Anachrony – Risse der Zeit

Für Hardcore-„Anachrony“-Spieler haben wir mit „Risse der Zeit“ die erste „richtige“ Erweiterung. Zumindest wurde hier 2019 nochmal eine eigene Kickstarter-Kampagne zu „Fractures of Time“ gelauncht – zusammen mit der Infinity-Box. So viel sei gesagt: „Risse der Zeit“ macht „Anachrony“ zu einem expertigen Spiel und verursacht Risse im Kopf. Wen das nicht abschreckt, der spielt „Anachrony“ auf einem ganz neuen Level. Blinzel, blinzel.

von LarsB

Der Karton ist pickepacke voll. Die Anleitung ist 24 Seiten dick. Hier kommt ein Erweiterungsbrecher. Die 24-seitige Anleitung zu den Solospielmodi Chronobot und Chronossus erwähne ich hier nur einmal. Ein neuer, fünfter Pfad blinzelt uns entgegen, der uns für Partien mit dieser Erweiterung mehr Auswahl gibt. Das ist wohlgemerkt keine Fünf-Spieler-Erweiterung. Auch hier finden wir ein optionales Modul mit den „Variablen Anomalien“. Das Herz dieser Erweiterung macht aber das Gesamtwerk aus.

Das Spielmaterial

Der Pfad der Einheit als neuer Pfad ist komplett ausgestattet. Die Exosuit-Werkstatt für die Implementierung des Moduls „Pioniere der neuen Erde“ ist ebenso dabei wie die 6 hervorragend gestalteten Paladin-Miniaturen. Check.

Wir finden hier auch neu balancierte Austauschgebäude für das Grundspiel. Außerdem gibt es neue Anführer für jeden Pfad. Diese beziehen sich mit Ihren Fähigkeiten aber auf die „Risse der Zeit“-Erweiterung. Ein neues Spielbrett für die Tischmitte ist auch dabei sowie jeweils zwei Spielbretter für jeden Spieler, Plättchen, Plättchen, Plättchen, Karten und ein neuer Punkteblock sowie zwei neue Custom-Würfel.

Es ist langweilig, aber wahr: Die Komponenten sind auch hier in bewährter „Anachrony“-Qualität vorzufinden. Einfach sehr gut.

Das Modul „Variable Anomalien“

Die neue Endwertungskarte „Wer hat am meisten Anomalien?“ vermag zunächst zu irritieren. Wenn man dann aber den Blick auf die Anomalie-Plättchen wirft, stellt man fest, dass Anomalien nicht immer total abnerven. Manche von ihnen sind sogar recht brauchbar, weil sie dem anomalisierten Spieler Aktionen erlauben. Andere stören am Spielende kaum, weil sie nur wenige Siegpunkte kosten. Wiederum andere Anomalien beeinträchtigen den Spieler mit ihrem passiven Effekt. Wie gut, dass man die Wahl hat zwischen zwei Anomalien. Diese werden in dieser Erweiterung so behandelt wie Gebäude: Es gibt zwei Stapel, und in jeder Vorbereitungsphase wird die oberste Anomalie des „Nachziehstapels“ auf den „Ablagestapel“ gelegt. Einige Anomalien erlauben das Entfernen von Warp-Plättchen nur vor beziehungsweise nach dem Einschlag.

Aufgepasst, es kann nur eine Anomalie pro Zeitalter über den aufopferungsvollen Einsatz eines Arbeiters entfernt werden. Dafür gibt es nun ein Arbeiterfeld auf dem sogenannten Anomalie-Entferner-Plättchen. Und wenn das voll ist, ist es eben voll. Am Ende der Runde stirbt der eingesetzte Arbeiter dann aber auch. Er quält sich hier anscheinend noch etwas länger (bis in die Aufräumphase hinein) als im Grundspiel. Folglich muss man sein Anomalie-Management langfristiger auslegen.

Diese Erweiterung macht das Anomalie-Handling deutlich interessanter. Natürlich spielt auch ein bisschen das Glück mit hinein, welche Anomalien wann im Zugriff sind. Am Ende muss man sich dann manchmal zwischen Pest und Cholera entscheiden, manchmal zwischen Schweinegrippe und Fußpilz. Ihh! Fußpilz! Allen Anomalien bleibt aber gemein, dass die Entfernung weiterhin zwei Rohstoffe beziehungsweise ein Neutronium sowie ein Wasser und die arme Arbeiterseele kosten.

Die Erweiterung „Risse der Zeit“

Endlich gibt es das Zeitalter „Null“. Hier warpen wir uns auf die Schnelle ein paar praktische Rohstoffe oder Arbeiter. Und schon ist es auch schon vorbei mit dem nullten Zeitalter. Was aber gefällt: Das Zeitalter eins wird nun komplett gespielt – mit Anomaliephase. Und auch mit der Möglichkeit, sinnvoll Zeitreisen schon im Zeitalter eins zu starten. Hervorragend!

