Wenn Engel fallen

Er gehört zu Wolfgang Hohlbeins berühmtesten und langlebigsten Schöpfungen: Robert Craven – der Hexer – bekämpft nun schon seit über 20 Jahren die Lovecraft‘schen Großen Alten und deren niedere Diener menschlicher und monströser Art. „Wenn Engel fallen“ von Matthias Oden legt Pegasus nun das erste Soloabenteuer zum letztjährig gestarteten „Der Hexer von Salem“-Rollenspielsystem vor.

von Christian Humberg

 

Betreiben wir doch mal ein wenig Fandom-Archäologie

Wir befinden uns inmitten der achtziger Jahre. Die spätere Generation Golf sitzt noch friedlich planschend in der Wanne und freut sich auf „Wetten Dass...?“, der Bundeskanzler heißt noch Kohl und ein Heftromanschreiberling aus dem Neusser Raum stolpert bei einem seiner Verlagsbesuche in den Büros von Bastei auf eine Zeichnung, die der Verlag gerne als Romancover nutzen würde, sich dazu aber bisher keinen Inhalt vorstellen kann. Unser Autor, Wolfgang Hohlbein benamst, auch wenn ihn seine Leser zu dieser Zeit noch eher unter Pseudonymen wie Henry Wolf kannten, klemmt sich besagtes Bild unter den Arm und verlässt das Verlagshaus mit dem vor Optimismus triefenden Versprechen, ihm falle da sicher schon was ein.

In diesem Moment wurde eine Legende geboren, denn was der Autor letztendlich ablieferte und was dann unter dem Titel „Als der Meister starb“ zu Band 567 der Horror-Anthologieserie „Gespenster-Krimi“ wurde, war der Startschuss für eine lange Reihe von Abenteuern. Hohlbeins Held, der junge Amerikaner Robert Craven, unfreiwillig zum Kämpfer gegen monströse uralte Kreaturen geworden, sollte noch mehrere Male im „Gespenster-Krimi“ zum Einsatz kommen, bis man ihm in Form der Heftromanreihe „Der Hexer“ schließlich seine ganz eigene Auskopplung gönnte, die es immerhin auf 49 Hefte und eine knapp zweijährige Laufzeit brachte.

Nach der Einstellung der von Fans geliebten, von der breiten Masse des damaligen Heftromanklientels aber eher ignorierten ambitionierten Serie legte Bastei selbige in stark gekürtzter Fassung als Taschenbücher neu auf und landete damit völlig überraschend einen kleinen Bestseller. Stapel von Fananfragen in der Hinterhand, bewegte man selbst Hohlbein wieder dazu, seine eigentlich schweren Herzens abgeschlossene Serie in Form neuer Taschenbücher (sowie zwischenzeitlich auch wieder Heftromane) fortzuführen. Schließlich kam bei Weltbild sogar eine „Der Hexer“-Hardcoveredition heraus, die wirklich sehr edel geraten ist und die bis dato komplette Saga mehr oder minder ungekürzt nachdruckte. Und nun geht es in Form von Rollenspielen weiter.

Okay, das war jetzt ein ziemlich langer historischer Exkurs

aber wenn man bedenkt, dass der guter Teil von euch Ringboten-Lesern da draußen vermutlich noch nicht im Heftroman-lesefähigen Alter war, als Hohlbeins Figur erstmalig das Licht der Welt erblickte, halte ich ein wenig Hintergrundwissen für hilfreich. Wen nur das vorliegende Rollenspiel interessiert, lese einfach hier weiter.

Hier

Mit „Wenn Engel fallen“ präsentiert Pegasus das erste von hoffentlich vielen Abenteuern zum neuen „Hexer“-Rollenspielsystem. Pegasus beschreitet mit dieser Reihe wirklich literaturwissenschaftliches Neuland, doch dazu später mehr. Ich hatte euch ja Infos über das Abenteuer versprochen.

Hexer-Junior Richard Craven gerät mit seinen Freunden (den Spielercharakteren) im fernen China in ein herrlich ange-pulp-tes Adventure, bei dem es um nichts Geringeres geht, als die zu verhindernde Wiederkehr der Thul Saduun. Shem-Nach-Ban, ein gefallener El-o-hym (lies: Engel; oder besser: lies die „Der Hexer“-Romane!), bedient sich auf einer chinesischen Insel der Hinterlassenschaften des magischen Volkes von Maronar, um die finsteren Höllenkreaturen Thul Saduun wieder aufleben zu lassen. Völlig wider ihr Wissen haben Richard und Konsorten eine wichtige Hilfe für den El-o-hym im Gepäck und geraten daher mitten ins Geschehen. Klar, dass hier Cleverness, Mut und eine gehörige Portion Initiative gefragt sind, wenn am Ende des Abenteuers der ganze Planet nicht unter der Knute schleimiger Monsterviecher stehen soll.

