Blade Runner 2029 Band 2 – Echos

„Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“. In dem Comic von Mike Johnson und Andrés Guinaldo „Blade Runner 2029 – Echos“ bekommt es die Menschheit mit einem Replikanten zu tun, der ein Utopia herbeisehnt, in dem die Replikanten nicht länger als käufliche Diener, sondern als „gütige Götter“ leben. Neu ist diese Thematik der Handlung sicher nicht, aber die Art und Weise dieser Erzählung – gepaart mit der Atmosphäre des „Blade Runner“-Kults – weiß zu begeistern. Nehmen wir uns die Zeit und greifen nach einem Regenschirm, um uns in die neonfarbenen, regennassen Gassen von Los Angeles im Jahre 2029 zu begeben …

von Daniel Pabst

„Blade Runner 2029 – Echos “ ist die Fortsetzung von „Blade Runner 2029 – Alte Bekannte“. Wieder stammt die Story von Mike Johnson und erneut hatte er kreative Beratung von Michael Green, Mellow Brown und K. Perkins. Für die Zeichnungen verantwortlich war Andrés Guinaldo und die Farben sind von Marco Lesko. Veröffentlicht wurde der Comic bei Panini Comics. Neben der gewohnten Cover-Galerie erhalten wir am Ende dieses Bandes auch wieder einen exklusiven Blick in die Comic-Arbeit. Diesmal wird das für diesen Band ausgewählte Cover von der ersten Idee an begleitet. Die einseitige (schwarz-weiße) Tuschezeichnung von Harvey Tolibao sieht schon richtig gut aus und bietet die Möglichkeit, sich einmal selbst mit der Farbgebung zu versuchen. Oder man betrachtet die Farben von Kevin Tolibao, der dem „Blade Runner“-Stil treu geblieben ist.

Was sehen wir, wenn wir diesen Comic lesen? Der Replikant Yotun hält sich im Jahre 2029 für den Anführer der Stadt Los Angeles. Nachdem er den Festakt der menschlichen Elite, der auf einem Luftschiff stattfand, im wahrsten Sinne des Wortes „gesprengt“ hat, gab es im letzten Band seine wahnsinnige Ankündigung: „Los Angeles ist tot. Lang lebe Los Angeles“. Hier setzt „Blade Runner 2029 – Echos“ nahtlos an. Im ersten Panel sehen wir in einer Nebengasse einen fassadengroßen LED-Bildschirm, der eigentlich für Werbung gedacht war, wie er verlautet, dass eine unbekannte Gruppe eine Katastrophe herbeigeführt habe. Auch die Bürgermeisterin sei unter den Opfern. Dazu sehen wir das abgebrannte Luftschiff. Das ist ein sehr schockierender Einstieg für einen zweiten Teil, und man ist direkt wieder drin. Die Zeichnungen von Andrés Guinaldo und die Farben von Marco Lesko geben zudem keine Anlass, daran zu zweifeln, dass man eine Geschichte aus dem „Blade-Runner“-Universum vor sich hält. Hier wurde die so für „Blade Runner“ typische Atmosphäre perfekt umgesetzt.

Die weitere Handlung dieses Comics ist actionreich, spannend und absolut gelungen. Selbstverständlich werden uns Objekte und Motive präsentiert, die zu einer „Blade-Runner“-Geschichte gehören. Da sind zuallererst die omnipräsenten „Spinner“, deren Scheinwerfer aus den Panels grell hervorleuchten, dann der Regen und die roten Lampions, die die Nacht ein wenig erhellen und den trostlosen Gestalten beim Radfahren, Umherirren oder beim Essen und Trinken an den Straßenimbissen helfen sollen, die Tristesse vergessen lassen, und jede Menge Schrott, bunte Regenschirme, zahlreiche technische Gerätschaften und Pistolen. Bei der Inszenierung dieser Comic-Geschichte hat es sich wieder einmal ausgezahlt, dass das Kreativ-Team von Anfang an – also seit „Blade Runner 2019“ – zusammenarbeitet (und Michael Green beim jüngsten „Blade Runner“ Film von 2017 „Blade Runner 2049“ als Drehbuchautor Einfluss auf dieses Universum hatte). Die Spannweite des Kino-Science-Fiction-Thrillers von Ridley Scott in Anlehnung an die Geschichte des Autors Philip K. Dick („Träumen Roboter von elektrischen Schafen?“) wird so stringent und peu à peu im Comic-Format vergrößert.

