Thunderstone Advance: Numenera

2009 erschien bei Alderac Entertainment Group (AEG) das von Mike Elliot entwickelte Deckbau-Spiel „Thunderstone“, das sich als veritabler Spiele-Hit entpuppte und bereits mehr als zehn Erweiterungen erfahren hat (auf Deutsch auch alle bei Pegasus Spiele erschienen). Im Herbst 2012 startete Rollenspielbekanntheit Monte Cook auf Kickstarter ein neues Rollenspiel namens „Numenera“, für das er sich 20.000 Dollar erbat und über phänomenale 517.000 bekam. Nun haben beide Universen zusammengefunden: in „Thunderstone Advance: Numenera“.

von Frank Stein

Ich muss gestehen, dass ich das „Numenera“-Projekt nur von Ferne verfolgt habe. Wie es scheint, ist das Rollenspiel auf einer Welt angesiedelt, in der – frei nach dem 3. Clarkschen Gesetz – eine fortschrittliche Technologie existiert, die von den Bewohnern des Planeten als Magie wahrgenommen wird. Was es genau damit auf sich hat, vermag ich nicht zu sagen, es fällt allerdings bei den Illustrationen und Kartennamen des aktuellen „Thunderstone“-Ablegers auf, dass hier enorme Hochtechnologie im Gewand eigentümlich mittelalterlich wirkender Fantasy-Magie daherkommt. Das zeigt sich schon auf dem Boxencover, wo ein Drachenreiter einen Mann auf einem Schwebe-Board jagt und Mystiker mit High-Tech-Implantaten zu sehen sind. Das Universum von „Dune“ lässt grüßen.

Im Grunde ist „Thunderstone Advance: Numenera“ eine Setting-Box. Das bewährte Spielprinzip von „Thunderstone“ bleibt weitgehend unangetastet. Wer selbiges bereits kennt und schätzt, muss eigentlich nur wissen, dass man hier eine Menge neuer, zum Teil sehr exotischer Helden, Gegenstände und Monster bekommt. Außerdem wurden mit Schauplätzen und farbigen Erfahrungsmarkern zwei schöne neue Spielmechanismen eingeführt, die ich später kurz erläutern werde. Ansonsten liegt hier ein typisches „Thunderstone Advance“-Spiel vor. Da es sich aber um eine Grundbox handelt und für manchen „Numenera“- oder Science-Fiction-Fan der Einstieg in „Thunderstone“ überhaupt sein mag, möchte ich dennoch erneut komplett auf die Regeln eingehen.

Das Spiel kommt in der einer extrahohen Standardformat-Box daher und enthält 597 Karten, übergroße Kartentrenner, farbige Erfahrungsmarker und einen Stoffbeutel zum verdeckten Ziehen, übergroße Schauplatzkarten, einen 20-seitigen Würfel, einen doppelseitigen Spielplan, Markierungsplättchen und ein Regelwerk. Damit ist die Box gut gefüllt. Den Rest des Platzes nimmt eine Plastikeinlage ein, die einem beim Sortieren der Kartentypen helfen soll, was durchaus praktisch und nötig ist.

Wer noch nicht weiß, wie „Thunderstone“ im Prinzip funktioniert, mag beim Auspacken ein wenig ernüchtert sein. Viele der Karten zeigen gleiche Illustrationen, manchen Kartentyp, wie den „Soldat“, gibt es sogar 45 Mal. Doch das ist Methode bei Deckbau-Spielen und keine Geldmacherei! Insofern ist das kein Grund zur Kritik, mal davon abgesehen, dass die Heldenkarten auf den drei unterschiedlichen Levels ruhig ein wenig anders hätten aussehen können. Hier wäre eine auch visuelle Umsetzung der gesteigerten Spielwerte schön gewesen. Ansonsten weiß das Spielmaterial zu gefallen. Die Kartenmotive sind fantasievoll und abwechslungsreich, die Kartentrenner praktisch, die Spielmarken aus Pappe und Plastik von guter Verarbeitung. Der vollfarbige, doppelseitige Spielplan ist nützlich, um Ordnung auf dem Tisch zu behalten. Leider besteht er nur aus sehr dünner Pappe, die deutliche Knickwellen auf dem Tisch bildet. Auch wenn es sich überhaupt um einen Bonus handelt, den ein Deckbau-Spiel nicht bräuchte, wäre ein Spielbrett aus festem Karton noch das Sahnehäubchen gewesen.

