Barbarians of Lemuria (2017 Edition)

Das Rollenspielsystem „Barbarians of Lemuria“ geht in die zweite Runde. Die erste Version, damals noch von Ulisses Spiele und als schlichtes A5-Softcover, erschien im Jahr 2010. Nunmehr bringt Truant Spiele ein überarbeitetes Regelwerk als stolzes Hardcover. Natürlich ist das die Aufmerksamkeit des Ringboten wert.

von Morgath

Eines vorweg: Trotz des englischen Titels ist das Werk in deutscher Sprache erschienen. „Barbarians of Lemuria“ versteht sich als „Sword & Sorcery-Rollenspiel“ (noch so ein unnötiger Anglizismus). Das heißt, die Spieler schlüpfen in die Rolle von starken Männern und schönen Frauen und dürfen sich mit fiesen Schurken, verdorbenen Zauberern und gefährlichen Monstern herumschlagen. Es orientiert sich dabei an den Thongor-Romanen von Lin Carter. Es legt Wert auf ein schnelles, heroisches Spiel.

Die Regeln

Entsprechend einfach sind die Regeln gestaltet: Eine Probe erfolgt mit 2W6. Dazu kommen eventuell Modifikationen aus einem Attribut, einer Kampffähigkeit, der Heldenlaufbahn und/oder eine Gabe oder Schwächen. Im Endergebnis muss man mindestens eine 9 erzielen, um einen Erfolg zu haben.

Es gibt nur 4 Attribute (Stärke, Geschick, Verstand und Auftreten). Bei der Charaktererschaffung darf ein Spieler 4 Punkte auf diese verteilen. Es gibt auch nur 4 Kampffähigkeiten (Initiative, Nahkampf, Fernkampf und Verteidigung). Auch hier werden 4 Punkte verteilt. Und ein Held hat (zu Beginn) auch 4 Heldenlaufbahnen. Die Heldenlaufbahnen sind die Kernidee des Systems. Aus 27 Laufbahnen kann sich ein Spieler 4 aussuchen. Durch die Laufbahnen wird seine Herkunft, sein Beruf, seine Interessen, aber auch sein bisheriger Lebensgang symbolisiert. So könnte ein Spieler, der einen Ritter spielen will, zum Beispiel die Laufbahnen Adeliger und Soldat wählen, um seine Ritterschaft abzudecken und sich dann noch 2 weitere aussuchen, um seinen Hintergrund abzurunden (beispielsweise Jäger und Barde, wenn er in seiner Freizeit überwiegen Wild und Frauen gejagt hat). Gaben oder Schwächen geben dem Spieler einen zusätzlichen Würfel mit der Möglichkeit, den schlechtesten (bei Gaben) oder den besten (bei Schwächen) Würfel streichen zu dürfen/müssen.

Bemerkenswert an „Barbarians of Lemuria“ ist, dass es ganz ohne Fertigkeiten auskommt. Wenn ein Held etwas machen möchte, etwa eine Burgmauer erklettern, wird einfach geschaut, ob eine seiner Laufbahnen passt und dann der dortige Bonus angewandt. Im konkreten Fall würde Dieb passen, aber auch Soldat wäre in Ordnung, beispielsweise wenn der Spieler erklärt, dass sein Held an zahlreichen Belagerungen teilgenommen hat und dabei immer wieder Burgmauern erklimmen musste. Das System ist flexibel und fördert durch seine Offenheit auch gutes Rollenspiel, weil, wie das obige Beispiel zeigt, Spieler gezwungen sind, den Hintergrund ihres Helden auszuarbeiten, wenn sie die Bonuspunkte ihrer Laufbahnen erhalten wollen.

Das ist fast schon das gesamte System. Natürlich gibt es noch weitere Regeln, wie beispielsweise Heldenpunkte, mit denen man sich bestimmt Vorteile erkaufen oder Nachteile vermeiden kann, aber im Kern läuft alles auf den oben beschriebenen Mechanismus heraus.

„Barbarians of Lemuria“ ist ein tolles Regelsystem. Es ist unglaublich einfach! Es ist unglaublich einsteigerfreundlich! Es ist unglaublich flexibel! In weniger als 15 Minuten kann man einen Helden erstellen und losspielen. Also genau das, was fast alle Rollenspieler wollen, oder? Natürlich kann man trefflich darüber diskutieren, ob die 27 Laufbahnen gut gewählt sind oder ob es nicht besser gewesen wäre, einige davon zu streichen oder andere hinzuzufügen. Aber da dies ohne größeren Aufwand selber vorgenommen werden kann, sehe ich das nicht als ernsthaften Kritikpunkt. Im Kern ist „Barbarians of Lemuria“ ein schnelles und überzeugendes System.