Diesmal wird der Frage des Unterschieds zwischen Mensch und Maschine ein weiteres Element hinzugefügt. Auch Replikanten scheinen an Hybris zu leiden! Yotun sieht sich als Gott einer neuen Gesellschaft, doch verkennt dabei, dass er prometheusgleich die Gesellschaft von Los Angeles in Brand setzt. Seine Gefolgschaft sind die Replikanten, die sich in einem Rachefeldzug gegen ihre Unterdrücker – die Menschen – wähnen. Die Replikanten-Jägerin Aahna „Ash“ Ashina ist derweil die Gefangene Yotuns. Statt sie für ihre „Replikanten-Morde“ zu töten, plant er ein biotechnisches Experiment an ihr. Dieses soll eine „heilende“ Wirkung auf Ash haben! Das verwundert, da er bislang als „Heilsbringer“ für Replikanten aufgetreten ist…

Die Panels von ihrer  „Geburtsstunde“ sind erneut sehr eindrucksvoll gestaltet worden. Es blubbert überall und wir sehen sie in einem riesigen Reagenzglas. Gleichzeitig schwingt in diesen Bildern die Frage mit, ob Ash statt ein Mensch zu sein in Wirklichkeit ein Replikant ist, der „repariert“ wird. Kann die menschliche Existenz von künstlichen Substanzen oder Maschinen und Technik nicht nur profitieren, sondern wird von ihr am Ende unterworfen? Wie weit lassen sich Mensch und Maschine verschmelzen? Und was geschieht, wenn man selbst nicht mehr weiß, wer man ist?

Die Figur der Ash nimmt ein weiteres Mal Bezug auf den Kult-Replikanten-Jäger „Rick Deckard“, und hinterlässt gleichzeitig ihre eigenen Fußspuren. Das macht schon jetzt Freude auf einen weiteren Band, der „Blade Runner 2029“ abschließen wird. Der sehr gute Gesamteindruck von „Blade Runner 2029 – Echos “ wird noch besser, da am Ende des Bandes eine Bonus-Geschichte steht, die anlässlich des „Free Comic Book Day“ 2021 herausgegeben wurde. Hierin hat es Ash mit einem alltäglichen Auftrag zu tun. Für uns Leser und Leserinnen gestaltet sich dieser trotz (oder gerade wegen) seiner Kürze von sechs Seiten als gar nicht alltägliches Leseerlebnis: Ein Replikant steht inmitten eines Ateliers eines Bildhauers. Die Körperteile des Bildhauers liegen am Boden verteilt. Die Interaktion von Replikant und Jägerin konfrontiert uns mit dem Echo, welches in „Blade Runner“ durch die Replikanten entsteht. Was einmal kreiert wurde, kann hier wohl nicht mehr ungeschehen gemacht werden.
 
Fazit: „Blade Runner“ versprüht selbst 40 Jahre nach dem ersten Kinoerlebnis seinen Reiz. Die Fragen, was der Mensch erschaffen kann, welche Folgen daraus resultieren und ab wann sich Mensch und Maschine gleichen, wird nicht alt. Dieses bei „Blade Runner“ ständige Grundrauschen wird in „Blade Runner 2029 – Echos“ ergänzt um die Frage, wie viel Biotechnik der Mensch verträgt. Wenn die Replikanten zu Jägern mutieren und selbst die Polizei von Los Angeles kein Gegenmittel kennt, braucht es vielleicht eine neugeborene Jägerin, die selbst nicht so richtig weiß, wie ihr geschieht und wer sie ist. Mike Johnson und Andrés Guinaldo haben mit „Blade Runner“ eine sehr starke Comic-Reihe geschaffen, als deren Highlight dieser Band zu bezeichnen ist.

Blade Runner 2029 Band 2 – Echos

Comic
Mike Johnson, Andrés Guinaldo
Panini Comics 2022
ISBN: 978-3-7416-2788-0
116 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 15,00

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