Sturmgeboren

Die Hardorper Ebene im Grenzland von Neunaugensee, Roter Sichel, Salamandersteinen und des Herzogtums Weiden war schon immer eine karge Landschaft, die durch häufige Staubstürme gekennzeichnet war und keine nennenswerte Bevölkerung verzeichnete. Nachdem in jüngster Vergangenheit eine erste Besiedlung scheiterte, wollen mehrere adlige Donnerbacher Familien das Risiko noch einmal wagen und benötigen dafür die Hilfe tatendurstiger und mutiger junger Recken – den künftigen Helden.

von Ansgar Imme

Der Ulisses Verlag geht mit seiner größten Marke, dem Schlachtschiff „Das Schwarze Auge“, in letzter Zeit häufiger neue Wege oder versucht zumindest, die alten festgefahrenen Abläufe zu verlassen. Nachdem immer wieder verstärkt Handlungsfreiheit in den Abenteuern und weniger das verschmähte „Railroading“ gefordert wurde, hat man diesem Wunsch oft nachgegeben und etwa mit „Schleiertanz“, „Bahamuths Ruf“ oder „Mit wehenden Bannern“ gleich mehrfach sehr freie Abenteuer veröffentlicht – alles jedoch eher für sehr erfahrene bis Expertenhelden. Mit „Sturmgeboren“ soll eine sehr offene Abenteuerstruktur nun auch für Einsteigerhelden (aber nicht notwendigerweise Einsteigerspieler) zur Verfügung stehen. Das „Uthuria“-Einführungsabenteuer „An fremden Gestaden“ hatte einen ersten, laut Fankreisen eher misslungenen Versuch zu einem Besiedlungsabenteuer gemacht, „Sturmgeboren“ sollte sich viel stärker noch auf den Besiedlungsversuch konzentrieren. Die Idee erinnert dabei an das 1988 erschiene Abenteuer „Schatten über Travias Haus“ von Hadmar Wieser, das vom Tempelbau in einer (noch) unwirtliche(re)n Gegend handelt.

Die Redaktion zum Projekt übernahm Katja Reinwald, die bereits einige Abenteuer und Mitarbeiten an namhaften Erscheinungen wie die Spielhilfen „Schild des Reiches“, das „Rondra Vademecum“ oder  „Schattenlande“ sowie Abenteuer in verschiedenen Anthologien verzeichnen kann, allerdings auch für das stark kritisierte fünfte Abenteuer der „Drachenkampagne“ verantwortlich ist. Mit Stephan Frings, Dominik Hladek, Rafael Knop und Nina Schellhas scharte sie mehrere Autoren um sich, die bisher zwar nicht in der ersten Reihe der „DSA“-Autoren zu finden sind, aber bereits auch etliche Beiträge zu Spielhilfen oder Abenteuern liefern konnten und von daher eine gesunde Erfahrung mit einbrachten.

Gliederung und Handlungsüberblick

Der Band ist nicht nur Abenteuer, sondern über weite Strecken auch Spielhilfe zur Hardorper Ebene und die anliegenden Orte Donnerbach und Uhdenberg. Es sind sieben Teilabenteuer beziehungsweise größere Szenarien enthalten, die einen groben roten Faden vorgeben, aber genügend Freiheiten zur eigenen Gestaltung lassen. Dabei können je nach Verhalten der Spieler gewisse Teile vorgezogen oder verkürzt werden. Der Freiheitsgrad der Gestaltung ist allerdings nicht so hoch wie bei „Bahamuths Ruf“, wo die Abfolge sehr beliebig sein konnte. Nach etwas mehr als 100 Seiten Abenteuer und Handlung folgen dann fast 80 Seiten Hintergrund zu Personen, Orten, aber auch Regeln und Ideen zur Besiedlung und zur Simulation einer Ortsgründung.

Die recht kurze Einleitung mit einem Überblick über die einzelnen Abenteuer und einer Zeitleiste ist einzig durch eine Besonderheit hervorzuheben: Wenn Situationen erschwert werden sollen oder mehr Dramatik benötigen könnten, ist dies durch einen Totenkopf gekennzeichnet, Erleichterungen oder Vereinfachungen durch einen Heiltrank. Eine nette Idee, die je nach Wunsch des Spielleiters zusätzliche Ideen liefert, ohne dass man selbst schnell improvisieren muss.

