Splitterdämmerung 2: Bahamuths Ruf

Die Zeichen mehren sich, dass die Erzdämonin Charyptoroth zum letzten Schlag ausholen wird, um auf den aventurischen Meeren die Herrschaft an sich zu reißen. Aus blutigen Wogen erheben sich Geisterschiffe, und düstere Kreaturen schmieden erschreckende Bündnisse auf dem Meeresgrund. Es ist an den Helden, den Heptarch der Meere, Daligon Paligan, aufzuhalten und seine düstere Armada auf den Meeresgrund zu schicken. Doch dafür müssen sie die zerstrittenen Kapitäne und Freibeuter des Perlenmeers einen, ehe der mysteriöse Bahamuth das Schicksal der Meere zu ihren Ungunsten wenden wird.

von Ansgar Imme

Am Anfang ging es gleich Schlag auf Schlag: Erst erschien der erste Teil des „Splitterdämmerung“-Zyklus, und man hatte kaum fertig gelesen, geschweige denn gespielt, da legte Ulisses mit „Bahamuths Ruf“ von Michael Masberg gleich den zweiten Teil nach, der inhaltlich mit Ausnahme der übergeordneten Themen „Schwarze Lande“ und „Splitter der Dämonenkrone“ jedoch nichts mit dem ersten Teil zu tun hat. Der Hintergrund des „Splitterdämmerung“-Zyklus ist die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit des „Das Schwarze Auge“-Universums. Mit der „Borbarad-Kampagne“ wurden einige Gegenden wesentlich umgestaltet und bildeten für längere Zeit die sogenannten „Schwarzen Lande“, in denen Spieler vor allem Horrorgeschichten erleben konnten. Mit dem Zyklus der „Splitterdämmerung“ werden Dank Abenteuern, die nur durch das übergeordnete Thema zusammenhängen, wesentliche Änderungen in den Schwarzen Landen vorgehen. Die Heptarchen werden besiegt oder zurückgedrängt, und die namensgebenden Splitter der Dämonenkrone ihren Händen entrissen.

Der Autor Michael Masberg ist vor allem in den beiden letzten Jahre der produktivste Autor des Rollenspiels „DSA“ gewesen. Der 1982 geborene selbstständige Regisseur und Autor gewann zunächst den Abenteuerwettbewerb „Goldener Becher von Hannover 2005“, ehe er auch für das Rollenspiel offizielle Beiträge verfasste. Waren es zunächst Abenteuer für Anthologien und Beiträge für Spielhilfen, folgten schnell eigenständige Abenteuer. Als es zu erheblichen Änderungen innerhalb der Kernredaktion kam, stieg seine Produktivität noch einmal deutlich an. Mit Abenteuern zur „Drachen-Kampagne“, der Redaktion zu „Orkengold“ und dem Abenteuer „Der Mondenkaiser“ sorgte er dabei durchaus auch für Kontroversen innerhalb der Spielerschaft. 2012 hat er zwei der wichtigsten Projekte und Großabenteuer übernommen: Das vorliegende „Bahamuths Ruf“ und das lange und von vielen Spielern sehnlich erwartete, frisch erschienene „Mit wehenden Bannern“.

Gliederung und Handlungsüberblick

Wie schon der erste Teil des „Splitterdämmerung“-Zyklus – „Schleiertanz“ – wartet auch dieser Band weniger mit einem klassischen, klar strukturierten Abenteuer auf, sondern bietet umfangreiches Material für eine lange Kampagne vor allem im Perlenmeer und anliegenden Häfen. Auch hier werden nur Rahmenbedingungen und ein roter Faden vorgegeben. Die Freiheiten im Ablauf und wie stark die Spieler und Helden die Hintergründe kennenlernen liegt an ihnen selbst und am Spielleiter. Etliche Teilabenteuer können entfallen, die Reihenfolge ist mit Ausnahme weniger Haupthandlungspunkte beliebig, und die Entfaltung und Vertiefung des Hintergrunds kann wirklich je nach Wunsch schnell an die eigene Spielrunde angepasst werden.

Neben einer umfassenden Einleitung zum Hintergrund und einem vorbildlichen Verzeichnis der Schurken und Gegner ist der Band in drei Abenteuerkapitel gegliedert, wobei vor allem der Einstieg im ersten Kapitel recht genau vorgegeben ist und die Kulminierung der Ereignisse im dritten Kapitel auch einen starken roten Faden aufweist. Im mittleren und mit etwa 90 Seiten mit Abstand umfangreichstem Teil des Bandes besteht hingegen hohe Flexibilität sowohl in Anordnung als auch überhaupt im Stattfinden einzelner Abenteuer und Szenarien. Zudem hat der Autor noch sechs Anhänge aufgeführt, die Personen, Orte, Monstren, Quellentexte und etliche Karten als Unterstützung für das Spiel bieten. Diese sind so umfassend zusammengestellt, dass sie auch für Abenteuer vor und nach „Bahamuths Ruf“ und als Material für andere „Perlenmeer“-Abenteuer genutzt werden können.

