Tiletum

In dem aktuellen Titel der inoffiziellen T-Reihe aus der Italo-Eurohit-Schmiede vom Autorenduo Luciani/Tascini darf der Name als Programm verstanden werden: Tile-tum. Der richtige Einsatz von Plättchen (englisch „tiles“) entscheidet über Sieg und Niederlage. Trotz des beigen Spielplans und des Settings „Handel und Kathedralenbau in der Renaissance“ (gähn) lohnt sich hier ein genauer Blick. Versprochen.

von LarsB

In „Tiletum“ spielen wir Händler in den goldenen Zeiten der Renaissance, die in Europa nicht nur Waren handeln, sondern auch monumentale Kathedralen bauen und dem königlichen Gelauch gefallen wollen. Aber Moment mal, das Thema ist in diesem Spiel sekundär. Zum Glück.

Das Material

Das Spiel macht es dem Spieleverkäufer und den interessierten Spielern zunächst nicht leicht. Die Verpackung versprüht nicht viel Sexyness. Die Rückseite der Schachtel versteht es in der sonst mittlerweile schicken Spielelandschaft nicht, das Spiel schmackhaft zu machen und für einen Kauf-Triggermoment zu sorgen. Beige und schlicht, könnte man das Design sicherlich zusammenfassen.

Immerhin lässt sich alles gut auspöppeln. Bei der Vorbereitung der Erstpartie gab es einen ersten Anlass zur Kritik: Anhand der Beschriftung der Plättchen soll man Plättchen aussortieren, passend zur Spielerzahl dieser Partie. Der Aufdruck ist zu unauffällig und zieht die eh schon aufwändigen Aufbauaktivitäten noch weiter in die Länge. Fast 20 Minuten hat sich der Aufbau der Erstpartie trotz Vollgasmodus hingezogen. In den Folgepartien bestätigte sich diese Zeit. Etwas Zeit einsparen kann man durch gewissenhafte Plättchentrennung in verschiedenen Tüten für 2, 3 und 4 Spieler. Hier hätte ein Inlay gutgetan.

Ein zweiter Kritikpunkt hinsichtlich der Spielkomponenten sind die nicht intuitiven Farben der Würfel. Da jede Würfelfarbe im Spiel für einen Rohstoff steht, wäre es wünschenswert gewesen, Farben zu wählen, die man aus vielen anderen Spielen schon den Rohstoffen zuordnen würde. In „Tiletum“ ist das helle Grau der Wolle, das Blaugrau dem Eisen und das Dunkelgrau dem Stein zugeordnet. Nur bei Tageslichtbeleuchtung kann man die Würfelfarben wirklich gut auseinanderhalten. Spielt man bei warmem Weißlicht, wird das zu einem Hindernis. Außerdem fehlt eine Spielhilfe, die gerade Neulingen Orientierung gibt. Aus meiner Sicht hätte man dafür ruhig etwas Stanzbogenraum reservieren sollen. So hat uns die Community mit einer Spielerhilfe (heruntergeladen auf boardgamegeek.com) in den ersten Partien weiterhelfen müssen.

Darüber hinaus sind alle Komponenten in Ordnung. Die Würfel fühlen sich gut an und die Pastell-Farbpalette sieht abgesehen von oben stehender Kritik schick aus. Über die Wiederkehr der Holzsäulen habe ich mich gefreut, weil sie mich doch an ein paar schöne Partien „Tekhenu“ erinnert haben.

Das Spiel und das Spielgefühl

Alle Spieler starten auf einer großen Europakarte in Tiletum, dem heutigen Tilt. Der Spieler am Zug wählt eine der sechs Aktionen des Aktionsrads aus. Er kann das, wenn es noch einen Würfel gibt, der dieser Aktion zugeordnet ist (oder ihr mittels Goldzahlung zugeordnet werden kann). Warum ist das wichtig? Je mehr Augen der Würfel hat, desto mehr Ressourcen bringt der Würfel zwar, desto weniger Aktionspunkte verbleiben aber für die jeweilige Aktion. Weil sich das Aktionsrad nach jeder Runde ein Feld weiterdreht, ist jede Aktion im Laufe der Partie also unterschiedlich mächtig.