„Thunderstone Advance: Numenera“ arbeitet mit drei wesentlichen Elementen: den Kommandodecks der Spieler, in denen sich Helden, gekaufte Ausrüstung und besiegte Monster befinden, dem Dorf, in dem Helden, Dorfbewohner, Waffen, Gegenstände und Zaubersprüche anzuwerben beziehungsweise zu erwerben sind, und dem Dungeon, in dem stets drei Monster auf den Positionen 1 = nah, 2 = mittel und 3 = fern warten – die Wildnisvariante auf der Spielplanrückseite bietet sogar vier Positionen. Vier Basiskarten (Soldat, Fackel, Langspeer und Donnersteinsplitter) sind in jeder Partie enthalten. Aus ihnen zieht sich jeder Spieler anfangs auch sein Startkommandodeck zusammen. Welche vier Heldentypen dann in der Schänke herumsitzen, welche acht weiteren Dorfbewohner und Waren auf die Spieler warten und welchen drei Monstergruppen man entgegentreten muss, wird danach durch Zufallskarten bestimmt, wodurch jedes Spiel eine eigene Note bekommt. Alternativ kann man auch einen thematischen Ansatz wählen und sich etwa dafür entscheiden, im Szenario „Das altertümliche Böse“ gegen Altertümliche, Bestialische und Räuber – Plünderer anzutreten.

Dieses Zufallselement zu Beginn macht einen ersten großen Reiz des Spiels aus. In „Thunderstone Advance: Numenera“ kann man aus 10 Monstergruppen, 13 Heldentypen und 22 Dorfkarten wählen. Die Mischung ist bunt und dem Setting entsprechend exotisch. Auf der Heldenseite findet man zum Beispiel den Gelehrten, den Äon-Priester, den Starken und die Kluge (bei „Numenera“ scheinen viele Klassen durch ein spezielles Attribut bezeichnet zu werden). Zu den Monstern zählen Infizierte, Überirdische, Verseuchte und Automaten. Schön dabei ist, dass die Monstergruppen, die jeweils 10 Karten umfassen (ein Dungeon enthält am Ende also stets 30 Monsterkarten, in deren unteres Drittel der „Donnersteinträger“ gemischt wird, dessen Auftauchen das Spiel beendet), stets aus fünf unterschiedlichen Einzelmonstern bestehen. Für Abwechslung ist hier also gesorgt. Unter den Verseuchten finden sich beispielsweise Laake, Stahlspinne, Schneidkäfer, Scutimorph und Stratharische Kriegsmotte – und das sind noch eher gewöhnliche Monster!

Gespielt wird in Zügen, wobei jeder Spieler, der am Zug ist, genau eine Handlung durchführen darf. Er kann ins Dorf gehen und dort eine Karte einkaufen und beliebig viele Helden bis maximal Level 3 hochstufen (das nötige Geld und die Erfahrungspunkte vorausgesetzt). Er kann auch ins Dungeon ziehen und dort mit seiner Gruppe ein Monster bekämpfen. Er kann, wenn er nur Mist auf der Hand hat, sich auf den nächsten Zug vorbereiten, indem er einige Karten auf den Zugstapel zurücklegt und den Rest ablegt. Oder er kann sich erholen und dadurch eine Karte zerstören – das ist sinnvoll, um Krankheiten oder nicht mehr gebrauchte Start-Ausrüstung loszuwerden. Dabei ist das Grundprinzip von „Thunderstone“ simpel: Der Angriffswert der Helden und ihrer Waffen wird mit den Lebenspunkten des Monsters verglichen. Ist er gleich oder höher, nimmt der Spieler das Monster, erhält Erfahrungspunkte, kann damit aufsteigen … Man kennt das.

Doch „Thunderstone Advance: Numenera“ weist eine Reihe sehr schöner Spielmechanismen auf, die ineinandergreifen und das Spiel deutlich komplexer machen. Da wäre zum einen das Kommandodeck. Man beginnt mit zwölf Karten, darf aber immer nur sechs Karten auf die Hand ziehen und muss damit den aktuellen Zug bestreiten. Anschließend legt man alles auf den Ablagestapel und zieht sechs neue Karten für den nächsten Zug. Ist das Kommandodeck leer, mischt man den Ablagestapel und bildet ein neues Kommandodeck. Alle Helden, die man anwirbt, alle Ausrüstung, die man kauft, und alle Monster, die man besiegt, kommen auch in die Ablage, das heißt, sie rotieren später ins Kommandodeck hinein. Dieses wird im Verlauf des Spiels dadurch immer umfänglicher, was sowohl gut als auch schlecht ist. Denn hat man zu viele Karten, bekommt man die gewünschten Kombinationen aus Helden und Waffen vielleicht nicht auf die Hand, um starke Monster zu besiegen. Wirft man zu viele durch „Erholen“ ab, hat man nachher zu viele Monster auf der Hand, die zwar Siegpunkte einbringen, aber eben auch die Hand stören. Hier ist feines Management gefragt, um optimal im Spiel zu bleiben.

