Arkham Horror – Dritte Edition

Wir befinden uns am Höhepunkt der Goldenen Zwanziger des letzten Jahrhunderts. Fieberhaft wird getanzt und gefeiert, um die Schrecken des letzten Krieges zu vergessen. Doch ein schwarzer Schatten zieht über dem kleinen Städtchen Arkham auf. Die Großen Alten drohen zu erwachen, und nur eine Handvoll Außenseiter hat den Mut, sich ihnen entgegenzustellen. Willkommen bei „Arkham Horror“.

von Bernd Perplies

Ich gestehe es gleich zu Beginn: Das kooperative Abenteuerspiel „Arkham Horror“, das auf dem Cthulhu-Mythos des US-amerikanischen Schriftstellers H. P. Lovecraft basiert, wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen. Gemeinsam mit „Runebound“ und „Descent“ führte es mich (in seiner zweiten Edition) Anfang der 2000er in eine neue Welt des phantastischen Spielens ein, die ich bis dato mit vereinzelt auf weiter Flur stehenden Werken wie „Talisman“ oder „HeroQuest“ nur rudimentär kennengelernt hatte. Man kann es sich in Zeiten von Kickstarter und immer neuen Genre-Schwergewichten kaum vorstellen, aber es gab mal eine Zeit, in der wir „doch nichts hatten“ – außer „Monopoly“ und „Cluedo“. Damals kam „Arkham Horror“, bei allen Ansprüchen, das es an die Spieler stellte – von Frustrationstoleranz bis hin zu herausragendem Informationsmanagement –, einer Offenbarung gleich. Entsprechend neugierig war ich, als ich erfuhr, dass eine dritte Edition mit vollständig überarbeitetem Spielgefühl herauskommen sollte.

„Arkham Horror“ an sich ist wahrlich kein neues Spiel. Die erste Edition erschien bereits 1987 bei Chaosium und wurde von Richard Launius als Strategiespiel basierend auf dem „Call of Cthulhu“-Rollenspiel des Verlags entwickelt. Es war eines der ersten Spiele überhaupt mit einem kooperativen Spielmechnismus und gewann 1987 auch den Origins Award als bestes Fantasy- oder Science-Fiction-Brettspiel. Rasch wurde das Spiel zum Kult. 2005 brachte Fantasy Flight Games dann eine zweite, deutlich überarbeitete Version heraus, die 2006 vom Heidelberger Spieleverlag auf Deutsch veröffentlicht wurde. Etwas mehr als zehn Jahre später, nämlich 2018, erschien dann die dritte Edition bei FFG in den USA, die 2019 durch Asmodee auch ihren Weg nach Deutschland fand.

Das Spielprinzip

Das Grundprinzip von „Arkham Horror“ ist auch in der dritten Edition unverändert. Die Spieler verkörpern Ermittler, die sich über einen (Spiel)Plan der fiktiven Stadt Arkham bewegen, Begegnungen haben, Ungeheuer bekämpfen, Ausrüstung sammeln und insgesamt verhindern wollen, dass einer der Großen Alten, jener kosmischen Schrecken, die Lovecraft vor annähernd hundert Jahren ersann, auf die Erde kommt und diese verheert. Dabei stehen die Ermittler (und Spieler) ständig unter dem Druck, denn Arkham wird von Kultisten und cthuloiden Wesenheiten überrannt, die Stadt selbst verdirbt unter dem Einfluss des Chaos und überall lauern Gefahren für Körper und Geist. Von der Atmosphäre her fühlt man sich also als Kenner gleich zu Hause.


    Viel Spielmaterial wartet in der Box auf einen - das erstmal sortiert werden will.

Doch schon spielmechanisch hat sich viel getan. Die zweite Edition war bei aller Stimmung noch sehr stark von den Spielmechanismen geprägt. So rissen überall Tore zu anderen Welten auf, aus denen Ungeheuer strömten, die das Terror-Level in der Stadt erhöhten – und bei einem gewissen Grad an Terror erwachte der individuell als Endgegner gewählte Große Alte. Gewinnen konnte man das Spiel, indem man alle offenen Tore versiegelte oder auf dem Spielplan sechs Ältere Zeichen für magischen Schutz aktivieren konnte. Alternativ war auch ein Endkampf gegen den Großen Alten möglich. Das war (und ist) in jeder Partie gleich.

