Splitterdämmerung 6: Seelenernte

Viele Jahre haben die dunklen Mächte die tobrischen Lande unter ihrer Fuchtel gehabt. Doch mit dem Vorstoß der Golgariten wurden die Lande zwischen Altzoll und Warunk befreit, auch wenn noch immer versprengte Truppen der Feinde die Gegend unsicher machen. Doch geblieben sind verderbte und leblose Landstriche, in denen sich wandelnde Leichen noch immer erheben und umherziehen. Als die Macht der Göttin Peraine langsam Hoffnung für die Menschen und Lande zurückbringt, erscheint ein alter Feind – der Meister der Albträume und Sammler der Seelen. Ein Wettlauf um die Zeit zwischen Helden und dem Seelensammler beginnt ...

von Ansgar Imme

Noch ehe die neue fünfte Edition von „Das Schwarze Auge“ erscheint, soll der Zyklus um die „Splitterdämmerung“ abgeschlossen sein. Und so kommt im ersten Halbjahr 2015 fast monatlich ein neuer Band heraus. Einen Monat nach dem fünften Band „Träume von Tod“ ist jetzt das Abenteuer „Seelenernte“ erschienen, welches im weitesten Sinne eine Fortsetzung darstellt, da es auf den Ereignissen aufbaut (auch wenn man es spielen kann, ohne den fünften Band zu kennen). Der Zyklus im Gesamten präsentiert in mehreren, voneinander größtenteils unabhängigen Abenteuerbänden die Entwicklung der sogenannten „Schwarzen Lande“ und klärt das Schicksal der Splitter der Dämonenkrone.

Mit dem Österreicher Stefan Unteregger hat sich ein unter Spielern sehr beliebter Autor dem Band gewidmet, der auch für einige sehr gute Publikationen verantwortlich zeichnet (z.B. „Quanionsqueste“) und für kurze Zeit auch Mitglied der „DSA“-Redaktion war, ehe diese umstrukturiert wurde.

Handlungsüberblick


Nach dem eher kürzeren Band „Träume von Tod“ mit 128 Seiten hat der Nachfolger „Seelenernte“ mit 176 Seiten wieder etwas mehr Inhalt aufzuweisen. Die Handlung gliedert sich in vier Teile und führt die Helden aus einem zunächst gut beschützten Ort nahezu mitten in die Niederhöllen. Im Vorgängerband konnten Spieler und Helden von der Rabenmark aus den ersten Schritt tun, um die Schwarzen Lande zu befreien und vor allem die Gegend um Altzoll zu befrieden.

Nun werden sie hier zu Hilfe gerufen, um das wieder aufgebaute Kloster Storckenfels vor marodierenden Söldnern zu schützen und eine seltsame Verseuchung des Bodens rund um das Kloster aufzuklären. Als die Nachricht sich ankündigt, dass Leatmon Praiosop, der Diener des Lebens und damit höchste Perainegeweihte, das Kloster besuchen will, hebt dies die Stimmung unter den Bewohnern. Doch die Ankunft Leatmons wird durch einen Angriff des Seelensammlers, eines sehr mächtigen Dämons überschattet, der den Diener des Lebens und seine Eskorte angreift und schließlich das Kloster belagert. Leatmon ist vom Dämon schwer getroffen und bedarf ebenso der Hilfe der Helden wie das Kloster selbst, welches immer wieder angegriffen und anscheinend von innen unterwandert wird.

Die Helden machen durch Leatmon schließlich eine beunruhigende Entdeckung über den Seelensammler und müssen sich Maßnahmen überlegen, um die dahinter stehende Bedrohung auszuschalten. Es zeigt sich, dass sowohl mystische als auch rein derische Hilfsmittel notwendig sind, die aber erst zusammengeführt werden müssen. Es liegt an den Helden, die Teile der Waffe zusammenzusuchen, doch dafür müssen sie das Kloster verlassen und sich Hilfe von außerhalb holen und einen Ort betreten, der den Niederhöllen ziemlich nahe kommt. Doch als die Helden sich dem Seelensammler mit ihrer Waffe stellen, hat dieser einen letzten Trumpf in der Hand, der die Helden an einen Ort schickt, in dem sie sich ihren tiefsten Ängsten stellen müssen.

Kritik: Aufmachung, Layout, Inhalt


Im Gegensatz zu sonstigen Bewertungen soll hier gleich zu Beginn eine Bewertung erfolgen, weil es verdient ist: Das Abenteuer und dessen Gestaltung sind exzellent gelungen! Nahezu alles passt – ob Handlung, Freiheit der Spielgestaltung, Cover, Illustrationen, Karten oder Personenbeschreibungen. Bis auf ein paar Kleinigkeiten hat man hier eine sehr gute Ausarbeitung eines sehr spannenden und atmosphärischen Abenteuers vorliegen.