Es ist perfekt für One Shooter, aber auch für längere Kampagnen geeignet. Selbst als Universalsystem – obwohl es dafür nicht vorgesehen ist – ist bestens geeignet. Mit nur wenig Arbeitsaufwand, kann man es auf jedes Setting anpassen. Ich für meinen Teil werde meine zukünftigen Fantasy-Abenteuer wohl überwiegen mit diesem System leiten.

Auch das Flair des Systems weiß zu gefallen. Die Spieler schlüpfen in die Rollen von Helden, und die Regeln lassen sie auch wie solche aussehen. Durch die Heldenpunkt beispielsweise können die Spieler unangenehme Folgen (wie Tod) abwenden, aber auch Geschehnisse zu ihren Gunsten beeinflussen. In diesem Sinne sind auch die Gegner in Gesindel, Handlanger und Schurken eingeteilt. Das Gesindel ist ziemlich schwach (es hat nur wenige Blutpunkte und kann dementsprechend schnell besiegt werden), während Schurken oft so stark wie die Helden selbst oder noch stärker sind. So wird gewährleistet, dass Spieler echte Helden sind und nicht von einem popligen Strauchdieb mit Würfelglück erschlagen werden.

Und der Rest

Neben den Regeln beinhaltet das Buch auch zahlreiches weiteres Material, darunter eine Beschreibung der Götterwelt und eine kurze Weltbeschreibung von Lemuria (dem Kontinent, auf dem das Rollenspiel spielt). Ein Kapitel befasst sich auch mit den Geheimnissen von Lemuria (hier werden beispielsweise die Magie oder die Macht der Priester erklärt). Es gibt Infos zu Waffen, Rüstungen und Ausrüstung, ein Bestiarium und einige ausgearbeitete Kurzabenteuer (hier Sagas genannt).

Lemuria ist geprägt durch uralte Wälder, endlose Steppen und hohe Berg, die von gefährlichen Monstern bevölkert werden. Dazwischen gibt es Flecken von Zivilisation. Vieles ist noch unerforscht. Die Reisen sind gefährlich. Viel Platz also für aufregende Abenteuer!

Das Regelwerk ist erfreulich vollständig und das auf weniger als 200 Seiten! Man benötigt keine weiteren Bücher und kann sofort losspielen.

Aufmachung

„Barbarians of Lemuria“ kommt als Hardcover für 29,95 Euro daher. Das Titelbild zeigt 3 Helden, die gerade dabei sind, in eine alte Grabkammer einzusteigen, die von einem Monster besetzt ist. Das Titelbild ist stimmungsvoll und passt gut zu dem System. Selbst die viel zu lange Klinge der Heldin und der viel zu lange Pfeil des Bogenschützen ändern daran nichts. Das Buch ist 192 Seiten dick und komplett in Schwarz-Weiß gehalten. Die meisten Bilder sind stimmungsvoll gezeichnet und geben die Stimmung von „Barbarians of Lemuria“ gut wieder. Der Text ist sauber und übersichtlich gelayoutet.

Trotzdem ist dies einer meiner Kritikpunkte. Das Layout wirkt so, als ob das jeder hinkriegen würde, der sich etwas mit Word und Excel auskennt. Von einem professionellen Buch erwarte ich jedoch mehr. Etwas mehr Farbe hätte dem Buch auch gut getan, selbst wenn man nur den Hintergrund pergamentfarbig gemacht hätte. Auch ist zu bemängeln, dass das Buch zu wenige Übersichts-Tabellen beinhaltet. So gibt es beispielsweise keine Übersichts-Tabelle zu den Laufbahnen und den Gaben und Schwächen, sodass dem Leser bei der Charakterschaffung nichts anderes übrig, als das Buch an der entsprechenden Stelle durchzublättern, um zu sehen, was es alles gibt. Eine Tabelle hätte vieles vereinfacht und ich fände es wünschenswert, wenn der Verlag diese Tabellen nachreichen und zum Downloaden zur Verfügung stellen würde.

Fazit: „Barbarians of Lemuria“ glänzt durch ein innovatives Regelsystem. Dank seiner flexiblen Mechanismen deckt es alle spielrelevanten Situationen ab, bleibt dabei aber trotzdem einfach und schnell in der Anwendung. Dass es in sich vollständig ist und trotzdem auf nur 192 Seiten auskommt, ist ein weiterer dicker Pluspunkt. Was soll man sagen? Einfach gut gemacht!


Barbarians of Lemuria
Grundregelwerk
Simon Washbourne
Truant Spiele 2017
ISBN: 978-3-934282-81-0
192 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

bei amazon.de bestellen