Black Angel

„Black Angel“ fällt ins Auge. Große, schwere Box, auffallende Optik. Die Mechaniken sprechen für ein lupenreines Euro-Game, und die Autoren, die auch das viel gelobte „Troyes“ (mittelalterliches Setting) entworfen haben, für ein Spiel mit Tiefgang. Dazu noch ein Designer, dem es immer gelingt, den Kern des Spiels zu treffen. Kann da was schiefgehen? Das Ziel soll gewesen sein, kein 08/15-Weltraumspiel zu entwerfen. Das ist zweifellos gelungen.

von Kai Melhorn

„Black Angel“ erzählt die Geschichte des gleichnamigen Raumschiffs, welches sich auf einen beschwerlichen Weg zum Planeten Spes aufgemacht hat. Dieses Schiff hat keine geringere Aufgabe, als das Überleben der menschlichen Spezies zu sichern und das Erbgut der Menschheit bis zum neuen Heimatplaneten zu bringen. Die Steuerung des Schiffs wird gleich mehreren künstlichen Intelligenzen überlassen, denn die Nationen der Erde ließen es sich nicht nehmen, jeweils eine eigene KI zu entwickeln, die nun alle gleichzeitig für das Wohl des Schiffes und der wertvollen Fracht zuständig sind. Im Laufe der Jahre hat sich die Menschheit sowohl Freunde als auch Feinde gemacht, und daher werden die Ressourcen der Black Angel genutzt, um auf gemeinsame Missionen zu gehen und Handel zu betreiben. Die Feinde der Menschheit aber wittern ihre Chance, greifen das Schiff gnadenlos an und versuchen es zu zerstören, bevor es auf Spes ankommt.

Im Rahmen dieser Geschichte übernehmen die Spieler die Rolle der KIs. Sie schicken Roboter auf Missionen, entwickeln Technologien, wehren die Reaver (die Angreifer) ab und reparieren das Schiff. So gesehen wäre das ein wunderbares Setting für ein kooperatives Spiel, in dem gemeinsam um das Überleben der Menschheit gekämpft wird. Das Spiel ist aber nicht kooperativ und dementsprechend wird es notwendig, dass die KIs miteinander im Wettstreit sind. Aber warum sollte es einen Wettstreit zwischen KIs geben? Und überhaupt ist die Vorstellung, eine künstliche Intelligenz zu spielen, nicht übermäßig reizvoll, oder? Die Antwort ist nicht einfach und wurde schon kontrovers diskutiert. Die effizienteste KI, die am Ende der Reise die meisten „Systemprotokolle“ (SP) gesammelt hat, darf die Menschheit auf Spes in ihre blühende Zukunft führen. Die Beste gewinnt. Das wars.



Ich bin von der Story nicht übermäßig begeistert, aber ich finde sie auch nicht schrecklich. Mit ein wenig Fantasie ist die Story auch noch ausbaubar und der Wettstreit sowie das Misstrauen der Nationen gegeneinander werden förmlich greifbar. Warum man jedoch auch gewinnen kann, wenn die „Black Angel“ zerstört wird und warum man nach einer langen, guten Zusammenarbeit (der Flug soll laut Anleitung 1000 Jahre dauern) dann unbedingt alle bis auf eine KI abschalten will, sei dahingestellt.

Die Verpackung verspricht Spielspaß für ein bis vier Spieler ab zwölf Jahren und eine Dauer von 60 bis 120 Minuten. Diese Angaben sind in meinen Augen realistisch, aber natürlich hängt die Spieldauer stark vom Grübelfaktor der Mitspieler ab. Es gibt eine Menge zu beachten und jede Entscheidung könnte man gleich schon wieder bereuen, wenn man nicht alles durchdacht hat. Dementsprechend kann man mit zwölf zwar wahrscheinlich schon mitspielen, aber meine erste Wahl wäre „Black Angel“ in dieser Altersgruppe eher nicht.

Das Material

Gut finde ich die gesamte Haptik und zu einem großen Teil die Optik. Die Würfel bilden das zentrale Element des Spiels und sind entsprechend wertig. Eine weitere wichtige Rolle übernehmen die Roboter und die Raumschiffe, und die sind tatsächlich ganz wunderbar. Die kleinen Robbis werden entweder an Bord der „Black Angel“ eingesetzt oder in ihren Raumschiffen auf Mission geschickt. Für die Missionen werden die Roboter in die Schiffe gesetzt und passen dort unglaublich gut hinein. Fertigungstechnisch toll gemacht, denn die Toleranz ist hier wirklich minimal und mir ist keine Kombination untergekommen, wo der Roboter nicht optimal in das Raumschiff gepasst hätte. Die Karten im Spiel werden auf vielfältige Art und Weise auf dem Tisch verbreitet und haben dafür die richtige Größe und Stärke. Die Pappteile, Marker und Diamanten sind auch ganz nett, wenn auch nichts besonderes.