Der erste Teil widmet sich dann der Anwerbung der Helden und anderer Spezialisten wie Handwerker oder Jäger. Dabei wird es den Helden ermöglicht, sich unterschiedlichen Familien anzuschließen, was durch die verschiedenen Motive und Ziele der Familien auch Auswirkungen in späteren Abenteuern hat. Schon bei der Anwerbung gibt es Konkurrenten, die es zu schlagen gilt, und eigene Fähigkeiten müssen bewiesen werden. Das zweite Kapitel dreht sich um die Reise der Siedlergemeinschaft, Streit zwischen den Familien und die Verwicklung der Helden, den umfangreichen Aufbau der Siedlung und Knüpfen von Handelsbeziehungen sowie erste Herausforderungen, die die Ebene bereithält. Speziell der Aufbau des Dorfes kann je nach Geschmack der Spieler sehr simulationsgetreu oder eher abstrakt und kurz gestaltet werden.

Das dritte Szenario spielt nach der Zeit der Gründung der Siedlung und der Pflanzung eines Setzling der Donnerbacher Steineiche als Teil eines Hains. Dieser Setzling hat jedoch unerwartete Auswirkungen auf ein Artefakt der Hardorper Ebene, sodass seltsame Phänomene auftreten und die Siedlung und ihre Bewohner gefährden. Durch Lösung der Probleme können Freunde und Verbündete unter anderen Bewohnern der Ebene gefunden werden. Diese können im vierten Abenteuer oder später einiges wert sein. Hier gilt es zudem, sich einerseits mit der die Stadt Uhdenberg beherrschenden Minenloge auseinanderzusetzen, die sich durch die Besiedlung gestört fühlt und ihre eigenen Interessen verfolgt und den Siedlern Kompromisse abverlangt. Andererseits müssen die Helden mit Goblins und deren kriegstreibendem Häuptling, die alte Bauten der Hochelfen bewohnen, einer Bedrohung der weiteren friedlichen Besiedlung begegnen. In beiden Situationen muss gut zwischen Verhandlungen und aggressivem Auftreten abgewogen werden.

Die drei abschließen Abenteuerszenarien widmen sich schließlich hochelfischen Hinterlassenschaften und einem korrumpierten elfischen Wesen. Nachdem die bisherigen Probleme wie Goblins oder der Stadt Uhdenberg gelöst werden konnten, schreitet der Aufbau der Siedlung voran, und auch die Felder gedeihen prächtig. Doch unheimliche Phänomene häufen sich, die zunächst erforscht und beendet werden können, ehe sich eine noch größere alte Macht aus dem Neunaugensee erhebt und eine so große Bedrohung darstellt, dass die Helden in jahrtausendealter Vergangenheit nachforschen müssen, um die Gefahr aus dem See auf lange Zeit zu besiegen.

An die verschiedenen Abenteuerszenarien schließt sich auf etwa 80 Seiten eine ausführliche Regionsbeschreibung an. Es beginnt mit umfänglichen Beschreibungen der wichtigsten Persönlichkeiten der Region um Donnerbach, gefolgt von Informationen rund um das Dominium wie Wind und Wetter, Handel, Glaube, Sagen oder Recht und Gesetz. Danach folgt der geografische Teil, der sich einerseits der Ebene von Hardorp als auch den Anrainern wie den Städten Donnerbach und Uhdenberg (jeweils mit Karte und Stadtbeschreibung) sowie kleineren Städten oder Dörfern wie Hardorp, Niritul, Sinopje und Rathila. Dem Simulationsteil um Aufbau und Besiedlung mit vielen möglichen Regelmechanismen werden fast 13 Seiten geschenkt, wobei der Detailgrad je nach Wunsch ausgespielt werden kann. Hier finden sich Angaben zu Materialmengen beim Hausbau, Baumaterialien und Kosten, Rohstoffbeschaffung, Versorgung eines Dorfes und vieles mehr. Abgerundet wird der Band durch sofort spielbare Archetypen und Kopiervorlagen.

Kritik: Aufmachung, Layout, Inhalt

Wie schon die letzten Kampagnenbände steht auch dieser im Umfang nicht zurück. Mit fast 180 Seiten ist bei 25 Euro auch ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis vorhanden. Ein tolles Cover, das gleich Lust auf mehr macht, eröffnet den Band. Dazu sind zwar keine Farbkarten, aber schwarz-weiße Stadtkarten der Städte Donnerbach und Uhdenberg inklusive ausführlicher Stadtbeschreibungen sowie gut gezeichnete Pläne besonderer Gebäude oder Orte enthalten. Der Band bietet insofern auch einen Mehrwert, als dass der zweite Teil des Bandes einerseits zum Spiel rund um Donnerbach weiter genutzt werden kann beziehungsweise die Informationen zur Besiedlung auch für andere Gegenden brauchbar sind, vor allem allerdings für die nördlichen Gefilde, da sich die Informationen weitestgehend darauf beziehen. Qualitativ manchmal an der Grenze und durchaus gewöhnungsbedürftig sind dagegen die Illustrationen, die eher skizzenhaft und etwas gröber sind und stark an die Zeichnerin Sabine Weiss erinnern. Vor allem die Portraits sind nicht ganz gelungen. Da dies aber natürlich Geschmackssache ist, mag es manchem Leser besser gefallen als dem Rezensenten.