Die dritte Edition kommt deutlich narrativer daher. So wählt man zu Beginn ein Szenario, das nicht nur die Rahmenbedingungen des Spiels beeinflusst, sondern vor allem den Ereigniskartenstapel, die Zusammensetzung des Monsterkartenstapels und die Archivkarten, auf denen die Geschichte erzählt wird. Diese Geschichten lesen sich durchaus unterschiedlich. So muss in „Echos aus der Tiefe“ beispielsweise verhindert werden, dass die Stadt R’lyeh aus den Tiefen des Ozeans auftaucht und der Gott Cthulhu erwacht – wobei im Laufe der Partie ganz Arkham zu versinken droht, denn R’lyeh taucht nicht irgendwo auf, sondern unmittelbar vor der Küste. „Das Erwachen des Azathoth“ dagegen bringt eine bizarre Verzerrung von Zeit und Raum mit sich, die den Ermittlern zunehmend zu schaffen macht, während sie versuchen, ein Ritual zu stoppen. Zwei weitere Szenarien bieten andere Schrecken. Ich will hier gar nicht zu viele Worte darüber verlieren. Klar, die Geschichten sind keine belletristischen Offenbarungen. Aber sie fangen die Atmosphäre des „Cthulhu“-Mythos sehr gut ein und sorgen für Spannung am Spieltisch.

Natürlich können auch noch so wohlfeile Stimmungstexte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Spielziele stets ähnlich sind: Es gilt auf der einen Seite, bei Begegnungen in Stadtvierteln Hinweise zu sammeln, um die Story voranzutreiben, und auf der anderen Seite geht es darum, Verderben zu bannen, das sich weiter und weiter ausbreitet – und die Handlung in eine negative Richtung lenkt. Gleichzeitig muss man sich Ungeheuern stellen, am Leben bleiben, irgendwie Geld und Ausrüstung beschaffen. Ein typischer Mangelmechanismus: Es gibt immer mehr zu tun, als man glaubt, bewältigen zu können. Das ist übrigens völlig normal für alle Spiele der „Arkham Horror“-Familie – etwa „Villen des Wahnsinns“ oder „Arkham Horror – Das Kartenspiel“. Aber auch wenn man ständig auf Adrenalin ist und sich ärgert, wie unfair und unbesiegbar dieses blöde Spiel doch ist: Das Gefühl ist eine geschickte Täuschung. Man kann die Szenarien schaffen! Das Spiel gibt einem durchaus die Gelegenheit dazu, auch wenn man zwischendurch Rückschläge erleidet. Sogar der Tod oder Wahnsinn des eigenen Ermittlers ist keineswegs das Ende. Man bekommt einfach einen neuen – und manchmal ist so ein Opfer sogar sinnvoll, wenn man mit einem geistig und körperlich völlig ausgelaugten Ermittler einfach nicht mehr vom Fleck kommt. Das mag hart klingen, aber das ist der Kampf gegen den Mythos eben.

Das Spiel wird über mehrere Runden gespielt, die aus jeweils vier Phasen bestehen. In der Aktionsphase kommt jeder Ermittler einmal zum Zug und führt bis zu zwei Aktionen aus. Das ist – siehe oben – eigentlich immer zu wenig, umso mehr freut man sich über Gegenstände, die einem eine dritte Aktion erlauben. Sich über den modularen Spielpan bewegen, Verderben bannen, Monster angreifen, Hinweise recherchieren: All das sind typische Aktionen, die allerdings immer nur einmal durchgeführt werden dürfen, ein etwas ärgerlicher Regelmechanismus, der das Spiel stellenweise verlangsamt, vor allem, weil man seine Bewegung nicht unterbrechen darf, um eine andere Aktion durchzuführen. So geht man oft nur einen Schritt (obwohl man sich durchaus weiter bewegen dürfte) und bannt etwa auf einem Feld etwas Verderben. Spieler, die sich die Partie erleichtern wollen, greifen hier zu Hausregeln.


    Der Spielaufbau eines typischen Szenarios - hier mit zwei Spielern.

In der Monsterphase werden die Gegner aktiviert, die sich oft bewegen und dann noch angreifen können. Hier muss man sehr auf die Reichweite der Monster aufpassen. Vom Kultisten über Tiefe Wesen bis zu den Hunden von Tindalos findet sich hier einiges Cthuloides, wobei auffällt, dass die Macher viele eigene Begrifflichkeiten für Gegner gefunden haben und eine ganze Reihe „typische“ Monster, wie etwa das Sternengezücht, der Mi-go oder der Shoggothe, fehlen. Stattdessen kämpft man gegen „Kinder der Leere“, „Leichenräuber“, „Treue Logenmitglieder“ und „Ghul-Priester“. Aber das ist vielleicht sogar eher im Geiste Lovecrafts, denn richtig schwere Geschütze – im Sinne von Monster – hat er in seinen Geschichten nur sehr sparsam aufgefahren. Seine Erzählungen handelten eher vom Unheimlichen als des plakativ Schrecklichen.