Der Aufbau der Spielfläche ist hingegen tatsächlich keine Alltagskost. Während das klassische Spielbrett das Innere der Black Angel darstellt, wo sich alles um Würfel, Aktionsfelder und die Invasion der Reaver dreht, liegt daneben ein eigenständiger Spielplan, der die Reise der Black Angel simuliert. Der Weltraum besteht aus Pappteilen, die aneinandergelegt werden und so eine große Fläche ergeben. Zu bestimmten Zeiten nimmt man eines dieser Pappteile von hinten weg, dreht es um und legt es auf der anderen Seite an. Dann rückt man die Black Angel, die in Form einer schönen Plastikminiatur in der Mitte Feldes aufgestellt wurde, ebenfalls in Feld nach vorne. So bewegt sie sich immer weiter durch den Raum und schließlich taucht am Ende die neue Heimatwelt auf und das Spiel nähert sich dem Ende. Die gestarteten Raumschiffe bewegen sich dort ebenfalls um das Mutterschiff herum, sodass neben dem Aktionsauswahlmechanismus noch ein weiterer Aspekt mit Bewegungen Weltraum hinzu kommt.



Weniger überzeugt bin ich von der Anleitung, denn nicht immer ist mir klar, wo ich ein bestimmtes Detail nachlesen kann. Teilweise werden Aktionen auch nur im Anhang in der Detailtiefe erklärt, wie man es sich für die Hauptanleitung gewünscht hätte. Zudem lässt die Spielerhilfe eine ganz Aktion weg, die auch in der Anleitung schon zu kurz kommt. Ansonsten ist das kleine Heft aber durchaus verständlich geschrieben und übersichtlich gestaltet.

Die Farbwahl ist aber in jedem Fall gewöhnungsbedürftig, da sie mich doch arg an die alten Zeiten mit meiner CGA-Grafikkarte erinnert. Weiß, pink, türkis und dunkelrot sind schon harter Tobak für die Spielerfarben. Allerdings hat diese seltsame Farbwahl den positiven Nebeneffekt, dass auch Farbenblinde damit gut auskommen müssten (zur Überprüfung habe ich eine App verwendet, die verschiedene Fehlsichtigkeiten im Farbspektrum simuliert). Am Schluss seien noch die ganzen Symbole erwähnt, die ein Spieler lernen muss. Es gibt reichlich davon und nicht alle sind sofort verständlich. Hier benötigt man etwas Zeit, um sich hineinzudenken, und man sollte den recht handlichen Anhang immer griffbereit haben, auf dem alle Karten und Plättchen einzeln erklärt werden.

Zusammengefasst bin ich mit dem Material sehr zufrieden, die Anleitung und die Spielerhilfe sind jedoch nicht perfekt gelungen.
 
Das Spiel

Nachdem der Aufbau erledigt wurde, wirft jeder Spieler seine drei Startwürfel, je einen der drei verfügbaren Farben, und legt sie in den persönlichen Bereich. Jede Runde muss man sich dann zwischen zwei verschiedenen Phasen entscheiden. In der Phase, die normalerweise gespielt wird, führt man Aktionen aus, in der anderen setzt man Teile des Spielfeldes zurück, bewaffnet sich mit neuen Würfeln und bewegt das Raumschiff weiter. In der nächsten Runde geht es dann wieder mit der anderen Phase weiter, in der man einen Würfel einsetzt, die entsprechende Aktion durchführt und ihn dann wieder in den allgemeinen Vorrat zurücklegt. Der Wert des Würfels (null bis drei) bestimmt dabei die Stärke der Aktion, was natürlich dazu führt, dass man auch mal Pech haben kann.



