Wege des Entdeckers

Dampfende Dschungel, felsig steile Gebirge, heiße und sandige Wüsten – die Helden Aventuriens sind oft in unwegsamen Geländen und Gegenden unterwegs oder müssen aus unterschiedlichsten Gründen Expeditionen dorthin ausrichten. Und da manche Reise ein sehr großes Abenteuer darstellen kann, finden Spieler und vor allem Spielleiter in diesem Band alles rund um Reisen und Expeditionen in das mehr oder weniger Unbekannte, um Abenteuer auszugestalten, aber auch die kleinen Dinge nebenbei zu berücksichtigen.

von Ansgar Imme

Eigentlich sollte man denken, dass mit den vier Grundregelbänden zu Heldenerschaffung, Talenten und Kampf, Magie sowie Götter und Geweihtenwirken alle Regeln vorliegen sollten. Mit „Wege der Alchimie“ folgte noch ein Ergänzungsband um eine Teilbereich der Magie. Hier liegt nun ein weiterer „Wege“-Band vor, der den Eindruck macht, zum Grundregelwerk dazu zugehören. Wie die folgenden Zeilen zeigen werden, ist diese Spielhilfe aber wirklich nur eine Spielhilfe rund um das Entdecken und Reisen und mitnichten ein weiterer Regelband, auch wenn viele Regeln enthalten sind. Der Autor ist kein Unbekannter: Florian Don-Schauen ist noch bei Fantasy Productions für viele Jahre einer der beiden Chefredakteure für „Das Schwarze Auge“ gewesen und Mitautor etlicher Regelbände sowie zwei bekannter Einsteigerkampagnen.

Auf dem Weg in fremde Welten

Der Band umfasst 168 Seiten und führt noch einmal die Regeln und Beschreibungen aus verschiedenen Publikationen zusammen, um diese an einer Stelle zu vereinheitlichen, auf einen neuen Stand zu bringen und Unstimmigkeiten auszumerzen. Dabei ist der Inhalt grob in 7 größere Kapitel gegliedert.

In der Einleitung geht der Autor zunächst auf Hintergründe und Anlässe von Reisen und Expeditionen ein. Hier werden sowohl Wissen der Aventurier über fremde Gegenden, Gefahren und Eigenheiten unbekannter Orte und vor allem der Antrieb für Entdeckungen und Reisen ausgeführt – und wie es dazu kommen kann, dass sich Spielercharaktere dort befinden oder hinbegeben. Dabei geht Don-Schauen auch auf bereits veröffentlichte Abenteuer zu Expeditionen und Entdeckerfahrten sowie in der Fremde spielende Abenteuer ein und ordnet diese jeweiligen Gegenden zu.

Das zweite Kapitel enthält die Beschreibungen der Regionen, die sich für Expeditionen eignen oder in denen Abenteuer spielen, die durch die Fremdartigkeit gekennzeichnet sind. Das beginnt bei den unterschiedlichen Wäldern wie dichtem Wald, Regenwald und maraskanischem Dschungel, erstreckt sich über Moore, Sümpfe und Marschen, wird durch Tundra, Steppe und Grasland ergänzt und geht über Wüste, Gebirge, ewiges Eis, hohe See, unter die Erde bis zum Limbus oder zu Globulen. Neben allgemeinen Beschreibungen findet sich bei jedem Abschnitt ein Übersichtskasten, der einerseits explizite Orte als Beispiele nennt (z.B. Svelltsümpfe bei den Sümpfen), drohende Gefahren beschreibt, den Abenteurern nützliche Geländekunden aufführt und welche Tagesetappen zu bewältigen sind. Dies wird andererseits ergänzt durch Hinweise zur Ernährung mit Regelhinweisen fürs Jagen und Sammeln, aber auch wie sich die Orientierung, das Vorankommen oder auch Sichtweite und Lagersuche gestaltet.