Apropos Erzählungen: Die Begegnungsphase sorgt für kleine Erzählepisoden an den verschiedenen Örtlichkeiten von Arkham. Mal hilft man bloß einer alten Dame über die Straße oder wartet auf den Zug eines Bekannten, der nach einem Unwetter Verspätung hat. Viel häufiger aber weht ein Hauch von Mythos durch die Zeilen, wenn man einen seltsamen Jadeanhänger im Kuriositätenladen findet, ein Säufer erzählt, dass seine Familie von einer fledermausähnlichen Kreatur entführt wurde, eine Wahrsagerin Unheil prophezeit, das einem droht, oder man beim Blick durch das Teleskop der Sternwarte einen Stern entdeckt, der an dieser Stelle nicht sein dürfte. Gegen Einsatz von Geld oder eine Fertigkeitsprobe erhält man dann meist Gegenstände, Verbündete, Zauber oder Hinweise. Auch geistige und körperliche Gesundheit wird so regeneriert.

Fertigkeitsproben sind einer der Kernmechanismen des Spiels. Jeder Ermittler hat fünf davon im Wert von eins bis vier (wobei Fokussierungen und Ausrüstung diesen Wert deutlich steigern können). Bei einer Probe werden sechsseitige Würfel in Höhe des Fertigkeitswerts geworfen. Jede 5 und 6 ist ein Erfolg, je nach Probe genügt ein Erfolg, manchmal werden mehrere gefordert. Wie üblich bei dieser Art von Spielen, werden die Proben durch zahlreiche Elemente – Ausrüstung, Segnung oder Fluch, Spezialfähigkeiten der Ermittler und mehr – modifiziert. Außerdem kann man unter Umständen Würfel neu werfen. Hier ist genaues Beachten aller Regelelemente sehr wichtig.

In der abschließenden Mythosphase schließlich gibt es, für Spiele der „Arkham Horror“-Familie schon typisch, zusätzlichen Ärger. Hier werden zwei Marker aus der Mythosquelle gezogen, die beispielsweise neue Monster auf den Spielplan bringen, Verderben platzieren, Hinweise auftauchen lassen oder einen besonders fiesen Dimensionsriss provozieren. Manchmal passiert auch gar nichts. Diese Phase am Ende jeder Runde ist der schon klassische Nackenschlag bei dieser Art von kooperativen Spielen, und man fürchtet jedes Mal erneut, was jetzt wieder für ein Mist passieren wird. Mit der Mythosphase endet eine Runde und es folgt die nächste. Das geht so weiter, bis man sich entweder durch die mehrstufige Herausforderung der Geschichte bis zum Finale gearbeitet hat – oder vom Spiel besiegt wurde.


    Trotz guter Ausrüstung: Allein ist das Spiel eher schwer, weil kein Ermittler in allem gut ist.

Kritik

Obwohl die Einstiegshürde mit 16-DIN-A4-Seiten Regeln und recht umfangreichem Spielaufbau zunächst hoch ist, reißt „Arkham Horror“ auf den ersten Blick mit. Das Spielmaterial ist Dank stabiler Komponenten und toller Illustrationen opulent, auch ganz ohne Plastik-Miniaturen. Veteranen fühlen sich an den Schauplätzen und mit den bekannten Ermittlern zudem direkt heimisch. Manche mögen es Recycling nennen, wenn man in jedem Spiel der „Arkham Horror“-Familie auf die gleichen Gesichter trifft (Hallo, Jenny Barnes!), mir gefällt diese Kontinuität. Sie sorgt für eine Geschlossenheit des Universums und unterstützt das narrative Element. Der in der dritten Edition modulare Spielplan ist zudem eine nette Idee, um Arkham in alle Richtung ausbauen zu können (etwa Richtung Kingsport), ohne dass man am Ende ein riesiges Spielbrett auf dem Tisch liegen hat, wie noch in der zweiten Edition. Entgegen manch anders lautender Meinungen ändert sich die Geographie dabei übrigens nicht – zumindest nicht auf unrealistische Art und Weise. Die Örtlichkeiten bleiben in Relation zueinander immer gleich, allerdings wird mal hier, mal da ein Viertel ergänzt und an anderer Stelle eins weggelassen.

