Steinerne Schwingen

Auf den Dächern, Mauern und Regenrinnen Gareths, der Kaiserstadt, gibt es eine Unzahl steinerner Statuen, von vielen als Wasserspeier oder Gargyle bezeichnet. Doch was hat es damit auf sich, dass sich die eine oder andere Statue des Nachts bewegt oder den Standort gewechselt hat? Und warum folgt den Helden ein steinernes Mädchen? Die Helden werden in die Geheimnisse der seltsamen Nirgendgassen verwickelt und stoßen auf ein uraltes Geheimnis Gareths, dessen Wissen dunkle Mächte zur Zerstörung der Stadt nutzen wollen – und nur die Helden stehen ihnen im Weg.

von Ansgar Imme

Mit der „Gareth-Box“ aus dem Jahr 2012 wurden viele Grundlagen gelegt, die in diesem Abenteuer aufgegriffen werden sollten. Ursprünglich sollte der Autor Dominic Hladek „nur“ ein Plotkapitel für die Box kürzen, doch der Redakteur Anton Weste und Hladek sahen so viel Potenzial, dass daraus ein Abenteuer entwickelt wurde. Und so bietet dieses Abenteuer auch gleich Spielmaterial für Spieler und Spielleiter Gareths, die ihre ersten Abenteuer hinter sich haben.

Dominic Hladek ist seit 2011 für das Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ als Autor aktiv und hat an Spielhilfen wie „Elementare Gewalten“ und „Von Toten und Untoten“ sowie an etlichen Abenteuern mitgearbeitet oder Teile zu Anthologien beigesteuert. „Steinerne Schwingen“ ist sein erstes komplettes Abenteuer mit großem Umfang.

Handlungsüberblick

Wie üblich startet der Band mit einem Vorwort sowie einer kurzen Einleitung zu Begriffen und Symbolen. Dabei gibt es u.a. auch die Sanduhr, die Abschnitte bezeichnet, in denen Helden Einfluss auf den zeitlichen Ablauf nehmen können oder den Totenkopf, der eine Stelle aufzeigt, in der zusätzliche Erschwerungen aufgeführt werden. Ergänzt wird dies durch Anmerkungen zu passenden Helden, eine Zusammenfassung der Vorgeschichte dieses Abenteuers und einen Ausblick, was passieren könnte. In einem eigenen Kapitel, aber eigentlich auch zur Vorbereitung und Einleitung des Abenteuers gehörend, werden die Akteure in Form von Verbündeten und Gegenspielern vorgestellt, die mit Erscheinung, Zielen und Hintergrund sowie ausführlichen Werten versehen werden und somit das Verstehen der folgenden Kapitel erleichtern. In sechs Kapiteln werden der Spielleiter und die Spieler schließlich durch das Abenteuer – fast schon eine kleine Kampagne – geführt.

Das Abenteuer beginnt zunächst ganz zufällig mit der Entdeckung seltsamer Phänomene in den Straßen Gareths durch die Helden. In den sogenannten Nirgendgassen verschwinden Menschen, sind Naturgesetze außer Kraft gesetzt oder größere Gebäude als auf den ersten Blick möglich gebaut. Auch auf die Schattenpfade werden sie aufmerksam, die Wege verkürzen oder zu entfernten Orten leiten. Immer wieder begegnen sie dabei einem steinernen Mädchen, einer Gargylin, die verstörende Träume hat und die Hilfe der Helden benötigt. Deren Nachforschungen führen zur Entdeckung eines sehr alten Ortes und Geheimnisses.

Im Folgenden werden die Helden von der Hesindekirche beauftragt, einem brutalen Einbruch in die Katakomben des bekannten Pentagontempels nachzugehen. Die Verwüstung der Bibliotheksräume führt auf die Spur eines Wesens, welcher überall Zerstörung und seltsame Phänomene hinterlässt, sodass die Helden wie eine Art Feuerwehr dagegen ankämpfen und erkennen müssen, dass dies vor allem Nirgendgassen und Schattenpfade betrifft. Im selben Maße können sie aber auch Schwachpunkte des Verursachers entdecken, um ihn später bekämpfen zu können.

