Daisy

Ein Cover, das hoch hinaus will. Ein Comic, der schockieren möchte. Was taugt „Daisy“ von Colin Lorimer? Angekündigt wird er als „grafisches Meisterwerk modernen Horrors“. Seine Grundlage findet er in der Spiritualität. Hat hier jemand Sehnsucht nach der Apokalypse – selbstredend nur im Stilmittel des Comics?

von Daniel Pabst

Bei dem Comic „Daisy“ von Colin Lorimer (Story und Artwork) und Joana Lafvente (Farben) handelt es sich um ein in sich abgeschlossenes Werk. Die (angebliche) Hauptfigur heißt Daisy und ihre Größe lässt sich bereits auf dem Cover entdecken. Wie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung steht sie an einer Wand mit Größenangaben. Sie ragt weit über die 7 „Foot“ hinaus – ist also rund 2 Meter 13 hoch. Hinzu kommen biblische Anspielungen wie der Heiligenschein, in ihren gefalteten Händen hält sie ein Kreuz mit Jesus und durch ihre Rüstung ähnelt sie Jeanne d’Arc. Und was sind das für Andeutungen auf ihrem langen Rock?

Dieses Cover trägt zur Spannung und zu vielfältigen Assoziationen bei. Waren da nicht auch Flammen, die an dieser Frau züngeln? Wird sie verbrennen, oder stammen die Flammen gar von ihr? Die graphische Augenweide wird von Cross Cult durch goldene Flecken auf dem Buchrücken und den Innenseiten ergänzt. Auch die Wahl eines Hardcovers macht „Daisy“ wertig. Von Beginn an hat man den Eindruck, ein Stück „Kunst“ in den Händen zu halten. Diese sehr gute Gestaltung wird durch den Abdruck von ganzseitigen Covern am Ende des Comics verstärkt. Sehr positiv fällt erstmals auch auf, dass bei den Angaben zum Kreativteam der Twitter-/ Instagram-Account oder Blog-Name abgedruckt wurde, um mehr über die Macher zu erfahren! Gerne immer so.
 
Nach dieser – überschwänglichen – Einleitung, folgt die Enttäuschung. Denn die Geschichte von Colin Lorimer kann mit der Zeichenkunst, den Farben und der Aufmachung nicht Schritt halten. Noch auf den ersten Metern – im ersten Kapitel – wurde vieles richtig gemacht. Wir sehen eine Gruppe an Kindern, die gebannt einer alten Erzählung lauscht. Diesen horrortypischen Kniff kennt man beispielsweise aus John Carpenter’s Kinofilm „The Fog“ („The Fog – Nebel des Grauens“) von 1980 mit Adrienne Barbeau als Stevie Wayne, bei dem im Vorspann Kinder an einem Lagerfeuer einer Schauergeschichte zuhören und der Horror seinen Anfang nimmt.

Schaurig-schön hätte es auch bei „Daisy“ werden können. An den Zeichnungen und der Kolorierung hat es, wie erwähnt, nicht gelegen. Vielmehr setzt Colin Lorimer zu viel voraus und klärt die Leser und Leserinnen nicht auf. So verliert er die Leserschaft. Das ist echt bedauernswert, da die Rahmenhandlung und das Setting die Zutaten für eine gelungene Horrorstory auf dem Präsentierteller serviert haben. Die Geschichte zu Beginn erzählt nämlich davon, dass die Engel eines Tages auf die Erde blickten und sie die Lust überkam. So geschah es, dass die irdischen Frauen von gefallenen Engeln überfallen wurden und Riesen – so wie Daisy – gebaren.

Diese groteske Idee hat Colin Lorimer aus dem Buch „Henoch“ übernommen. Im Comic vermischt sich dies mit der Suche einer Mutter („Lindsay“) nach ihrem vor fünf Jahren verschwundenen Sohn. Durch diese starke Figur hat die Leserschaft teil an der Horrorvorstellung, dass das eigene Kind eines Tages oder Nachts entführt wird. Lindsay erzählt dem Sheriff, dass ihr Sohn bei einer Rast mit dem Handy in der Hand im Auto sitzenblieb, und als sie und ihr Mann zurückkamen, sei die Hintertür offen und der Sohn fort gewesen. Nun versucht sie in dem kleinen idyllischen amerikanischen Dorf, in dem auch Daisy wohnt, einer neuen Spur nachzugehen …

Man merkt also, dass in diesem Comic der Horror auf verschiedensten Ebenen zur Schau gestellt wird. Die Anordnung der einzelnen Panels ist durchaus gelungen. Wer eindrucksvolle Momente ansehen möchte, der kann hier vorbeischauen. Leider aber ist dieser Comic an der falschen Ecke abgebogen. Alles wirkt sehr konstruiert. Daran können auch ein schießwütiger Sheriff, ein mysteriöser Mann mit biblischen Lettern auf seinem Körper oder eine Szene à la „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock nichts ändern. Wo nur ist der rote Faden geblieben?

Besonders enttäuschend ist die Geschichte, weil die eigentliche Hauptfigur so blass bleibt. Wir blicken zu keiner Zeit in die Innenwelt von Daisy. Auch erfahren wir nichts über ihre Vergangenheit. Natürlich lässt sich einiges zusammenreimen. Aber will man das? Hat man Freude daran, achtlos verstreute Puzzleteile zusammenzusetzen? Ehrlich gesagt, wirkt es so, als hätte Lorimer ein „Thumbnail“ erstellt und mit den Themen gefallene Engel, Riesen, Kannibalismus, Mystik, Spiritualität, Vaterkomplex, Kindesentführung, Body Horror, Okkultismus, Tierapokalypse, Sektenkult und jeder Menge Glaubensfragen umgarnt. Das reicht heutzutage nicht mehr für eine Leseempfehlung. Dafür gibt es zu viel Konkurrenz und zu viele andere Autoren, die ihrer Story Sinn geben.

Leseprobe

Fazit: Es ist wirklich schade, dass die Intention des Autors bei „Daisy“ bis zuletzt ein wenig durchscheint, aber keineswegs überzeugt. Der anfängliche Konflikt zwischen Himmel und Erde – beziehungsweise die Macht der Engel gegenüber den Menschen – wird durch die Suche nach dem verschwundenen Sohn verdrängt und in merkwürdiger Manier verknüpft. Beim Lesen stellen sich mehr Fragen als es Antworten gibt. Warum bleibt alles so vage? Entweder ein Autor hat den Mut, seine Meinung in Form eines Horror-Comics zu äußern (gerade dafür ist dieses Comic-Genre doch prädestiniert!) oder aber das Ganze bleibt ohne Wirkung. So ist dieses Werk ein Comic mit starken Zeichnungen und noch stärkerem Cover – ansonsten aber abschreckend wirr.
 
Daisy
Comic
Colin Lorimer
Cross Cult 2023
ISBN: 978-3-98666-079-6
128 S., Hardcover, Deutsch
Preis: 22,00 EUR

bei amazon.de bestellen