Der Saturnische Kelch

Eine junge Frau in Nöten, geisterhafte Lichtgestalten, strömender Regen: Schon das Cover des neuen Abenteuerbandes für „Cthulhu“ verspricht stimmungs- und actionreiche Begegnungen mit dem Mythos. Kann der Inhalt hier auch mithalten? Riskieren wir einen Blick.

von Jens Krohnen

Insgesamt drei Abenteuer wurden hier von der Redaktion versammelt, wobei es sich um zwei Übersetzungen amerikanischer Texte sowie eine deutsche Eigenproduktion handelt. Irritierenderweise preist das vom Chefredakteur verfasste Vorwort den Band als Antwort auf den Wunsch vieler Spieler nach Szenarien mit vorgefertigten Investigatoren an. Diese werden jedoch nur von einem der Abenteuer mitgeliefert – und sind hier schlussendlich auch eher unnötig. Was bietet der Band stattdessen?

Nun, gerade die beiden amerikanischen Abenteuer eignen sich hervorragend als sogenannte „Convention-Abenteuer“. Sie sollten beide in recht kurzer Zeit durchzuspielen sein, arbeiten mit beschränkten Schauplätzen und überschaubaren Handlungsrahmen und bieten lösbare Begegnungen mit dem Mythos.

Den Anfang macht „Der Saturnische Kelch“. Der etwas sperrige Titel des Szenarios bezieht sich auf den sprichwörtlichen saturnischen Kelch, in dem ein Wesen vom Hofe Azathoths in einem alten Landhaus gefangen ist. Als letztes Überbleibsel eines missglückten Rituals kann das Wesen das Haus nicht mehr verlassen, da die ehemaligen Bewohner Schutzzauber zurückgelassen haben. Da kommen die mit ihrem Wagen liegengebliebenen Investigatoren gerade recht – mithilfe mächtiger Illusionsmagie beginnt das formlose Wesen geschickt, die Gruppe von seiner Sache zu überzeugen.

Das zweite Abenteuer, „Schatten über Providence“, wurde sogar extra für eine Convention geschrieben. Während des Besuchs einer Wanderausstellung werden die Investigatoren Zeugen eines dreisten Überfalls. Dabei geht allerdings eine altägyptische Kanope zu Bruch, was ein Wesen befreit, dass nach nunmehr 3000 Jahren in Gefangenschaft nach Rache giert.

Aus dem Rahmen fällt hier die deutsche Eigenproduktion aus der Feder von Michael Jaegers. Sein Abenteuer „Form 6“ lässt nicht nur den Schrecken in sehr ungewohnter Form auftreten. Nein, das ganze Szenario orientiert sich an alten B-Horrorstreifen aus den 60er bis 80er-Jahren und bietet damit zwar ein unverbrauchtes und neues Flair, wirkt im Kontext der anderen Abenteuer aber seltsam deplatziert. Das ändert allerdings nichts an der generellen Qualität des Abenteuers.

Während mir der Grundgedanke der beiden übersetzten Abenteuer gut gefällt, haben beide allerdings erhebliche Mängel in der jeweiligen Aufbereitung. „Der Saturnische Kelch“ bietet mit einem Gegenspieler, der nahezu beliebige Illusionen erzeugen kann, natürlich auch eine ebenso beliebige Handlung, was Spielerentscheidungen rasch entwerten kann. Dazu kommt, dass – wie bereits öfters in letzter Zeit von mir bemängelt – die Aufbereitung des Textes sehr schwafelig daherkommt und deutlich mehr Platz einnimmt, als notwendig gewesen wäre. Dafür verfügt das Abenteuer über gute Gruselszenen und ein paar knackige Rätsel, sodass der Spielleiter sicherlich noch einiges herausholen kann.

Übersichtlicher aufbereitet ist „Schatten über Providence“, dafür sind einige knallharte Railroading-Elemente in die Szenen eingewoben. Meine Empfehlung ist hier ganz klar, auf den genauen Szenenablauf des Überfalls – aller gewollten Dramaturgie zum Trotze – zu verzichten und hier einfach die Spieler mitspielen zu lassen.

„Form 6“ wiederum gelingt es, die freieste Handlung der drei Szenarien auf den wenigsten Seiten zu präsentieren, ohne viel Schnickschnack optionale und spielrelevante Szenen zu präsentieren und gelungene Optionen für das Finale aufzuweisen. Das weiß zu gefallen.

„Der Saturnische Kelch“ ist verhältnismäßig spärlich mit sehr durchschnittlichen Illustrationen versehen. Im Vergleich zu manch cthuloidem Folianten der Vergangenheit fällt der Band optisch deutlich ab. Mehr Liebe wurde allerdings wieder den zahlreichen Handouts zuteil, sodass diese wieder sehr gelungen sind. Nützliche und hübsch anzusehende Karten der wichtigsten Örtlichkeiten liegen ebenfalls vor. Die Ausstattung weiß mich also in Summe zu überzeugen. Lektorat und Korrektorat haben einen ordentlichen Job, gemacht, sodass es technisch nichts zu meckern gibt.

Fazit: „Der Saturnische Kelch“ bietet zwei Einsteigerabenteuer mit klassischen Motiven sowie einen interessanten Ausflug in eine ganz andere Art des Horrors. Wer über Schwächen in der Ausarbeitung hinwegsehen kann und eine abwechslungsreiche Abenteuersammlung für „Cthulhu“ sucht, wird hier zweifelsohne fündig.

Der Saturnische Kelch

Abenteuerband
Jon Hook, Matthew Sanderson, Michael L. Jaegers
Pegasus Press 2022
ISBN: 978-3-96928-042-3
96 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

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