von Michael Wilhelm
Das kleine Herzogtum Borogravia ist im Krieg, und jeder dort weiß, dass man den Krieg gewinnen wird. Was die Leute nicht so genau wissen ist, warum sie ihn kämpfen und für wen sie sterben und leiden. "Weiberregiment" handelt von einer kleinen Schar Rekruten, die voller Elan in diesen unsinnigen Krieg ziehen. Im Zentrum des Geschehens steht das Mädchen Polly; ganz in der Tradition der Pratchett`schen Helden liegen ihre Qualitäten mehr im Köpfchen als in den Armen. Sie ist auf der Suche nach ihrem etwas einfältigen älteren Bruder, um den sie sich bisher immer kümmerte, der aber seit seinem Einzug in die Armee auf ihren Schutz verzichten muss. Ausgestattet mit einem zusätzlichen Paar Socken zum Beweis ihrer Manneskraft, bestehen ihre Probleme bald nicht mehr nur darin, zu lernen, wie man anständig rülpst und furzt, wie ein Mann flucht und sich bewegt, sondern sie muss sich auch mit den eigenen Offizieren, einem feindlichen Fürsten und ihren Mitrekruten herumschlagen, die alle mehr sind als sie zunächst scheinen.
An Pratchetts Sarkasmus, sein Gespür für absurde Situationen, Satire und Situationskomik kommt man schon lange nicht vorbei. Auch in "Weiberregiment" gibt es Anspielung auf so manche aus Film und Literatur bekannte Geschichte. Wenn beispielsweise der vampirische Corporal Maladikt zu den Klängen von Helikopterrotoren durch das Unterholz pirscht, meint man Martin Sheens Gefährten durch das vietnamesisch-kambodschanische Dschungelgebiet von "Apocalypse Now" zu begleiten. Aber dieses Buch kann mehr. Was durch den absurden Humor Pratchetts in seinen anderen Romanen zum Lachen anregt, stimmt hier eher traurig. Die Auseinandersetzung mit der Tragik des Krieges und der damit verbundenen Leiden verleiht "Weiberregiment" eine derartige Tiefe, dass man sich unweigerlich mit den Geschehnissen in Afghanistan oder dem Irak konfrontiert sieht. In diesem Roman beweist Pratchett endgültig seine schriftstellerische Größe, indem er mit messerscharfem Blick für die schmutzigen Details gerade auch das Leid der Unschuldigen und der Schwachen, nicht zuletzt der einfachen Soldaten, ins Zentrum des Geschehens rückt.
Fazit: Wer einen "klassischen" Pratchett erwartet, ist bei diesem Band falsch. Denn hier entfernt sich der Autor von der absurden Komik, mit manchmal fast in den Slapstick abdriftender Gagdichte, die aus "Voll im Bilde", "Pyramiden" oder "Wachen, Wachen!" bekannt und beliebt ist. Die Inspirationen kommen nicht mehr hauptsächlich aus dem Unterhaltungsbereich, sondern vielmehr aus ernsteren, sich mit dem Krieg und den daraus folgenden Leiden auseinandersetzenden Quellen. Und die humoristischen Seitenhiebe schmerzen geradezu, umso mehr, weil sie so wahr sind. Die Wahrheit tut eben weh. Und hier deckt Pratchett schonungslos die Wahrheit und den Wahnsinn auf. Deshalb kann ich nur sagen: Hut ab, Mister Pratchett. Bei diesem Buch ist mir wirklich das Lachen vergangen. Und dennoch ist es Ihr bestes.
Weiberregiment
Fantasy-Roman
Terry Pratchett
Manhatten/Goldmann 2004
ISBN: 3-442-54564-1
414 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,90
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