Auf den zweiten Blick nervt einen „Arkham Horror“ ein wenig. Durch die Einschränkungen in den Aktionsmöglichkeiten – nichts doppelt, Bewegungen sind nicht teilbar – wird das Vorankommen künstlich erschwert. Mitunter erscheint es einem, als trete man bloß auf der Stelle, weil einem das Spiel genauso schnell Monster und Verderben auf den Tisch haut, wie man sie beseitigt. Die angegebene Spieldauer von zwei bis drei Stunden ist da sehr optimistisch angesetzt. Aber das kennt man von Fantasy Flight Games zugegebenermaßen. Ungeduldige Naturen könnten hier jedoch innerlich aussteigen, weil sie das Prinzip zu sehr frustriert, denn wofür gibt es das narrative Element, wenn man es nicht erleben kann?

Wer jedoch Sitzfleisch beweist und auch mal Mut zum Opfer (eines Ermittlers) an den Tag legt, der wird merken, dass die „Unbesiegbarkeit“ der Szenarien – wie oben schon erwähnt – nur Show ist. Rückschläge sind in die Geschichte ebenso eingeplant wie ein mühsames Vorankommen. Auch wenn jeder Abschnitt so wirkt, als wäre die Welt schon fast untergegangen, so bleibt doch genug Luft, um am Ende siegreich aus dem Szenario hervorzugehen – natürlich nicht immer, aber das liegt in der Natur kooperativer Spiele. Hat man sich jedenfalls durchgebissen, fühlt man sich umso besser und merkt, dass man ein erfreulich dichtes Szenario erlebt hat. Schön ist auch, dass die Regeln insgesamt etwas verschlankt wurden, sodass man das Spiel schon nach einer Partie ganz gut ohne viel Regelblättern bewältigen kann – sofern man sich im Kenner-Segment zuhause fühlt und nicht normalerweise „Monopoly“ spielt.


    Nach viel Leid (und zwei Toten) ist das Abenteuer knapp, aber glücklich überstanden!

Einen kleinen Dämpfer erfährt die Freude dann – das will ich nicht verschweigen – beim Aufräumen des Spiels, denn das Papp-Inlay ist ein Witz und trägt nichts zur Ordnung der zahlreichen Karten und Pappmarker bei. Wer hier nicht Unmengen an Ziplock-Beuteln vorrätig hat oder auf die Luxus-Sortierhilfen von Feldherr oder e-Raptor zurückgreifen will, der muss mit heillosem Chaos im Boxen-Inneren leben – mit aller Sortierarbeit, die das bei der nächsten Partie mit sich bringt. Hier könnte sich FFG bei einigen Konkurrenten echt eine Scheibe abschneiden. So teuer kann ein tiefgezogenes Kunststofftray nicht sein. Bei einem 60-Euro-Spiel sollte das drin sein.

Fazit: „Arkham Horror“ in seiner dritten Edition ist weniger ein Nachfolger der zweiten Edition, als vielmehr ein eigenständiges Spiel. Das Grundprinzip bleibt zwar gleich, das Storytelling-Element ändert jedoch so viel, dass Besitzer der alten Ausgabe diese nicht zum Flohmarkt geben müssen, wenn sie sich das neue Spiel gegönnt haben. Oder anders gesprochen: Man kann auch das neue Spiel absolut ausprobieren, auch wenn man schon alle Erweiterungen des alten besitzt. Von den Szenarien her ist es nicht ganz so innovativ wie etwa „Villen des Wahnsinns“ oder „Arkham Horror – Das Kartenspiel“, dafür kommt es ohne App aus (großer Pluspunkt!) und ist zugänglicher als das Living Card Game. „Arkham Horror“ war schon früher das Einstiegsspiel in das Themenfeld cthuloider Brettspiele, von dem aus man sich weiter zu noch gewichtigeren Spielen wagen konnte. Diese Rolle erfüllt es auch in der dritten Ausgabe noch perfekt.

Arkham Horror – Dritte Edition
Brettspiel für 1 bis 6 Spieler ab 12 Jahren
Nikki Valens u. a.
Fantasy Flight Games/Asmodee 2019
EAN: 4015566027596
Sprache: Deutsch
Preis: ca. EUR 59,99

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