Zum Beginn einer Partie stehen ein Händler, ein Architekt und ein Handelshaus der eigenen Farbe im unscheinbaren Tiletum. Die beiden Erstgenannten schickt man mittels Händler- beziehungsweise Architekten-Aktionen im Laufe des Spiels quer über den Spielplan, um dort weitere Handelsniederlassungen zu errichten und an Kathedralen mitzubauen. Beides bringt Punkte.

Die Handelsniederlassungen berechtigen einen zur Teilnahme an Messen. Hier wird bereits zu Beginn des Spiels in „Terra Mystica“-Manier bekannt gegeben, auf welche Art und Weise man am Ende einer Runde Punkte machen kann. Praktisch, dass die erste Messe direkt in Tiletum stattfindet. Für die darauffolgenden Messen muss der Händler in Schweiß kommen. Schafft er es nicht rechtzeitig, den knappen Bauplatz in Messestädten zu sichern, muss er pünktlich eben höchstpersönlich für die Teilnahme an einer Wertung zur Messe erscheinen. Hier liegt gewisses Frustpotenzial. Verpasst man die Messe, auf die man viele Aktionen lang hingeplant hat, fühlt sich das Spiel gelaufen an – zumindest bei Spielern mit etwas dünnerer Haut.

Für den Kathedralenbau zeichnet sich der Architekt verantwortlich. Er muss seinen Koffer packen, um uns eine Rolle in den Kathedralenbauprojekten zu sichern. Dafür nutzt er die oben schon beschriebenen Holzsäulen, die er auf die entsprechenden begrenzten Bauplätze in den einzelnen Städten verteilt. Haben wir dann auch noch genug Steine (die dunkelgrauen) zusammengesammelt, steht der Umsetzung nichts im Wege. Wir dürfen uns das wertvollste noch vorhandene Kathedralenplättchen der Stadt nehmen. Generell gilt dabei: je weiter der Weg von Tiletum aus und je größer (und teurer) die Kathedrale, desto mehr Punkte dürfen wir uns gutschreiben. An einigen Kathedralen bauen wir größere Teile, an anderen Kathedralen nur kleinere. Das variiert von Aufbau zu Aufbau, was ein paar Silberlinge auf das Wiederspielbarkeitskonto einzahlt. Am Spielende gibt das Produkt aus der Anzahl der gebauten Säulen und der Anzahl der gebauten Handelshäuschen noch einen Punkteschub. Für eine gute Schlusswertung dürfen also weder der Architekt noch den Händler vernachlässigt werden.

Weitere Aktionsmöglichkeiten sorgen für den entsprechenden Nachschub an frischen Handelshäusern und Säulen. Derer hat man zum Start des Spiels jeweils nur zwei im Zugriff. Daher werben wir Gäste an, in unseren Häusern zu wohnen. Ist ein Haus voll, erhalten wir ein neues Handelshaus. Verzieren wir die Häuser auch noch mit schönen Wappen, haben wir für die der Berufsfamilie zugeordneten Aktionen zukünftig mehr Aktionspunkte – und eine einmalige mächtige Sonderaktion. Gerade diese Sonderaktionen geben einem unerwarteten Handlungsspielraum in verzweifelten Momenten. Plötzlich kann zum Beispiel die Messe doch noch erreicht werden.

Das Erfüllen von Aufträgen wiederum gibt uns neben Siegpunkten Zugriff auf weitere Säulen. Die Aufträge sind recht einfach gestrickt: Bezahle x vom Rohstoff A und oft noch y von Rohstoff B. Immerhin hat man durch die Wahl der Auftragsaktion auch die Gelegenheit, Rohstoffe zu tauschen – sogar mit einem Bonus bei der ersten Tauschaktion des eigenen Zugs. Das versöhnt einen schon etwas mit der ansonsten nicht so spannenden Aktion.

Dann ist da noch die Königsaktion, die für Punkte am Rundenende gut ist. Auch die in diesem Spiel kaum hoch genug einzustufende Spielerreihenfolge der nächsten Runde wird hier bestimmt. Wichtig, aber irgendwie nicht sonderlich aufregend: Man schiebt für jeden Aktionspunkt seinen eigenen Anzeigestein auf der Königsleiste um ein Feld nach oben. Als Schmankerl gibt es für den Erstplatzierten noch ein Bonusplättchen. Und das kann unter Umständen wieder sehr aufregend sein.

Abschließend gibt es auch eine Jokeraktion, mit der man sich eine andere Aktion aussuchen kann – nur eben mit einem anderen Rohstoff-Aktionspunkte-Verhältnis. Und oft genug ist die Jokeraktion eben der benötigte Plan B.