Im dritten Abschnitt wird sich ganz den Expeditionen gewidmet. Zum Auftakt führt der Autor die Auftraggeber an, die eine Expedition ausrichten und finanzieren – wie Adlige, Kirchen oder Handelshäuser – und geht auf deren Beweggründe ein. Ergänzt wird dies durch die Teilnehmer einer Expedition, passende Heldentypen und die Gruppenzusammenstellung in dieser Hinsicht. Neben einem Anführer werden auch Gelehrte, Zeugwart, Kundschafter, Bedeckung mit Kampfkraft und magische Unterstützung benötigt. Die Vorbereitung der Forschungsreise in Form von Bibliotheksrecherche bei Kirchen, Universitäten und Akademien wird ebenso beschrieben wie das Sammeln von Informationen bei Kaschemmenbesuchen (versehen mit einem Regelmechanismus für Spieler, die dies mögen). Einen großen Teil des Kapitels nimmt die Ausrüstung, deren Beschaffung, Regeln und Hinweise zum Verschleiß oder Vorhandensein und vor allem der Einkauf mit mehreren Ausrüstungstabellen ein. Eine praktische Lösung stellen dabei die fertigen Ausrüstungspakete dar, die unterschiedlich umfangreich und teuer sind. Zum Abschluss des Kapitels wird noch auf den Umgang mit großen Expeditionsmannschaften sowie die Moral dieser Gruppen eingegangen.

Das vierte Kapitel geht dann das Abenteuer „Expedition“ mit all seinen Gefahren selbst an: dampfende Regenwälder, steile Gebirgspfade, reißende Flüsse ... und wie man damit umgeht. An dieser Stelle wird sowohl die Fortbewegung zu Fuß und mit Tieren oder Fahrzeugen (auch versehen mit Regel- bzw. Werteangaben), als auch auf Flößen oder in der Luft thematisiert. Die Fortbewegungsmittel werden auch für die Durchquerung oder Überquerung der verschiedenen Regionen aufgegriffen und mit Regeln versehen.

Das Überleben in der fremden Umgebung kann der Leser im fünften Teil nachlesen. Obst, Gemüse, Nüsse oder Pilze wollen gefunden und Wild gejagt oder Fische geangelt werden. Kräuter können Wunden heilen oder Blutungen stoppen, und das Lebenselixier Wasser kann eine ganz eigene Suche wert sein. Aber auch das Kochen und Zubereiten der Zutaten wie auch die Haltbarkeit sowie der Umgang mit Hunger werden beschrieben – alles erneut versehen mit Regelmechanismen. Doch es geht genauso darum, einen guten Lagerplatz zu finden, ein Lager oder einen Unterstand in unterschiedlichsten Klimazonen zu errichten und diesen zu erhalten oder zu verteidigen. Auch auf das Übernachten und die klassische (Nacht)Wache wird natürlich eingegangen. Abgeschlossen wird dies durch einen Teil zur Orientierung und Standortbestimmung sowie der Nutzung und Vorhandensein von Karten.

Das letzte größere Kapitel findet sich an vorletzter Stelle, wo der Autor auf das Wetter während einer Reise oder Expedition eingeht. Hier finden sich Auswirkungen von unterschiedlichen Temperaturen als auch Sturm, Gewitter und Regen auf den Körper und Verpflegung. Sowohl große Hitze wie auch eisige Kälte, Wind und Regen werden durch Regeln hinterlegt. Abgeschlossen wird der Band mit einer Sammlung von sonstigen Regeln und Angaben von Werten für Reiseentfernungen, Erschöpfungen und Verletzungen sowie einem Index.

Sonne und Eis, Dunkelheit und Licht ... die Kritik: Aufmachung, Layout, Inhalt

Zu Layout und Aufbau des Bandes kann man im weitesten Sinne auf vorherige Spielhilfen verweisen, denn beides ist gleich geblieben und hält sich an die Vorgaben. Allerdings werden hier wesentlich mehr „graue Textboxen“ mit zusätzlichen Informationen und vor allem Regelmechanismen verwendet, sodass diese Zusatzinformationen fast schon zur Regel in jedem Kapitel werden. Das Cover ist zwar künstlerisch von hoher Qualität, sorgte aber für große Emotionen und überwiegend negative Kritik unter den Fans des Rollenspiels. Nicht nur dass die im Mittelpunkt stehende Abenteuerin mit Wespentaille und übergroßen Brüsten stark an Lara Croft bzw. Angelina Jolie erinnert und besser zu einem Anime- und nicht Fantasy-Rollenspiel gepasst hätte, auch die in der Hand gehaltene Pistole gibt es so in der Spielwelt Aventurien nicht.

