von amel
Wie alle „Pathfinder“-Bücher ist der „Weltenband der Inneren See“ wunderhübsch anzusehen. Man muss allerdings den Stil mögen, der ein wenig an Anime erinnert und extrem bunt und „wild“ ist. Mir gefällt er jedenfalls. Das Layout ist übersichtlich und trotzdem bunt und schön. Der Handcoverband ist stabil, ebenso wie die beigelegte Posterkarte. Sogar ein Lesebändchen gibt es für Leute, die auf so etwas Wert legen.
Um ein Teil des Fazits vorwegzunehmen: Golarion ist eine riesige, ausufernde Ausrede für Abenteuer – eine gelungene Ausrede, die genug Details enthält, um ausreichend glaubwürdig zu sein, genug Spielplätze besitzt, dass jeder etwas findet, und genug Wiedererkennungswert hat, dass neue Spieler nicht lange benötigen, um sich einzufinden. Das Buch beginnt mit der obligatorischen Einleitung, die schon gut erahnen lässt, was den Leser erwartet.
Das erste Kapitel beschreibt die Völker der Inneren See, und man sieht bereits, wie strikt durchorganisiert das Buch ist. Regelmäßige Leser sind das von „Pathfinder“ gewöhnt – der Originalverleger Paizo plant genau. Bücher erscheinen pünktlicher als bei fast allen anderen Rollenspielverlagen, Grafikdesign und Produktplanung sind einheitlich und die Bücher sind immer gut durchstrukturiert. Nach einer kurzen Einführung ins Thema „Völker“ bekommt jede Volksbeschreibung genau eine Seite Platz. Ein Textkasten gibt Grunddaten an wie Sprache, Religion(en) und Beispielnamen, ein kleines Bild zeigt eine Person des jeweiligen Volkes, und die eigentliche Beschreibung gibt eine gute Übersicht. Der Leser findet neben den „üblichen Verdächtigen“ wie Zwergen, Halb-Orks, Gnomen oder Elfen diverse Menschenvölker. Golarion ist bunt, daran besteht kein Zweifel.
Dabei widmet sich der Band nur einem Teil der Welt Golarion. Wie schon die Einleitung und spätestens Kapitel 2 „Die Innere See“ klarstellen, ist das Gebiet um die besagte Innere See bei Weitem nicht alles. Sieben Kontinente gibt es auf Golarion und nur zwei davon umschließen die Innere See, die in Form und Größe grob mit dem Mittelmeer vergleichbar ist. Genug Platz für Abenteuer gibt es aber auch hier. Immerhin 180 Seiten, also weit mehr als die Hälfte des Buches, widmet sich den Ländern der Inneren See. Da jedem Land nur vier Seiten zugestanden werden, ist schnell ersichtlich, wie viel dort los ist. Der Aufbau der Einträge ist immer gleich: Einführung, Geschichte, Regierung und bedeutende Orte, außerdem ein passendes Bild, ein Kartenausschnitt aus der großen Landkarte und ein oder zwei kleinere Bilder von wichtigen Personen oder Gegenständen. Das scheint formalistisch zu sein – und ist es wohl auch – dennoch gelingt es den Autoren fast immer, die Texte ansprechend, unterhaltsam und informativ zu gestalten. Zusammen mit den Bildern ergibt sich so ein stimmungsvoller Eindruck des jeweiligen Landes, und weil in jedem etwas Spannendes und Abenteuertaugliches los ist, ist keiner der Einträge langweilig. Im Unterkapitel „Geschichte“ wird nicht immer wirklich auf die Geschichte eingegangen (manchmal passt das einfach nicht), aber das ist ein verschmerzbares Manko. Enttäuschender sind die Länder, die scheinbar nur aus einer einzigen, auf vier Seiten ausgewalzten Idee bestehen. Zum Glück sind es wenige.