Auf den Wegen dürfen sowohl Architekt als auch Baumeister zufällig verteilte Plättchen einsammeln, die am Wegesrand liegen. Diese Plättchen versorgen einen mit Siegpunkten, zusätzlichen Ressourcen, Aufträgen und manchmal auch mit ganzen Aktionen. Hier startet das Rennen um die besten Boni und großartige Kettenzüge. Darin liegt ein wesentlicher Erfolgsfaktor, der oft über Sieg oder Niederlage entscheidet und damit dem Spiel berechtigt seinen Namen gibt.

Kleine Aktionstokens helfen recht gut bei der Planung der Züge. Bei uns hat es sich eingebürgert, die Tokens auf den Spielplan zu verteilen: ein Token für jede Bewegung, jedes aufgenommene Plättchen, jedes gebaute Handelshaus beziehungsweise jede gebaute Säule. Gerade bei verschachtelten Kettenzügen stellen die Tokens eine effektive Möglichkeit dar, den Überblick zu behalten. Kettenzüge bedeuten, dass Downtime gerade in größeren oder optimierungswütigen Runden ein Problem darstellen kann. Je mehr Mitspieler um die Plättchen auf dem Spielplan konkurrieren, desto häufiger sieht man seine eigenen vermeintlich brillant geplanten Züge ge- und zuweilen auch zerstört, bevor man wieder am Zuge ist. Das kann manchmal frustrierend sein. Je nach Gruppe führt es auch dazu, dass der nächste Spieler nach einer Möglichkeit sucht, einen zumindest ähnlich guten Zug zu realisieren wie den ursprünglich geplanten. Auch das dauert. Aus diesen Gründen ist wohl eine Partie zu viert nur dann anzuraten, wenn alle Mitspieler besonders entscheidungsfreudig und frusttolerant sind.

Entsprechend interessieren einen die Züge der Spielpartner – eben weil man hofft, dass der eigene Plan nicht durchkreuzt wird. Geht ein Plan über zwei oder drei Züge auf, sind das glückselige Momente. Solitär ist „Tiletum“ nicht. Es ist eben wichtig, auch die Pläne der Mitspieler im Blick zu haben. Vielleicht erkennt man dort auch mal die riskante Taktik eines Mitspielers, die man mit der Wahl der richtigen Würfelfarbe oder Aktion ausbremsen kann.

Die Aktionen sind sehr schnell begriffen und die Mechanismen alle kunstvoll verzahnt. Befriedigend ist damit in der Regel auch das Spielgefühl – spätestens ab Partie zwei, wenn man mehr Gefühl das Spiel bekommen hat. Es ist häufig möglich, auch aus scheinbar ausweglosen Situationen zumindest noch etwas Gutes zu machen. Man könnte „Tiletum“ als ein Rennen um die besten Boni beschreiben. Jede Partie fühlt sich allein schon durch den unterschiedlichen Startaufbau sehr anders an. Hat man ein paar Partien gespielt, kann durch die optionale variable Bestückung des Aktionsrads weitere Variabilität realisiert werden. Durch diese Variabilität gibt es auch keine festen Siegstrategien, die das Spiel schnell durchgespielt erscheinen lassen würden.

Fazit: „Tiletum“ ist ein auf mehreren Ebenen verzahntes und daher komplexes (aber nicht kompliziertes!) Euro-Spiel. Strategie, Taktik und operative Entscheidungen sind gleichermaßen wichtig. Der Grad an passiver Interaktion ist hoch und in kleiner Besetzung noch in den eigenen Planungen gut zu berücksichtigen. Am Ende einer Partie philosophiert man gerne über die Entscheidungen, die zu Sieg und Niederlage geführt haben. Und von denen bietet „Tiletum“ eine Menge. Wer Fan der Autoren ist, macht mit „Tiletum“ eh nichts falsch. Für mich ist es in einem Zug zu nennen mit „T’Zolkin“, „Tekhenu“ und „Teotihuacan“. Wer diese Spiele kennt, weiß auch, auf was er sich hier einlässt. Ach ja, das Beige nimmt man nach dem Eintauchen in das Spiel nicht mehr wahr.

Tiletum
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Simone Luciani, Daniele Tascini
Giant Roc 2022
EAN: 7421098107489
Sprache: Deutsch
Preis: 59,99 EUR

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