The Rocketeer

Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Ist es Superman? Nein! Alles falsch. Es ist der Rocketeer, der mit donnerndem Raketenrucksack dort droben über den Himmel jagt. 1982 erschuf Comic-Künstler Dave Stevens diesen ungewöhnlichen Helden im Stil der Movie Serials der 1940er und 1950er, der zwar nur zwei Abenteuer erleben durfte, aber dennoch so populär wurde, dass er 1991 sogar auf der großen Leinwand abhob. Jüngst hat Cross Cult eine edle Hardcover-Komplettausgabe herausgebracht.

von Frank Stein

Wir schreiben das Jahr 1938, und Showpilot Cliff Secord hat mehr als nur ein Problem. Der etwas impulsive und launische, im Herzen aber grundaufrechte junge Mann hat zum einen Ärger mit seinem Chef, weil er immer wieder wichtige Kunstflugdarbietungen verpasst, zum anderen – und das ist viel schlimmer – Stress mit seiner Freundin, einem wahren Prachtweib namens Betty (gezeichnet nach dem Vorbild von Pin-Up-Legende Bettie Page), von der er glaubt, sie schmeiße sich an einen schmierigen Aktfotographen aus Hollywood ran, weil er mehr Geld hat als Cliff.

Sein Leben wird zusätzlich auf den Kopf gestellt, als zwei schmierige Typen nach einer Verfolgungsjagd im Hangar von Cliffs Flugzeug von der Polizei gestellt werden und der junge Pilot später bemerkt, dass sie vor ihrer Festnahme in der Maschine einen experimentellen Raketenrucksack versteckt haben. Hin und her gerissen zwischen seinem Gewissen, das ihm diktiert, das (zweifellos) Regierungseigentum zurückzugeben, und seinem Wunsch, als fliegender Teufelskerl richtig Kohle zu scheffeln, um Betty zurückzugewinnen, wird Cliff in einen Kampf zwischen mehreren Nazis, Gangstern und Militär gezogen, die alle ihre eigene Verwendung für das Wundertransportmittel hätten.

In einem zweiten Abenteuer, das direkt an das erste anschließt, verschlägt es Cliff dann nach New York. Er ist seiner Betty und dem selbstverliebten Fotokünstler Marco nachgereist, denn er will verhindern, dass seine Flamme mit dem Blender und Lebemann, der sie nur vernaschen und dann fallenlassen will, nach Europa reist. Im Big Apple bekommt Cliff nicht nur ordentlich auf die Nase, er wird auch mit einer Episode aus seiner Vergangenheit konfrontiert, die im Hier und Jetzt mörderische Nachwirkungen zeigt. Mit von der Partie ist der geheimnisvolle Mister Jonas, ein selbsternannter Verbrechensbekämpfer von erstaunlicher Wandlungsfähigkeit, der kommt und geht wie ein Schatten.

„The Rocketeer“, von Cross Cult in einem wunderschönen, etwa DIN-A4 großen Hardcoverband mit 160 Seiten herausgebracht, ist das erstaunliche Kind zweier Zeiten. Die Handlung und die Figuren sind inspiriert von den Movie Serial der 1940er und 1950er. Entsprechend sind Nazischergen und Gangster die Bösen und aufrechte Bürger, die mit Mut und Entschlossenheit für ihre Sache einstehen, die Guten. Dass dieses Bild gebrochen wird, liegt an der Entstehungsphase der 1980er, dem Jahrzehnt, in dem Künstler überall tief in den Fundus der (Pop)Kulturgeschichte griffen und aus einem Potpourri von Motiven und Erzählstilen etwas ganz Neues, oft kritisch Gebrochenes schufen.

So ist Cliff Secord keine Heldengestalt, wie die meisten Protagonisten der Movie Serials, sondern ein Hallodri, der mal arbeitsscheu, mal launisch, mal eifersüchtig und mal streitlustig daherkommt. Er überwirft sich mit seinem Chef, widersetzt sich Ordnungshütern, zerstört aus Unwissenheit und Egoismus auch mal ein Regierungslabor und rennt seiner Freundin zwar quer durch die USA nach, schmeißt sie dann aber aus dem Taxi, als er sie wieder hat, weil er nicht will, dass sie nur aus Mitleid mit ihm zusammen ist. Er wirkt weder besonders reif, noch besonders altruistisch. Und dennoch sieht man ihm als Leser all diese Schwächen nach, denn man erkennt das gute Herz in seinem Inneren – und wenn es drauf ankommt, ist er auch bereit, für die richtige Sache alles zu riskieren.

Flankiert werden die beiden Comic-Abenteuer des Rocketeer – die schon alles sind, was es von Dave Stevens über diese Figur gibt, weswegen hier in der Tat eine (wie auf dem Backcover versprochen) „Gesamtausgabe aller „Rocketeer“-Geschichten“ vorliegt, wenngleich das bei zwei Abenteuern etwas großspurig klingt – Cross-Cult-typisch von einigem Bonusmaterial. Neben den Covern der ursprünglichen Heftausgaben gibt es ein nostalgisch gefärbtes Vorwort von Christian Langhagen, und am Ende taucht Christian Endres auf elf reich bebilderten Seiten in die Welt von Dave Stevens und dem Rocketeer ein. Erwähnenswert außerdem: Beide Comic-Abenteuer liegen in der preisgekrönten, digitalen Neu-Kolorierung von Laura Martin vor.

Fazit: Es gibt Comic-Helden, die wurden von der Zeit zu Unrecht etwas vergessen. „The Rocketeer“ gehört auf jeden Fall dazu. In einer Zeit, in der Kinosuperhelden so glattgebügelt sind, dass sie sogar digital animierte Kostüme tragen, wirkt er erfreulich handfest und sperrig, ein Mann, der mit Indiana Jones und The Shadow ein Bier trinken könnte. Für jeden Liebhaber solcher Vintage-Feeling-Geschichten ist der vorliegende, in den USA mehrfach preisgekrönte Comic-Band ein wahrer Genuss. Die liebevolle Aufmachung trägt ihren Teil dazu bei, dass man sich wünscht, der Rocketeer möge in naher Zukunft zu neuen Abenteuern aufbrechen.


The Rocketeer
Comic
Dave Stevens
Cross Cult 2010
ISBN: 978-3-941248-36-6
160 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,90

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