Zugzwang in Kamborn

Nachdem wir im fiktiven Städtchen Kamborn bereits „Bauernopfer“ erbrachten und das „Königsgambit“ bestaunten, stehen wir nun also unter „Zugzwang“: Die Kamborn-Titel bleiben den Schach-Allegorien treu. Wie gelungen ist denn aber dieser neue Ausflug in das deutsche Arkham? Sehen wir gemeinsam nach.

von Jens Krohnen

Der letzte Besuch in dem von der deutschen „Cthulhu“-Redaktion als deutschländisches Pendant zum amerikanischen Arkham konzipierten Städtchen Kamborn liegt bereits einige Zeit zurück. Und auch in Kamborn schreiben wir mittlerweile das Jahr 1924, wie Chefredakteur Gill im Vorwort erklärt. Kamborn wird auch im vorliegenden Abenteuerband nicht näher beschrieben, sodass als Fakten die ungefähre Größe, die Verkehrsanbindung und eine kleine Universität gesetzt bleiben. Außerdem ist es natürlich Fakt, dass sich heutzutage niemand mehr an Kamborn erinnert – wie es dazu kommen konnte, wird möglicherweise einer der folgenden Abenteuerbände enthüllen, die diesem Fleckchen Erde gewidmet sind.

Spannenderweise wird dieser Abenteuerband mit einer Beschreibung von Kamborner Persönlichkeiten eröffnet. Diese haben in den beiden vorhergehenden Abenteuern – möglicherweise – eine Rolle gespielt. Die hier dargestellte Übersicht dient der Spielleitung als Hilfe, um noch einmal den aktuellen Status Quo abzuklopfen: Wer ist noch am Leben, wer hat gute oder schlechte Erfahrungen mit den Investigatoren gemacht? Und wer könnte in den kommenden Abenteuern vielleicht noch den einen oder anderen Gefallen schuldig sein? Dieses Kapitel ist prinzipiell prima, verwebt es doch erstmals die bislang doch sehr eigenständigen Kamborn-Abenteuer. Leider geschieht das rund vier Jahre nach Veröffentlichung des ersten Bandes, was das Kapitel ein wenig absurd macht. Entweder geht die Redaktion von sehr geduldigen Spielrunden aus, oder sie ignoriert, dass viele Spielleiter bereits gezwungen waren, andere Abenteuer im Kamborn-Rahmen unterzubringen.

Widmen wir uns den Abenteuern. Da wäre zunächst einmal „Schicksalsfäden“ aus der Feder des Routiniers Kaid Ramdani. Das Abenteuer beginnt, als sich im Zuge von Untergrundarbeiten plötzlich ein tiefes Loch im Boden auftut. Die Investigatoren, welche das Loch untersuchen wollen, müssen sich auf einen wahren Höllenritt einstellen. Denn – Achtung, Spoiler! – das Loch führt die Gruppe nicht nur immer weiter in die Vergangenheit, sondern auch in die Nähe des Gottes Atlach-Nacha. Zurück in der Gegenwart muss die Gruppe feststellen, dass die spinnenartige Wesenheit bereits seine widerwärtigen Fühler nach Kamborn ausstreckt … „Schicksalsfäden“ bietet Licht und Schatten. Während mir der erste Teil des Szenarios nicht zusagt – denn schlussendlich werden die Investigatoren ohne echte Handlungsmöglichkeit am Nasenring durch die Manege der Zeitreise gezogen –, ist der zweite Teil deutlich stärker. Zwar erfordert dieser Teil auch mehr Eigeninitiative von der Spielleitung. Wer diese einbringt, wird aber mit einem starken Plot belohnt, der auch für den eng geführten Einstieg entschädigt.

Das zweite Szenario, „Das Bergmann-Vermächtnis“, stammt von Steffi Hefner. Der Geist eines vor Jahren bei einem schiefgegangenen Ritual gestorbenen Zauberers übernimmt unversehens den Körper eines Einbrechers, der sich in seinem Haus umtut. Endlich wieder mit einem Körper ausgestattet, macht sich der Zauberer – Bergmann – daran, das Ritual ein weiteres Mal abzuhalten. Dazu verteilen er und seine Helfershelfer seltsame Bücher in der Stadt – und wer diese Bücher liest, ist hinterher nicht mehr derselbe … „Das Bergmann-Vermächtnis“ machte mich zunächst skeptisch, denn es leidet unter einer sehr langatmigen „Was-bisher-geschah“-Einleitung. Sogar so langatmig, dass die Autorin sich nicht auf alle Ereignisse festlegen wollte, sondern auch noch Optionen für die Spielleitung anbietet, was „wirklich“ geschehen war. Da derartige Einleitungen schlussendlich kaum Relevanz am Spieltisch besitzen, fürchtete ich bereits, die Langatmigkeit könnte sich auch auf den Rest des Szenarios erstrecken. Doch weit gefehlt: „Das Bergmann-Vermächtnis“ bietet eine intelligente Geschichte, zahlreiche Bezugspunkte für die Investigatoren (wobei man die eher erzwungen wirkenden Beziehungen gut ignorieren kann) sowie einen interessanten Gegenspieler.

Zwar hätten beide Szenarien das Potenzial, das Gesicht der Stadt nachhaltig zu verändern. Allerdings wird das „Konzept Kamborn“ nicht erkennbar weiterentwickelt. Da auch die meisten verwendeten Schauplätze reichlich generisch sind, ist nicht einmal die Stadtbeschreibung verdichtet. So hätte man beide Abenteuer auch beliebig anderswo verorten können. Wer hier auf eine Entwicklung einer Art „Metaplot“ gehofft hat, muss sich weiterhin in Geduld üben.

„Zugzwang in Kamborn“ erscheint als Softcoverband in Schwarz-Weiß. Wie die übrigen „Cthulhu“-Publikationen ist er mit zeitgenössischen Fotografien bebildert, sauber gelayoutet und übersichtlich gestaltet. Zahlreiche Karten – die wieder sehr hübsch anzusehen sind – unterstützen die Spielleitung. Auch Korrektorat und Lektorat haben saubere Arbeit geleistet. Lobend erwähnen möchte ich hier noch einmal die Handouts, welche optisch sehr ansprechend gestaltet wurden. Damit gibt es technisch eine gute Note von mir.

Fazit: Beide Abenteuer haben ihre Stärken und können – ein wenig Eigenarbeit der Spielleitung vorausgesetzt – überzeugen. Einzig das „Konzept Kamborn“ wird nicht richtig weiterentwickelt. Zwar hilft das erste Kapitel bei der Kampagnenplanung, führt aber zugleich auch die immense zeitliche Lücke vor Augen, die zwischen den einzelnen Kamborn-Bänden liegt. Als eigenstehende Abenteuer aber empfehlenswert.

Zugzwang in Kamborn
Abenteuerband
Kaid Ramdani, Steffi Hefner
Pegasus 2023
ISBN: 978-3-96928-088-1
80 S., Softcover, deutsch
Preis: 14,95 EUR

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