Die Ereignisse kulminieren, als die Helden zwischen die Fronten zweier ihnen bisher unbekannter Gargylgruppen geraten und in einen Hinterhalt gelockt werden. Dabei treffen sie auch auf eine mögliche Verbündete, die sie über die Zusammenhänge und Hintergründe der bisher seltsamen Ereignisse in Kenntnis setzen kann. Sie erfahren, dass das Schicksal Gareths mit einem Feenreich verknüpft ist und eine der Gargylgruppen letzteres zerstören will, was auch die Kaiserstadt in Chaos stürzen würde. Es bietet sich daher die Möglichkeit, sich mit der anderen Gargylgruppe zu verbünden, um den Gegnern Einhalt zu gebieten und das Feenreich und Gareth zu schützen, indem Artefakte erobert werden, die die Zerstörung erst ermöglichen.

Durch die Zusammenarbeit fasst man den Entschluss, Gagol, den legendären Hüter des Feenreiches und Anführer der Gagolschwingen, der Vorfahren der Gargyle, zu finden und zu erwecken. Doch die Suche führt zu einem unerwarteten Ergebnis, und es ist eine ganz besondere Aufgabe, ihn von seinem speziellen Standort zunächst überhaupt zu entwenden, ehe er wiedererweckt werden kann. Gemeinsam mit dem Hüter machen sich die Helden mit ihren Verbündeten auf den Weg ins Feenreich, um dort die Lösung der Probleme zu suchen.

Doch im Feenreich ist nicht alles so rosig, wie man es erwartet, und der Hüter ist nicht im Reich des Feenkönigs willkommen. Während die Bedrohung von außen immer größer wird, müssen ehemalige Wachtürme aktiviert und der König überzeugt werden, Gagols Verbannung zu lösen und wieder in seine Dienste zu nehmen. Mit der Rückkehr der Helden in die Kaiserstadt Gareth gilt es, die Wachtürme auch in dieser Welt ausfindig zu machen und mit den Gagolschwingen zu bemannen und das Eindringen dämonischer Kräfte zu verhindern. In den Türmen und anderen Stellen kämpfen die Helden gegen die gegnerische Gargylbande und versuchen, die Zerstörung der Stadt zu verhindern.

Kritik: Aufmachung, Layout, Inhalt

Der Verlag bleibt sich treu und ändert an den letzten Bänden nichts mehr an Stil oder Layout. Graue Kästen liefern zusätzliche Hintergrundinformationen, Symbole unterstützen den Spielleiter, in dem sie Hinweise auf übergeordnete Themen geben. Das sind gute Ideen, die weiterhin fortgeführt und zum Teil noch verfeinert werden, indem man sie an das Abenteuer anpasst. Das Cover zum Band ist dazu ein echter Höhepunkt und sicherlich eines der besten in der gesamten „DAS“-Historie mit tollen Hell-Dunkel-Gegensätzen und einem der Antagonisten mittendrin – einzig sein zu dämonisches Aussehen könnte den einen oder anderen Kritiker auf den Plan rufen. Auch die Illustrationen des Bandes sind mit wenigen Ausnahmen recht gut gelungen und passen zum Inhalt. Nur an einigen wenigen Stellen wirken sie zu comicartig.