Bei der Auswahl an verschiedenen Ländern bleiben keine Wünsche offen. Absolom ist eine riesige Multi-Kulti-Stadt, Belkzens Boden eine Brutstätte wilder Orks. Cheliax ist ein an das römische Reich erinnerndes Imperium, dessen Herrscher ihre Macht mit Dämonen und Teufeln sichern. In Druma kann man gut Handel treiben, auf den Fesselinseln leben Piraten und Finismur ist eine Grenzregion, die mich ein wenig an den Norden von Westeros erinnert. Auch unter der Welt ist eine Menge los. Die Finsterlande sind gigantische Höhlenkomplexe, in denen ganze Völker leben – und natürlich eine hervorragende Ausrede für Dungeons. Es gibt sogar ein Land, in dem futuristische Technik zu finden ist. Falls bei all der Auswahl doch noch jemandem langweilig werden sollte, gibt es einen kurzen Überblick auf die Länder außerhalb der Inneren See, auf fremde Ebenen und angrenzende Planeten. Auch dort ist einiges los. Sehr gut gefällt mir ein vier Seiten langes Kapitel über die untergegangenen Reiche der Inneren See, denn alte Ruinen und noch ältere Geschichten sind immer gut für Abenteuer.
Ebenfalls eher ungewöhnlich in seiner Breite ist das Kapitel über die Religionen. Es gibt einen Satz wichtiger Götter, die näher beschrieben werden, kleinere Götter, Halbgötter, Dämonen, Elementarherrscher, die vier Reiter der Apokalypse und eine Reihe Philosophien, die sich genug von Religionen unterscheiden, um ihnen ein eigenes, kleines Kapitel zu widmen. Die Beschreibungen der größeren Götter sind ziemlich lahm – selten wird etwas erzählt, das nicht von Domäne und Namen klar gewesen wäre. Die Mischung der vielen Wesenheiten macht das Kapitel trotzdem interessant.
Kapitel 4 „Alltag“ ist ein buntes Sammelsurium an Infos: besondere Wetterphänomene, Sprachen, Feiertage, Handel usw. Hier zeigt sich Stärke des Bandes besonders gut, denn die Daten sind entweder übersichtlich angeordnet und gut benutzbar oder beschränken sich auf die Dinge, die in irgendeiner Form interessant oder „abenteuerlich“ sind.
Die fünf größten Machtgruppen erhalten ein eigenes Kapitel. Die zentrale Gruppe dürfte die Gesellschaft der Kundschafter sein, die immerhin für den Namen des ganzen Spiels Pate gestanden hat. Wer noch nicht genug Ideen hatte, wen oder was er auf die Charaktere hetzen kann, wird spätestens hier fündig.
„Abenteuer“ ist das Regelkapitel, in dem der Leser neue Talente, magische Gegenstände, Zauber, Ausrüstung u. a. findet. Zum Abschluss des Buches gibt es dann noch einmal ein paar Monster, die offenbar in keinem „Pathfinder“-Buch fehlen dürfen.
Der „Weltenband der Inneren See“ bietet mehr: mehr Länder, mehr Machtgruppen, mehr Religionen und ganz einfach mehr Informationen. Wenn es etwas wie die Quintessenz von „D&D“/“Pathfinder“ gibt, dann ist es ein Band wie dieser, der alles vereint, was man von einer „D&D“-Welt erwartet und ein Gesamtkonzept gießt. Die Informationsflut ist so riesig wie Golarion selbst, aber hervorragend organisiert und auf die „spannenden Teile“ beschränkt. Letzteres könnte daran liegen, dass es auf Golarion anscheinend keine langweiligen Orte gibt. Autoren mit weniger Können hätten so ein Sammelsurium wie einen zusammenhangslosen Flickenteppich aussehen lassen, doch dem Weltenband gelingt es, ein „großes Ganzes“ zu erschaffen (so gut es eben geht). Dem willigen Käufer sollte nur bewusst sein, dass Golarion eine bunte und überbordende High-Fantasy-Welt ist. Gibt es einen Kritikpunkt, dann vielleicht, dass es „zu viel“ gibt und mancher die Welt als zu bunt empfindet oder einen Fokus vermisst.
Fazit: Wer eine Welt in schreienden Farben sucht, die alles bietet, was das Abenteurerherz begehrt, und dabei auch noch gut organisiert ist, liegt mit dem „Weltenband der Inneren See“ goldrichtig. „Pathfinder“-Fans, die mehr über die Welt wissen wollen, in der all die Abenteuer angesiedelt sind, die es bereits zu kaufen gibt, kommen an dem Band ohnehin kaum vorbei. Ich bezweifle, dass sie enttäuscht sein werden.
Weltenband der Inneren See
Quellenbuch
James Jacob
Ulisses Spiele 2012
ISBN: 978-3868892192
319 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 49,95
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