Allerdings gibt es Möglichkeiten, mehr aus seinem Ergebnis zu machen. Zunächst kann man eine bestimmte Ressource nutzen und einem anderen Spieler einen seiner Würfel abkaufen. Hat dieser nicht vorher schon ebenfalls eine Ressource investiert und den Würfel geschützt, kann er sich auch nicht dagegen zur Wehr setzen. Außerdem gibt es Schrott, der bei Reparaturen des Schiffes anfällt und gesammelt werden kann. Gibt man einen Schrottwürfel aus, lassen sich ausschließlich eigene Würfel auf die andere Seite drehen, die grundsätzlich um zwei Punkte stärker oder schwächer ist. Somit lässt sich also viel Pech kompensieren, und manchmal ist es sogar gut, weniger hohe Werte zu würfeln. Dieser Mechanismus funktioniert prima und hält das Spiel spannend. Der Blick aufs Brett zeigt recht schnell, mit welchen Würfeln man wahrscheinlich planen kann. Dennoch ist es immer wieder spannend, wenn die Gegner an der Reihe sind und sie sich für einen Würfel entscheiden. Es gibt allerdings auch frustrierende Momente, in denen absehbar ist, dass man die letzte wichtige Aktion nicht mehr ausführen kann.

Die verfügbaren Aktionen sind insgesamt überschaubar. Man kann Raumschiffe starten und im All Missionen erledigen. Diese geben entweder später einen Bonus oder können ebenfalls per Würfel aktiviert werden. Dadurch bekommt man Ressourcen, Raumschiffe oder auch Roboter, und natürlich ist das auch eine gute Möglichkeit Siegpunkte zu erlangen. Diese beiden Aktionen stehen mit jeder Würfelfarbe zur Verfügung, sie müssen dann nur zu der Missionskarte passen, die zum Einsatz kommen soll.

Die dritte Aktion ist je Farbe individuell. Mit gelb kann man Technologien erforschen, mit grün marodierende Reaver vom Schiff vertreiben und mit grau kann man die Schäden reparieren, die sie dort angerichtet haben. Jede dieser Aktionen liefert ihren eigenen Beitrag für das Erlangen von Siegpunkten.

Abgesehen von Missionen kommt für den Gewinn von Punkten ein Technologiespielbrett ins Spiel, das jeder vor sich liegen hat. Dort werden Technologien platziert, die durch den Einsatz von Schrott aktiviert werden können. Es gibt auch Spezialtechnologien, die nur der Generierung von Siegpunkten dienen, aber leider nicht uneingeschränkt genutzt werden können. Nur wenn man sich durch Weltraummissionen bei anderen Völkern verdient gemacht hat, bekommt man mehr Siegpunkte. Dieser Mechanismus klingt reizvoll, will aber einfach nicht so recht in das Konzept passen und wirkt deswegen ein wenig zu sehr hineingepresst. Zudem scheint die Arbeit, die man investieren muss, für den Gewinn zu hoch zu sein.



In Summe ergibt sich durch die Verzahnung aller möglichen Aktionen ein äußerst interessantes Puzzle. Wie in einem Spiel dieser Art meistens der Fall, hat man immer zu wenig Aktionen und immer hapert es an irgendwas. Dazu kommt die Planung der Aktionen, die auch immer die Möglichkeiten der anderen Spieler mit einbeziehen muss. Es ist auf der einen Seite wunderbar, könnte meiner Meinung nach für den einen oder anderen Spieler aber auch zu viel Verzahnung sein. Zu selten gelingt eine Aktionskette so, wie man es sich wünschen würde, niemals hat man das Gefühl, den großen Wurf geschafft zu haben. Dennoch krabbelt man an die Siegpunktleiste Stück für Stück nach oben und es kommt irgendwann zum spannenden Finale. Schließlich geht es den anderen Spielern häufig nicht viel besser. Auch der Solo-Modus hat seinen Reiz, und es gelang mir nicht auf Anhieb, den virtuellen Gegner zu schlagen. Ganz ohne glücklich gezogene Karten wäre mir ein Sieg bisher vielleicht gar nicht gelungen.

Fazit: „Black Angel“ ist ein außergewöhnlicher Titel. Die Interaktion in beiden Spielflächen, das Klauen der Würfel, der rotierende Spielplan und nicht zuletzt auch die Optik laden zu Diskussionen förmlich ein. Fast jeder Mechanismus und viele Designentscheidungen haben das Potenzial, die Spielerschaft zu spalten. Ich finde das Spiel trotz eines gewissen Frustpotentials und an einigen Stellen mechanisch wirkender Verzahnung aber gelungen und werde es gerne noch einige Male spielen.  Wem kann ich „Black Angel“ nun also ans Herz legen? Wer sich gerne in komplexe Spiele hineindenkt und es mag, ein Spiel zu verstehen, seine Strategien zu optimieren und es schlussendlich meistern zu können, hat hier eine Nuss zu knacken. Ich bin jedenfalls noch dabei.

Black Angel
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Sébastien Dujardin, Xavier Georges, Alain Orban
Asmodee 2019
EAN: 3558380065364
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 67,99

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