Im Gegensatz zu den Kampagnenbänden für erfahrene Spieler und fortgeschrittene Helden „Schleiertanz“ und „Bahamuths Ruf“ folgt hier der Aufbau und Gliederung einem sichtbaren Roten Faden. Zwar können unter Umständen Szenarien wegfallen, aber die Reihenfolge ist weitestgehend vorgegeben und nur schwer zu ändern. Das macht es allerdings auch für den Spielleiter wieder etwas leichter. Trotzdem haben die Spieler genügend Freiheiten, ohne sich gegängelt oder an einer Leine geführt fühlen zu müssen. Auch erfahrene Spieler können hier mit Grünschnäbeln wieder Spaß an einfachen Herausforderungen finden.

Die Handlung ist hier im wahrsten Sinne weit bodenständiger als in den beiden anderen genannten Kampagnenbänden. Hier treten Siedlungsaspekte und mal wieder ganz klassische Fantasy-Aspekte in den Vordergrund, ohne dass auch fantastischere Ideen vollkommen vernachlässigt werden. An manchen Stellen ist dies aber auch zu viel des Guten, wenn ernsthaft vorgeschlagen wird, dass die Helden nach der verschwundenen Katze eines Bauernmädchens suchen sollen. Lobenswert ist dagegen die Freiheit in der Wahl der Familie, der man folgt und das spätere Eingehen auf diese Wahl und was dies bedeutet. Es gibt zudem keine Szene, wo die Spieler nur zuschauen können/müssen, sondern ganz im Gegenteil werden immer wieder Aufgaben an die Spieler und Helden herangetragen, sodass diese ständig involviert sind.

Auch die Intensität der Besiedlung und das Simulieren derselben ist gut gelöst, da dies entweder kurz und weitestgehend beschreibend oder detailliert und in vielen Stunden ausgespielt werden kann, da etliche Hinweise und Ideen dazu enthalten sind. Etwas enttäuschend ist allerdings die Konfrontation mit der Bergbaustadt Uhdenberg und der ansässigen Minenloge. Diese wurde wohl bewusst so harmlos gehalten, da es sich um Anfängerhelden handelt. Dabei wirkten bisherige Beschreibungen immer eher, als wäre diese sehr mächtig und die Uhdenberger Legion eine sehr gefährliche Söldnertruppe. Dagegen ist die Gefahr am Ende, die den Helden aus dem Neunaugensee erwächst, schon wieder umso mächtiger und eine harte Herausforderung.

Der Besiedlungsteil liefert viele Ideen und Grundlagen für simulationistische Betrachtungen, kann aber natürlich nicht vollkommen realistisch sein, da auch eine gewisse Spielbarkeit erhalten bleiben muss. Wie bei „DSA“ schon üblich und mit einem Seufzen zu erwarten, werden einige neue Regeln eingeführt. Diese halten sich aber im Rahmen. Hier bietet sich übrigens ernsthaft zu einem der wenigen Male der Einsatz der verschrieenen Spielhilfe „Handelsherr und Kiepenkerl“ an, wenn man wirklich sehr genau spielen möchte und für jedes Saatgut und jeden Apfel oder Stück Holz nachrechnen will.

Fazit: Gerade für Anfängerhelden und erst recht neue Spieler bietet sich eine schöne Gelegenheit, Aventurien im Kleinen und in einem eher abgelegenen Bereich kennenzulernen, ohne dass man großes Hintergrundwissen haben muss, ehe es später in die weite und gefährliche Welt hinausgeht. Die gute Mischung aus rotem Faden und trotzdem recht hohem Freiheitsgrad ist lobenswert. Einzig Spieler, die Welt und Kaiser retten und mit kleinen Erfolgen keinen Spaß mehr haben, sind hier nicht gut aufgehoben. Alle anderen können mit einer Investition von 25 Euro für rund 180 Seiten nicht viel falsch machen!


Sturmgeboren (DSA-Abenteuer Nr. 195)
Abenteuerband
Katja Reinwald (Hrsg.)
Ulisses Spiele 2013
ISBN: 978-3-86889-235-2
178 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 25,00

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