Die Kampagne beginnt in der kleinen bornländischen Stadt Neersand. Im Auftrag des hiesigen Hüter des Zirkels der Efferdkirche brechen die Helden das jahrhundertealte Interdikt der Kirche und tauchen in den der Stadt namensgebenden Neer, einen Mahlstrom, ein. Am Grund des Strudels entdecken sie ein gefährliches Geheimnis. Noch während sie dort sind, erfolgt der Angriff des Heptarchen Darion Paligan und seiner Verbündeten, gegen den sich nicht viel ausrichten lässt. Doch die Helden erkennen, dass sie Darion Paligan aufhalten müssen, ehe er die komplette Kontrolle über die Meere gewinnt.

Hatte der Auftakt noch recht klare Vorgaben, was passieren würde und nur begrenzte Möglichkeiten für die Helden, das Ergebnis zu beeinflussen, so haben sie im großen zweiten Kapitel und vielen kleinen Teilabenteuern selbst das Heft in der Hand und können die Handlung komplett beeinflussen. Da sie aus dem Auftakt wissen, dass der Heptarch innerhalb eines Jahres die Macht an sich reißen will, gilt es nun, Verbündete zu finden und Bündnisse zu schmieden, Vorhaben des Feindes zu behindern oder zu vereiteln und Ressourcen wie Schiffe und Streiter zusammenzubringen.

Es bietet sich an, dass die Helden mit einem eigenen Schiff flexibel reisen und agieren können. Als Beispiel und Vorschlag wird hier das Zauberschiff „Sulam Al’Nassori“ genannt, ebenso gut kommt die legendäre „Seeadler von Beilunk“ in Betracht. Bevor es in die einzelnen Abenteuer geht, werden dem Spielleiter zunächst die wichtigsten Handlungsorte, Ansprechpartner und für die Spieler zu bekommenden Informationen aufgeführt. Die Teilabenteuer und Szenarien sind vielfältig und bedienen verschiedene Spielerinteressen: Der Helden können zwei erbeuteten Artefakten des Zauberkönigs Moruu’daal nachgehen, ein Insanctum der Charyptoroth schließen, eine Intrige in Perricum und der Perlenmeerflotte entdecken, das Schicksal des legendären Freibeuters El Hakir aufklären, die Hintergründe Darion Paligans erkunden und vieles mehr.

Im Schlusskapitel werden die Handlungsstränge zusammengeführt. Die Helden konnten (hoffentlich) Verbündete überzeugen und genügend Hinweise darüber erhalten, wie die Pläne des Heptarchen Darion Paligan aussehen. Alles endet schließlich in einer gigantischen Meeresschlacht – auf die eine oder andere Art und Weise.

Kritik: Aufmachung, Layout, Inhalt

Was den Inhalt angeht, steht auch der zweite Teil der „Splitterdämmerung“ hinter dem ersten nicht zurück: Zwar gibt es keine neuen Farbkarten bekannter Städte, aber der Inhalt ist noch umfangreicher. Allein das grandiose Cover (für den Rezensenten eines der besten überhaupt erschienenen „DSA“-Cover) lässt einen das Buch immer wieder gerne in die Hand nehmen. Dazu gibt es mehr als 200 Seiten Material, welches vielfach auch für Abenteuer vor oder nach „Bahamuths Ruf“ genutzt werden kann – wichtige Protagonisten des Perlenmeeres, Gerüchte und Geheimnisse, Hintergründe zur „Blutigen See“, Schiffsbeschreibungen, Stadtkarten, ein Personenverzeichnis mit Zuordnung von Feindschaften, Bündnissen und Konkurrenzen sowie neue Kreaturen und Charyptoroths Gaben an Paktierer. Die Illustrationen sind ausreichend und fast durchgehend von hoher Qualität (schrecklich nur der Hai-Reiter und der Elf auf S. 90), an manchen Stellen sind aber auch, wie im ersten „Zyklus“-Band, die Bildmotive zwischen einem dunklen Grau und Schwarz zu suchen.