Die Aufmachung des gute 40 Seiten umfassenden Heftes ist im gleichen Stil gehalten, den auch der Regel- und Quellenband schon genießen durfte, und somit eine mit Material proppevoll gehaltene Augenweide. Mit Richard Craven und dem Flugzeugbauer Victor van Heugen werden zwei wichtige NSCs vorgestellt, dann geht’s auch schon in medias res. Die einzelnen Abenteuerstationen werden anschaulich, ausführlich und mitunter auch in fast schon prosaischer Sprache vorgestellt, sodass dem Spielleiter wirklich ein Gefühl für Atmosphäre und Spannung vermittelt wird, so er die Hinweise denn entsprechend nutzen will. Exkurse über Waffen oder Volksstämme, die im Laufe des Geschehens auftauchen, sind knapp und übersichtlich ins Heft integriert. Und das Ende der rasanten Geschichte lässt kreativen Köpfen massenhaft Ansatzpunkte für eigene Folgeabenteuer.

Und jetzt nochmal was zur Publikationsgeschichte

Ja, ‘tschuldigung. Gehört jetzt nicht so absolut uuunbedingt zum Thema. Aber mal ehrlich: Wann hat es sowas schon gegeben? Denn während die bereits erwähnte Hardcoveredition längst abgeschlossen ist, sich Erstverwerter Bastei aufgrund des terminlich zu stark eingespannten Autors Hohlbein wohl auf keine neuen Hexer-Taschenbücher freuen darf (die sie aber mit Handkuss nähmen!) und seine Trauer in Form von eines wirklich wunderbaren Hexer-Hörspieles und mehrerer feiner Audiobooks kompensiert und in 2006 auch noch die Hardcoverbände im Taschenbuch nachdrucken will – während also all dies mit dem altbekannten Material geschieht, schreibt Hohlbein längst doch schon wieder neue Abenteuer. Und zwar in Form von Kurzgeschichten für die Pegasus-Bände!

Das muss man sich mal vorstellen: Nach Heftromanen, Taschenbüchern, Hardcovern, Hörspielen und Hörbüchern erobert Robert Craven nun nicht nur das Medium Rollenspiel. Nein, er tut dies sogar mit neuem, offiziellen und exklusiv dafür vom Chef höchstselbst verfassten Bonusmaterial. Die Kurzgeschichte „Der Sturmbringer“, welche Wolfgang Hohlbein gemeinsam mit seinem „Enwor“-Kollegen Dieter Winkler für das vorliegende Abenteuer verfasst hat, setzt tatsächlich die offizielle Hexer-Chronologie fort und integriert das Rollenspielsystem kongenial in selbige. Robert Craven reist in dieser Story nach China, um seinen Sohn (und die Spielercharaktere) zu suchen – welche er im Verlauf des späteren Rollenspiels ja auch tatsächlich findet.

Ich hoffe, man sieht mir meine Begeisterung nach, aber als jahrzehntelanger Fan der Hexer-Reihe halte ich diese Form der Geschichtsfortschreibung nach so langer Zeit für einen echten literarischen Quantensprung. So, nu is aber gut, kommen wir endlich zum

Fazit: Mit „Wenn Engel fallen“ legt Pegasus den ersten reinen Abenteuerband zum „Hexer“-System vor und landet damit gleich einen Volltreffer. Die absolut gelungene Einbindung gleich mehrerer Handlungsstränge aus seligen Hexer-Tagen (El-o-hym, Maronar und Thul Saduun) funktioniert auch im neuen Abenteuer sehr gut. Das vorliegende Abenteuer kann von Spezialisten als Grundlage für eigene Abwandlungen genutzt, von unerfahreneren Spielleitern aber gleichermaßen problemlos Wort für Wort gespielt werden – so oder so ist eine gelungene Kampagne garantiert. Und wenn sich über den Umweg RPG auch noch neue Leser für den Hexer fänden („El-o-hym? Klingt cool, da les‘ ich doch mal nach.“), wäre das doch auch nicht schlecht. Und noch ein Wort an die Herren Hohlbein und Winkler: Weitere Abenteuer aus Ihrer Feder (oder gerne auch mit anderen altbekannten Co-Autoren) würden auch die folgenden Pegasus-Bände veredeln (und einen alten Fan sehr freuen).


Wenn Engel fallen
Abenteuer
Matthias Oden
Pegasus Spiele 2006
ISBN: 3-937826-72-6
43 S., geheftet, deutsch
Preis: EUR 9,95

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