Ebenso ist die grundsätzliche Strukturierung und Ergänzung der Inhalte zu loben: Es finden sich eine ausführliche Vorstellung der handelnden Personen und Gestalten zu Beginn, Konsequenzen aus den Handlungen der Helden, ein Zwischenstand zwischen den Kapiteln, Gebäudepläne und sonstige Karten sowie zusätzliche Informationen über die Gargyle. Dies erleichtert dem Spielleiter die Arbeit sehr, und er muss nicht immer hin und her blättern. Eine extra Erwähnung und Lob bekommt das Ablaufdiagramm zur Handlung im Anhang, was sowohl zeitlichen Ablauf als auch handelnde Personen, zugehörige Kapitel und Orte thematisiert und auf einer Seite zusammenfasst. Diese Seite stets als Ausdruck neben dem Spielleiter wird diesem eine sehr gute durchgängige Übersicht und Hilfestellung für das Abenteuer geben (und man fragt sich, warum dies eigentlich nicht schon immer den Abenteuern beilag). Auch der Wunsch nach Karten scheint zumindest teilweise zum Verlag vorgedrungen zu sein, denn die Anzahl ist gefühlt höher als in vorherigen Bänden.

Zwar ist dem Abenteuer ein roter Faden mit klaren Kapiteln und deren Zielen und Übergabepunkten zum Folgekapitel vorgegeben, aber trotzdem haben die Helden und Spieler in den einzelnen Teilen extrem viele Freiheiten. Dieses an manchen Stellen schon „Sandbox“-artige Spiel ist gleichzeitig Fluch und Segen. Einerseits fühlen sich die Spieler kaum getrieben, sondern sie können sehr frei agieren und ermitteln beziehungsweise bestimmte Orte kennenlernen. Andererseits kann die Handlung speziell in den beiden ersten Kapiteln dadurch eher dahintreiben und es muss den Spielern gar nicht klar werden, worum es eigentlich geht und was ihre Aufgabe ist. Dies wirkt oft noch zu zusammenhanglos, und die vielleicht vom Autor geplante Überraschung der Verbindung mag den Spielern weit hergeholt kommen.

Das Abenteuer an sich bietet einen Handlungsbogen, der Jahrtausende zurückreicht und mit der drohenden Zerstörung Gareths fast schon episch zu nennen ist. Jedoch ist das Abenteuer an vielen Stellen auch sehr phantastisch und nutzt vor allem die besonderen Elemente aus der „Gareth-Box“ wie Gargyle, Feen, Nirgendgassen und Schattenpfade. Zwar werden bestimmte Orte Gareths wie der Hesindetempel, der Große Wasserturm, der Praiostempel und andere von den Helden aufgesucht, doch ein richtiges „Gareth“- und vor allem Stadtabenteuer-Gefühl kommt nicht auf, fehlen doch einige bodenständige und städtische Themen und Elemente.

Wer diese phantastische Elemente schon aus der Box mochte oder ansonsten mag, der wird vom Abenteuer begeistert sein. Wer erwartet hatte, dass die Stadt vor allem die Kulisse und Rahmen bietet, wird enttäuscht sein, dass dies nur an wenigen Stellen der Fall ist. Und so ist das Abenteuer vor allem pompös und auf besondere Elemente fixiert. Diese aber bringt das Abenteuer dafür umso besser zur Geltung und erweckt an manchen Stellen den Eindruck, in einen tollen Film reinspringen zu können, bei dem man die Handlung aber selbst in der Hand hat.

Fazit: Ein phantastisches Abenteuer, das viele Facetten des „Schwarzen Auges“ nutzt und die Kaiserstadt Gareth als Schauplatz bietet (wenn auch etliche Teile der Handlung nicht dort spielen). Spieler, die gerne ihren Freiraum haben, werden zufrieden sein, während Spieler mit mehr Führungswunsch etwas Mehrarbeit vom Spielleiter erfordern. Insgesamt ein abwechslungsreiches Abenteuer, das viele Spielstile und einige Genres ermöglicht und zudem die Rettung der größten Stadt des Kontinents ermöglicht. Ein guter Kauf für fast alle Spieler und Spielleiter!


Steinerne Schwingen (DSA-Abenteuer Nr. 201)
Abenteuerband
Dominic Hladek
Ulisses Spiele 2014
ISBN: 3868893776
144 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,95

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