Für ein „DSA“-Abenteuer ist der Aufbau und die Gliederung fast schon unstrukturiert zu nennen. Folgen die beiden kleineren Kapitel zu Beginn und Ende weitestgehend der klassischen Struktur, so ist der Mittelteil ein Sammelsurium an Ideen mit einzelnen Szenarien. Klassische „DSA“-Spielleiter, die eher einem engen roten Faden folgen, werden vielleicht abgeschreckt sein und die freie Handlung mit sehr vielen Optionen, wenigen Vorlesetexten und unzähligen Ansprechpartnern verdammen. Da der Autor Michael Masberg das Abenteuer als Fortsetzung von „Blutige See“ vom Tenor und Aufbau her immer wieder genannt hatte, kann dieses schlecht vorgeworfen werden.

Spielleiter hingegen, die eines freies, leicht improvisiertes und offenes Spiel mit Varianten und Optionen mögen, werden sich richtig gut aufgehoben fühlen. Ihnen wird nur das Anfangskapitel und das Ende etwas zu deutlich geführt sein, sodass dort Nacharbeit notwendig ist. Vor allem der Anfang könnte manchen etwas aufstoßen, weil ein direkter Auftrag des örtlichen Efferdpriester direkt in den Neer führt und dort nach kurzer Zeit die Konfrontation erfolgt. Hier offenbart sich auch bereits ein grundsätzlicher Tenor, der sich durch den ganzen Band zieht: Es ist und wird bombastisch und gigantisch und geht weit in den High-Fantasy-Bereich (die Einleitung wirkt doch sehr cineastisch). Riesige Baumarchen, gewaltige in die Schlacht geführte Schiffsverbände, Hochelfen, ein Tierkönig und eine Unterwasserstadt – hier bekommen die Spieler und Helden einiges zu sehen. Dazu kommen einige Mysterien der aventurischen Ostküste, die in diesem Band behandelt und zum Teil geklärt werden. Kritisch werden manche auch die vielen Kämpfe sehen, da fast alle Auseinandersetzungen nur so zu lösen sind. In diesem Zusammenhang tauchen etliche mächtige Gegner auf, die man sonst nur über mehrere Abenteuer verteilt treffen würde.

Wie schon in „Schleiertanz“ gilt auch hier und sogar noch vermehrt, dass der Spielablauf sehr offen gehalten ist und der rote Faden wirklich nur eine Richtung vorgibt. Der Ablauf ist sehr flexibel und kann je nach Geschmack zusammengestaucht oder ausgedehnt werden. Der Band hätte auch 100 Seiten mehr vertragen können, ohne dass Flexibilität genommen worden wäre, so sehr strotzt er vor Ideen. Spätestens im Mittelteil haben die Spieler viele Möglichkeiten, Ziele zu erreichen oder auch zu verpassen. Bündnisse können anfangs oder später geschlossen werden, bestimmte Parteien dazu genommen oder außer Acht gelassen werden. Der Spielleiter kann über viele Nichtspielercharaktere sehr frei verfügen und mit diesen nach Gutdünken verfahren. Geschätzt knapp die Hälfte der wichtigeren Personen wird nach dem Abenteuer nicht weiter verfolgt und ist dem Spielleiter frei überlassen. Durch die Bündnisse mit vielen Kapitänen sind die unterschiedlichsten Spielverläufe möglich und können zu einem schnellen oder langsamen Verlauf führen. Allerdings ist hier der Spielleiter wie selten gefordert, Personen darzustellen, die einzelnen Abenteuer noch genauer vorzubereiten und die Ergebnisse von Handlungen zu notieren und später wieder einzubauen. Zusammenfassend eine sehr hohe Herausforderung an den Spielleiter, die aber sicherlich ihm und den Spielern lange andauernde und tolle Spielabende verschaffen werden.

Fazit: Auch der zweite Band des „Splitterdämmerung“-Zyklus hält ein hohes Niveau! Der Einstieg ist noch etwas holprig und gezwungen, aber danach eröffnet sich eine Bandbreite an Themen und Freiheit, die den Spielern viel Spaß machen und dem Spielleiter viel Arbeit bereiten wird und sein Improvisationstalent fordert. Einzig zum Teil bombastische Szenen, die an der oberen Grenze des High-Fantasy-Levels für Aventurien kratzen, können manche Spieler und Spielleiter abhalten. Vom Umfang und Material her auf jeden Fall die 30 Eure wert. Sehr empfehlenswert!


Bahamuths Ruf (DSA-Abenteuer Nr. 190)
Abenteuerband
Michael Masberg
Ulisses Spiele 2012
ISBN: 3868891986
206 Seiten, Hardcover, deutsch
Preis: EUR 30,00

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