Dies beginnt mit den Layout und der gesamten Aufmachung drumherum: Das Cover ist grandios, ob von der farblichen Gestaltung, dem Schatten- und Helligkeitsspiel bis zu einzelnen Kleinigkeiten, die man beim genauen Hinschauen erkennt. Als einzigen Makel mag man einwerfen, dass diese Szene so sicherlich nicht im Band vorkommt. Auch die Illustrationen sind gut gelungen, zum Teil sogar sehr gut. Neben wenigen allgemeinen Bildern finden sich vor allem zur Handlung passende Szenen oder Charakterzeichnungen von Nichtspielercharakteren, sodass man beides im Spiel sogar zur Verdeutlichung den Spielern zeigen kann. Die eine oder andere Illustration mehr wäre noch schöner gewesen, wird aber durch einen anderen Mehrwert erheblich ausgeglichen: Karten! Endlich einmal viele Karten, die es wirklich an nichts fehlen lassen. Der Rezensent wagte es nicht mehr zu hoffen, dass der Verlag doch einmal ausreichend Karten als Spielunterstützung für die wichtigsten Orte zur Verfügung stellt. Für diesen Band gibt es keine Beschwerden – ganz im Gegenteil sind die Karten extrem zu loben, sowohl von der Anzahl als auch der Qualität. Jeder wichtige Ort – ob Städte wie Warunk oder Eslamsbrück, Gebäude wie Kloster Storckenfels oder eine Stadtvilla sowie besondere Orte wie das Pandämonium von Eslamsbrück oder der Ort der Entscheidung – erhält seine Übersichtskarte (inkl. Beschreibung natürlich) und lässt keine Wünsche offen.

Der Aufbau der Handlung verspricht eine gelungene Mischung aus rotem Faden und vielem freien Spiel. Zwar handelt es sich nicht um eine Sandbox, aber die Spieler haben eine hohe Handlungsfreiheit, wie sie sich verhalten wollen und wohin sie sich wenden. Sie können vor allem im Mittelteil in alle Himmelsrichtungen reisen, um Informationen einzuholen und müssen unter Umständen mit Misserfolgen leben (es ist sogar durchaus ein Versagen am Schluss möglich mit den daraus resultierenden Folgen – auch wenn dies für die Spielwelt offiziell nicht vorgesehen ist). Dabei wird auch immer auf das Verhalten der Gegner eingegangen und skizziert, welche Alternativen für die weitere Handlung bestehen. Für spielfreudige Gruppen bietet dies den Vorteil eines sehr offenen Abenteuers mit allen Facetten, erfordert aber vom Spielleiter auch eine intensive Vorbereitung und viel Flexibilität in der Spielführung. Spielgruppen, die lieber eng an Handlungssträngen bleiben und zu viel Freiheit nicht besonders schätzen, können das Abenteuer aber genauso nutzen, ohne wesentliche Handlungselemente zu verpassen. Sie führt das Abenteuer dann stringenter an den wesentlichen Punkten entlang, ohne sie aber zu bestimmten Handlungen zu zwingen.

Zuletzt kann auch der Inhalt vollendlich überzeugen: Hier bekommt man einen guten Mix aus Reiseteil, Detektivarbeit, Schlachtengetümmel und mehreren Dungeons – und alles gepaart mit vielen Chancen zum Rollenspiel. Im Kloster kann beispielsweise sowohl die Erforschung der Räume und ein Geheimnis aufgedeckt, es kann viel Zeit mit den Bewohnern im Rollenspiel verbracht oder auch der Kampf mit den plündernden Söldnern gesucht werden. Für jeden Spielertyp ist immer etwas dabei. Dabei steigern sich nicht nur die Spannung und die Herausforderungen mit jedem Kapitel, sondern auch der Horror und die Trostlosigkeit steigen spürbar über das Abenteuer an.

Im Gegensatz zum Vorgänger „Träume von Tod“ haben die Helden es hier auch nicht mit Aufträgen oder Aufgaben zu tun, die ihrer nicht angemessen wären – stattdessen werden sie immer wieder an ihre Grenzen geführt. Selbst das zunächst harmlose erscheinende Verschwinden eines Druiden zu Beginn wächst schnell zu einer größeren Bedrohung an. Spätestens mit der Ankunft des Seelensammlers sind die Helden und auch Spieler aber endgültig gefragt, und der Spielleiter muss aufpassen, dass er die Gruppe nicht schnell zum mehrfachen Heldentod führt. Alles beruht dabei natürlich auf einer düsteren Grundtendenz, einzig von dem kurzen heiteren Auftakt im Kloster abgesehen. Hier braucht es auch Spieler, die damit umgehen können. Ansonsten wird der Spaß etwas auf der Strecke bleiben, wenn nur die Aufgaben abgearbeitet werden, denn gerade durch die zum Teil hoffnungslose Stimmung gewinnt das Abenteuer noch einmal ungemein.

Zu erwähnen ist noch der Abschlussteil und die letzte Herausforderung der Helden: Hier wird eine ungewöhnliche Lösung vom Autor vorgestellt (Konfrontation mit Ängsten in einem anderen Körper), die aber sehr gut zum Gegenspieler passt. Es mag aber Gruppen geben, die sich hier gegängelt fühlen, sodass der Spielleiter sich hier vorab Gedanken machen muss, ob er dies abwandelt. Aus Sicht des Rezensenten bildet dies aber einen spannenden und interessanten Ansatz und Abschluss.

Fazit: Spannende Handlung, viele Freiheiten für die Spieler, umfangreiche Ausstattung vor allem mit tollen Karten, ein guter Aufbau und interessante Protagonisten – viel mehr kann man von einem Abenteuer kaum verlangen. Einzig die generell düstere Grundtendenz und das letzte Kapitel mögen zu manchen Spielgruppen nicht passen. Für alle anderen eine absolute Kaufempfehlung für ein Abenteuer, das man gespielt haben sollte.

Splitterdämmerung 6: Seelenernte (DSA-Abenteuer Nr. 208)
Abenteuerband
Stefan Unteregger
Ulisses Spiele 2015
ISBN: 3957521777
176 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

bei amazon.de bestellen