Blutige Geschäfte

Die Megakonzerne scheinen zu wanken. Der Krieg zwischen Atzlan und Amazonien (oder eher Atztech gegen Hualpa, Sirrurg und Horizon), der auch zu starken Reaktionen und Angriffen durch Anti-Drachen-Fraktionen führte, deutlich verschärft noch durch den Bürgerkrieg der Großen Drachen; die KFS-Krise; interne Schwierigkeiten in der Führung von Ares; die Absperrung von Boston und damit verbunden der Verlust der Konzernhauptniederlassung von NeoNET – die kleineren Konzerne wittern Blut im Wasser. Doch die Großen Zehn haben noch einiges in der Hinterhand, um Emporkömmlinge in ihre Schranken zu weisen.

von Adaon

Seit 2075 gab es Gerüchte darüber, seit 2076 gab es direkte Hinweise. Und zu Beginn des Jahres 2077 begann sie schließlich: die Megakonzern-Revision. Der Konzerngerichtshof (lies: Die Großen Zehn) hat neue, natürlich nicht öffentlich einsehbare Vorraussetzungen dafür festgelegt, welche Bedingungen ein Konzern erfüllen muss, um als Megakonzern zu gelten und den AA-Status zu erhalten. Da diese Einstufung auch die Exterritorialität bedeutet und da die Großen Zehn die Karten so gemischt haben, dass sie selbst als Sieger aus der Sache hervorgehen werden, gibt es in der Konzernwelt einen heftigen Aufruhr.

Denn Exterritorialität bedeutet Landesrechte auf konzerneigenem Gebiet im jeweiligen Land, einschliesslich dem Recht auf bewaffnete Schutztruppen (lies: eine eigene Privatarmee) und eigener Rechtsprechung. Praktisch eine erweiterte diplomatische Immunität, wo auch immer der Konzern sich niederlässt – solange er seinen AA-Status behalten kann. Und wenn er das nicht kann, ist er „nur“ noch ein sehr großer Konzern in einem Land (oder mehreren), an dessen Rechtsprechung und Steuergesetze er plötzlich gebunden ist.

Welcher Konzern wird herabgestuft, welcher behält seinen Status – sprich, wer wird zur Beute und wer zur neuen Konkurrenz? Fast noch wichtiger: Welche Konzerne werden zuerst geprüft? So mancher AA-Konzern bringt mehr wirtschaftliche Schlagkraft auf die Waage als die kleinen der Großen Zehn. Der Unmut darüber äußerte sich in immer stärkerem Druck, sowohl auf offiziellen Wegen als auch im eher schattigen Rahmen. Durch die Megakonzern-Revision wird dieser Druck zunächst nachlassen, während die „kleineren“ Konzerne versuchen, sich gegenseitig zu schwächen oder andere Konzerne zu schlucken, um selbst besser dazustehen.

Dies ist die Einführung in „Blutige Geschäfte“. Und direkt danach geht es mit 20 vorbereiteten Abenteuern ans Eingemachte. Wer nun aber denkt, diese Abenteuer seien für eine schlagkräftige Gruppe so entspannt wie die gelben Abenteuerbände, liegt falsch. Dieser Band ist grün, und das heißt, es gibt zunächst jede Menge Hintergrundinformationen. Ob und in welcher Form diese dann den Spielern zukommen, liegt im Ermessen des Spielleiters. Dieser wiederum wird nicht an die Hand genommen und mit einem zeitlichen Ablauf des Abenteuers, allen Werten vorkommender NSC (auch wenn es eine Menge im Buch gibt) und genauen Ortsbeschreibungen verwöhnt, sondern muss sich das gewünschte Abenteuer selbst im Detail erarbeiten. Es wird ein Grundgerüst geliefert, das neben dem grundlegenden Was, Wer und Warum des Ganzen mit einer Kurzgeschichten-Einführung für die passende Stimmung aufwarten kann. Natürlich werden auch viele weitere Informationen geliefert, und ein Spielleiter, der es sich zutraut, passend zu improvisieren, könnte diese Abenteuer direkt aus dem Stehgreif in Angriff nehmen.

Worüber sich jeder Spielleiter allerdings im Klaren sein muss: Die Abenteuer hier sind, im Gegensatz zu den gelben Abenteuerbänden, definitiv etwas für fortgeschrittene Charaktere. Hohe Bezahlung, große Herausforderungen und teilweise sehr hohes Risiko – Verhandlungen mit Drachen und Angriffe auf Schiffe auf hoher See sind ebenso dabei wie Geleitschutzaufgaben für einige der höchsten Spieler der Konzernwelt und Schutz für einen Arbeitstrupp in eines der tödlichsten Gebiete des Planeten. Noch nicht hart genug? Wie wäre es mit einer Beschattung und Extraktion in Manhatten, der sichersten Konzernenklave der Welt? Einer Verschwörung gegen den Konzerngerichtshof? Oder gleich direkten Aufträgen, um gegen einen Sicherheitskonzern vorzugehen? Für das Vorgehen der Charaktere werden zwar bewusst starke Freiheiten gelassen, doch manchmal gibt es sehr genaue Rahmenbedingungen von Mr. Johnson. Und bei diesen zu versagen, könnte für den jeweiligen Auftraggeber eine ... Enttäuschung darstellen.

Und das ist es also: 200 Seiten Hintergrund über die Welt von „Shadowrun“, davon 177 Seiten mit 20 Abenteuern, die vermutlich jede Runnergruppe an ihre Grenzen und oft weit darüber hinaus bringen wird. Es geht um das Vorgehen von Konzernen und Einzelpersonen, die Suche nach Macht oder Rache, der Abwendung von Gefahren oder dem Zufügen von Schaden. Abgerundet durch zahlreiche NSC-Profile in den jeweiligen Abenteuern und am Ende des Buches, ist dieser Band sowohl Informationsmaterial für diejenigen, die wissen möchten, wie sich die sechste Welt entwickelt, als auch Abenteuerfundgrube für Spielleiter mit erfahrenen Gruppen.

Fazit: Ein fetter Abenteuerband für hochstufige Charaktere. „Blutige Geschäfte“ ist tatsächlich das erste Quellenbuch, das aufgrund seines Aufbaus nicht unbedingt für jeden Spielleiter, der seiner Spielrunde die komplette „Shadowrun“-Welt bieten will, benötigt wird. Die gewohnt edle Aufmachung sowie die Massen an Inhalt sind zwar wie immer ihr Geld wert; da man jedoch eine Rollenspielrunde voll hochstufiger Charaktere mit tatsächlicher Erfahrung der Spieler in der Durchführung von Runs und einem guten Überblick über die Spielwelt braucht, sowie einen Spielleiter, der in der Lage ist, die vorgestellten Orte und Aktionen gut an seine Gruppe anzupassen, um die Abenteuer gemeinsam spielen zu können, sollte der Spielleiter sich selbst und seine Gruppe schon richtig einschätzen können, um das meiste aus diesem Buch herauszuholen. Ansonsten bieten die Abenteuer eine bequeme und massive Fundgrube, die nur noch im Detail ausgearbeitet werden muss – und natürlich Hintergrundinformationen über das Verhalten der Konzernwelt vor und während der Megakonzern-Revision.


Blutige Geschäfte
Abenteuerband
Lars Blumenstein, Jason M. Hardy, Andrew Marshall, u.a.
Pegasus Spiele 2016
ISBN: 978-3-95789-048-1
200 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 19,95

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