Kleine Perlen sind die immer wieder eingestreuten Reiseberichte des Studiosus Anagon Birtenbichler, die einen als Leser schön in die Welt hineinversetzen lassen und auch fast einen kleinen Roman hätten ergeben können.

Der Inhalt selbst weist naturgemäß einige Überschneidungen mit bereits vorhandenen Publikationen, vor allem den Regionalspielhilfen auf, da auf die einzelnen Gegenden und Regionen eingegangen wird. Trotzdem ist ein großer Mehrwert vorhanden, wird doch an einer Stelle und immer nach demselben Muster das Material zusammengetragen, sodass man vor allem als Spielleiter schnell nachschlagen kann. Egal ob Wüste, Dschungel oder Wald – der Spielleiter hat schnell alle wichtige Informationen zu Bewohnern, Fortbewegung, Orientierung und Ernährung zur Hand und muss nicht herumsuchen oder jedes Mal neu improvisieren, ohne sich an verlässliche Muster zu halten.

Aber auch die zusammengetragenen Informationen rund um Expeditionen haben so bisher gefehlt und ergänzen vor allem für den Spielleiter die Vorbereitung und Durchführung von Entdeckerreisen. Sowohl die Hintergründe von Expeditionen mit ihren Auftraggebern als auch die Durchführung mit Teilnehmern und Funktionen geben Ideen zu Abenteuern und erklären und vertiefen den Ablauf einer Reise und welche Gefahren dort warten können bzw. wie Charaktere nützlich ins Spiel eingebunden werden können. Ebenso hilft das Buch in Sachen Bibliotheksrecherche oder Hinweissuche in Kaschemmen bei der Vorbereitung eines Abenteuers in unbekannte Regionen ungemein weiter, da noch einmal darauf eingegangen wird, welche Informationen wo am besten zu besorgen sind und wie Spieler bzw. Helden an diese gelangen können, was in bisherigen Publikationen nur angeschnitten oder immer wieder anders behandelt wurde. Eine Vereinheitlichung der Regelmechanismen kann hier vorrangig gelobt werden.

Geradezu universell nutzbar und damit hilfreich für alle Abenteuer sind die Beschreibung der Ausrüstung und vor allem die Regeln und Hinweise zu Verschleiß, Abnutzung, Beschädigung oder Verbrauch. Vieles, was sich hier findet, hätte sich ein Leser schon vor Jahren im legendären (und nahezu durchgängig verrissenen) „Handelsherr und Kiepenkerl“ gewünscht. Aber auch der Einkauf generell und der Handel um die Ausrüstung werden gut beleuchtet und auf Wunsch mit Regeln versehen. Zu jedem übergeordneten Bereich der Ausrüstung finden sich nützliche Hinweise (z.B. Handlichkeit von Gepäckstücken) und auch zum Umgang mit der Qualität der erworbenen Ware und wie sich diese auswirkt – wenn man so vertieft spielen möchte.

Neben all den schönen Hinweisen rund um das Reisen, Expeditionen, Transportmitteln und Überqueren von Hindernissen jeglicher Art muss man sich allerdings fragen, ob es im Regelteil nicht manchmal hätte etwas weniger sein können. Zu allen möglichen Bereichen finden sich Regelkonstrukte, sodass die Vorbereitung und Durchführung einer Expedition zu wahren Würfelexzessen führen kann (wenn man sich an die Vorschläge hält). Natürlich kann man dem Autor bzw. der Publikation zu Gute halten, dass alle Regeln nur optionale Vorschläge sind, doch hätte man trotzdem selbst auf ein paar dieser optionalen Zusatzregeln verzichten können.

Fazit: Für Spielleiter künftiger Reiseabenteuer, Expeditionen oder Entdeckerfahrten ist die Spielhilfe ein fast unverzichtbarer Helfer, sofern man sich nicht selbst alles ausdenken will. Einzig die Regelwust reduziert ein wenig die Leselust. Ansonsten kann die Spielhilfe aber uneingeschränkt empfohlen werden.


Wege des Entdeckers
Quellenbuch
Florian Don-Schauen
Ulisses Spiele 2012
ISBN: 3868892265
168 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 30,00

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