Des Weiteren wären da Dinge wie Waffengewicht, Dunkelheit und farbige Erfahrungsmarken. Jeder Held hat eine gewisse Stärke, die durch Donnersteinsplitter erhöht und durch Kampfeffekte verringert werden kann. Nur wenn er stark genug ist, kann er auch die Waffen tragen, die besonders viel Schaden erzeugen. Oder er muss sich teure Ausrüstung kaufen, die dafür leicht ist und effektiv ist. Teure Ausrüstung kann man dagegen nur erwerben, wenn die sechs Handkarten eines Zuges genug Goldwert aufweisen. Darüber hinaus ist es im Dungeon dunkel, und je weiter ein Monster entfernt ist, desto schwerer ist es zu treffen, wenn man nicht genug Licht dabei hat. So gibt es Abzüge von -2, -4 und -6 auf den Angriffswert, wenn man nicht 1, 2 oder 3 Lichtquellen dabei hat, um den Abzug der drei Positionen im Dungeon (1 = nah, 2 = mittel und 3 = fern) auszugleichen. Und natürlich sind es nicht unbedingt die kampfstärksten Karten, die Licht geben. Man muss daher ständig abwägen, welche Karten einem wann was bringen.

Allerdings macht es die „Numenera“-Variante den Spielern etwas leichter als das normale „Thunderstone“, denn wo früher starke Waffen wenig Gold, schwache Kämpfer viel Licht und gute Effekte nur mit viel Gewicht oder hohem Preis zu bekommen waren, ist hier alles etwas realistischer, aber auch taktisch weniger knifflig gehalten. Zaubersprüche haben etwa prinzipiell keinen Goldwert. Teuer gekaufte Ausrüstung ist aber meist auch viel wert. Überhaupt ist Gold selten sonderlich rar. Und durch die farbigen Erfahrungsmarken, die man neben dem Aufleveln von Helden nun auch ablegen kann, um vielerlei Bonuseffekte (von +1 Angriff, über +2 Gold, bis zu „ziehe zwei Karten“) auszulösen, wird das Spiel vor allem in der zweiten Hälfte merklich leichter, als erste Inkarnationen.

Wer zusätzlich noch ein paar Unwägbarkeiten in die Partie bringen will, kann mit den übergroßen Schauplatzkarten verschiedene Gebiete Numeneras auf den Tisch legen. Diese sorgen jeweils für Würfeleffekte nachdem eine gewisse Voraussetzung erfüllt wurde, etwa wenn jemand ein Stufe-3-Monster besiegt hat oder wenn eine Karte zerstört wurde. Die jeweils vier Effekte, die durch den W20 ermittelt werden, reichen dabei von leichten Ärgernissen bis zu kleinen Geschenken.

All diese Erwägungen machen „Thunderstone Advance: Numenera“ zu einem Spiel, das zum Mitdenken anregt, ohne dass es eine eindeutige Strategie vorschreiben würde. Man kann verschiedensten Ansätzen beim Zusammenstellen des Kommandodecks nachgehen und damit siegen. Das zeichnet das Spiel aus. Es endet, wenn der Donnersteinträger aus dem Dungeondeck aufgedeckt und an Position 1 gerückt ist (man beachte: Lücken, die in der ausliegenden Dreierformation der Monster entstehen, werden stets durch nachrückende Karten vom Dungeondeck geschlossen). Wer zum Spielende, die meisten Siegpunkte – in Form besiegter Monster – in seinem Kommandodeck hat, gewinnt. Der titelgebende „Donnerstein“ spielt dabei kaum noch eine Rolle. Er ist bloß noch Teil des Flufftextes zu Beginn des Regelwerks.

Fazit: „Thunderstone Advance: Numenera“ ist eine Setting-Variante von „Thunderstone Advance“, die – genau wie die anderen Inkarnationen – Tüftlern und Kombinierern unter den Fantasy-Spiel-Freunden gefallen dürfte. Viel Neues wird indes nicht geboten. Die größte Verbesserung liegt in meinen Augen in den farbigen und daher flexibler nutzbaren Erfahrungsmarkern. Ansonsten liegt hier im Wesentlichen eine Alternative zur „Thunderstone Advance“-Grundbox vor, die Spielern die Wahl lässt, sich statt in einem klassischen Fantasy-Setting in der eigentümlichen Welt von Numenera herumzutreiben.


Thunderstone Advance: Numenera
Kartenspiel für 1 bis 5 Spieler ab 12 Jahren
Mike Elliott
Pegasus Spiele 2013
EAN: 4250231705106
Sprache: deutsch
Preis: EUR 34,95

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