In dieser Erweiterung werden nur fünf Zeitalter gespielt. Nur fünf? Ja, genau. Nur fünf. Das liegt am Blinzeln und an den Fluxkernen. Und noch auch an den Maschinisten. Diese neue Arbeiterklasse hat es nämlich voll drauf mit dem Blinzeln. Flux ein Fluxkern in den Rissgenerator hineingeschmissen und schon schicken wir einen bereits auf dem Hauptplan eingesetzten Exosuit auf die Reise zu einer anderen Aktion – auf dem Hauptspielbrett oder auch einem Nebenspielplan. Das nennt man im Fachjargon Blinzeln. Und der Maschinist macht das einfach so. Ohne Komplikationen. Nicht so wie die anderen Versager: diese Administratoren, Wissenschaftler, Ingenieure und Genies. Diese Blinzel-Stümper verursachen beim Blinzeln oft Probleme. Über die Versagenswahrscheinlichkeit entscheiden Füllstand des Rissgenerators, Ausbaustufe des Rissgenerators und – besonders thematisch – zwei Würfel. So funktioniert der Rissgenerator eben. Und schwupps, klebt einem plötzlich ein Störungsmarker an der Backe oder auf einem Gebäude oder auf der Zeitreiseleiste oder sonst wo. Diese Marker stören dann den Betrieb von Gebäuden oder versagen dem Spieler den Aufstieg auf der Zeitreiseleiste. Sie tun das solange, bis man sie losgeworden ist. Und auch hier helfen nur Maschinisten weiter. Außerdem können Maschinisten die Fluxkerne wieder aus dem Rissgenerator entfernen. Damit müllt der nicht so zu und die oben genannten Versager tun sich beim Blinzeln leichter. Damit wären die Aktionsmöglichkeiten auf dem neuen Spielertableau im Wesentlichen beschrieben.

Doch wo kriegt man eigentlich diese Maschinisten? Die findet man auf dem neuen Tal-Spielbrett, welches das Amethynia-Tal repräsentiert. Das gibt es in der Ausführung für 2-3 Spieler und für 4 Spieler mit entsprechend mehr Einsetzfeldern. Einige der Felder ermöglichen dem Spieler, die Fluxkerne für das Blinzeln und/oder Energiekerne für das exzessive Exosuiten zu beschaffen. Gerade die zusätzliche Möglichkeit, an Energiekerne zu kommen, fühlt sich gut an. Auf dem Tauschbazar erschienen sie immer arg teuer. Und das Rekrutieren von Ingenieuren ist eben nicht immer möglich. Wer dann kein Energiekern-Produktionsgebäude sein Eigen nennen konnte, lag schnell auf dem Trockenen.

Es gibt Hexagone, die einem im Rahmen eines Tal-Recruitings einen Maschinisten kredenzt haben. Sie sind die nordischen Kombinierer von „Anachrony“. Sie können alles, aber nichts richtig gut – bis auf den Umgang mit Fluxkernen und Störungsmarkern. Da hinkt der Vergleich mit den nordischen Kombinierern. Sonst jedenfalls bekommen Maschinisten keine Boni. Punkt. Statt eines Maschinisten anzuheuern, kann man sich aber auf denselben Feldern auch Technologie-Karten kaufen. Diese geben dem Spieler neue Möglichkeiten. Mächtige Möglichkeiten. Nicht spielbrechend mächtig, aber in der richtigen Situation schon sehr erfreulich mächtig. Und manchmal gibt’s eine Prise Siegpunkte für den Schluss obendrauf. Dafür kostet die Karte auch ein bis zwei Rohstoffe, manchmal einen Aal und eben eine Exosuit-Aktion für den Erwerb. Und auch den Verzicht auf einen Maschinisten. Den hätte man ja anheuern können.

„Risse der Zeit“ spannt völlig neue Planungsebenen auf. Als Spieler muss ich nun nicht nur einen Arbeiter in den Exosuit verfrachten, der für die jeweilige Aktion einen Bonus absahnt. Ich muss auch schauen, dass der Arbeiter mir eine Blinzel-Folgeaktion erlaubt. Den Ingenieur etwa kann ich ja nicht zum Forschen schicken. Dann weiter: Wenn ich einen Exosuit von einem Feld wegblinzele, dann wird es ja wieder frei. Also plane ich die Blinzelei zeitlich so, dass es den Mitspielern nicht nützt. Auf der anderen Seite muss ich schauen, dass meine Zielfelder auch noch frei sein müssen. Und da stellt sich dann die Frage: Schicke ich einen Exosuit lieber direkt auf den Nebenspielplan (von dort lässt er sich nicht wegblinzeln) oder nutze ich den Suit besser über eine Aktion auf dem Hauptspielplan mit anschließender Blinzel-Aktion. Das richtige Timing wird wirklich wahnsinnig anspruchsvoll. Und die Planung solcher Züge verdreht Spieler den Kopf. Das Spielbrett wird damit deutlich dynamischer. Und es eröffnet auch Raum für Spekulationen. Bestimmt wird doch das Baufeld bald wieder frei…?

Fazit: „Risse der Zeit“ ist der nächste Schritt für „Anachrony“-Spieler, wenn sie nicht nur nach Abwechslung suchen, sondern nach verzwickteren Entscheidungen. Für ein Partie „Risse der Zeit“ würde ich ein paar Kerben auf dem „Anachrony“-Holz empfehlen. Die Timing-Aspekte sind vielschichtig und interessant. Und vielschichtig. Und interessant. Das Brett wird einen guten Schuss dynamischer. Die variablen Anomalien passen in jede Partie „Anachrony“. Die Ausstattung ist komplett, sodass einer Kombination mit anderen Modulen nichts im Wege steht. Außer der Riss im Gehirn. „Risse der Zeit“ spielt man lieber ausgeschlafen.

Anachrony – Risse der Zeit
Brettspiel-Erweiterung für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
David Turzi, Viktor Peter, Richard Amann
Skellig Games 2024
EAN: 0099451119539
Sprache: Deutsch
Preis: 59,00 EUR

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