mit den normalen „Cthulhu“-Regeln nahezu unschaffbar ist, all diese Hindernisse zu überwinden. Dabei ist die Lösung des Abenteuers – den Weg zurück in unsere Welt zu finden – vergleichbar einfach. Eine zu Beginn aufgefundene Leiche muss wieder aus verstreut über die Fleischgärten verstreuten Teilen zusammengesetzt werden. Und da die Fleischgärten vollgestopft mit Körperteilen sind, ist es auch nicht allzu schwierig, diese zu finden – abgesehen von dem Gesicht, das im Schimmernden Palast gefunden werden kann.

Etwas konfus gestaltet sich der Aufbau des Abenteuertextes, der zuerst den möglichen Ablauf des Abenteuers, dann die Fleischgärten selbst und schließlich die besonderen Regeln beschreibt. Dies führt dazu, dass Vorkommnisse mehrfach im Text in unterschiedlicher Tiefe beschrieben werden. So wird der Schmelzboden im Aufbaubereich nur namentlich genannt, der Spielleiter aber darauf hingewiesen, dass „detailreiche Beischreibungen [...] hier angebracht“ sind. Erst sechs Seiten später wird dann dieser Schauplatz detailliert beschrieben. Im Kern ist „Die Fleischgärten von Carcosa“ ein Survival-Abenteuer mit viel Body-Horror und Ekelmomenten, das mit der richtigen Gruppenkonstellation und Erwartungshaltung einen vollkommen neuen Aspekt des Mythos vom König in Gelb hinzufügt.

Das zweite Abenteuer „Das Gelbe Zeichen“ ist deutlich kürzer und traditioneller ausgerichtet. Es ist für einen (einzigen) Spieler und einen Spielleiter ausgelegt und im Kern ein detektivischer Wettlauf gegen die Zeit. Der Spieler gelangt an eine Brosche, in die das Gelbe Zeichen eingraviert ist. Nach und nach kann herausgefunden werden, dass alle Vorbesitzer des Gegenstandes schrecklichen Unfällen zum Opfer fielen und diese Vorkommnisse immer näher an den Investigator herankommen. Bei zunehmendem Zeitdruck muss dieser seine Nachforschungen vorantreiben, um das Rätsel der Brosche zu lösen. Hier steht weniger der Horror im Mittelpunkt, auch wenn übel zugerichtete Leichen gefunden werden können, sondern der Druck der voranschreitenden Zeit. Darin liegt auch die Herausforderung des Spielleiters, dieser Zeitnot am Spieltisch ein Gesicht zu geben. Durch seinen eher traditionellen Aufbau und seine klare Ablaufstruktur eignet sich das Abenteuer auch sehr für unerfahrene Spielleiter und Spieler, die hier einen ersten Einblick in die Materie bekommen können.

Fazit: Der Abenteuerband „Die Fleischgärten von Carcosa“ widmet sich dem Thema „Der König in Gelb“ mit zwei vollkommen unterschiedlichen Abenteuern. Das Titel gebende Abenteuer ist ein Body-Horror Survival-Szenario mit weitgehender Handlungsfreiheit der Investigatoren, das fast schon inflationär widerwärtige Gegenspieler und Schauplätze einführt. Damit deckt es eine bisher nur wenig bespielte Facette der „Cthulhu“-Linie ab, für die aber auch die entsprechende Bereitschaft innerhalb der Gruppe vorhanden sein muss. Das zweite Abenteuer „Das Gelbe Zeichen“ folgt mit seinem detektivischen Ansatz dagegen eher traditionellen Pfaden und hat in seiner Ausrichtung an einen Spieler und einen Spielleiter sein Alleinstellungsmerkmal. Insgesamt ein empfehlenswerter Abenteuerband, wenn die entsprechende Gruppenkonstellation vorhanden ist.

Die Fleischgärten von Carcosa
Abenteuerband
Björn Winkler, Daniel Harms
Pegasus 2021
ISBN: 978-3969280416
80 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

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