Somnia

Die Nacht ist kalt, und in den letzten Tagen wurde ein Großteil New Yorks unter einer dicken Schneeschicht begraben. Inmitten des Central Parks steht Scarlet Hawthorne. Ihre Hände sind blutverklebt, ihre Erinnerung wie ausgelöscht. Orientierungslos wandert sie durch die große Stadt, angetrieben von der Ahnung, dass sie immer noch nicht in Sicherheit ist.

von Sabine Dingeldein

 

Lange Zeit wusste Christoph Marzi nach eigenen Aussagen nicht, ob er die Geschichte um die uralten Metropolen, die er mit „Lycidas“ begonnen hatte, weiterführen würde. Nun, endlich, liegt der vierte Teil „Somnia“ in den Bücherregalen. Nach London, Paris und Prag entführt Marzi seine Leser nun nach New York und beantwortet die Frage, was aus Mortimer Wittgensteins großer Liebe Rima und seinem ungeborenen Kind geworden ist. Dabei schafft es Marzi scheinbar mühelos, an seine vorhergehenden Romane anzuknüpfen und trotzdem einen gänzlichen eigenen, selbstständigen Handlungsstrang zu entwickeln.

In New York verschwinden Kinder. An allen Ecken der Stadt werden Eistote gefunden. Und Scarlet Hawthorne kommt ohne Erinnerung im Central Park zu sich. Alles, was sie noch weiß, ist ihr eigener Name und dass sie eigentlich nicht in New York lebt. Und dass sie in Gefahr schwebt.

Tatsächlich verfolgen seltsame und gefährliche Geschöpfe, Wölfe aus Schnee, die junge Frau quer durch die Metropole. Mit dem Wind jagen die Kreaturen durch die Stadt und nichts scheint sie stoppen zu können. Bis sich Anthea Atwood, eine freundliche alte Dame, Scarlett annimmt und sie zumindest vorübergehend in Sicherheit bringen kann. Schnell wird klar, dass Scarlett und ihre fehlenden Erinnerungen die Schlüssel zu den beunruhigenden Vorkommnissen in der Stadt sind.

Zusammen mit Anthea Atwood bricht Scarlett auf, um ihre Erinnerungen zurück zu erlangen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und den Fluch zu brechen, der vor vielen, vielen Jahren einst in London über ihrer Mutter und ihrem Vater ausgesprochen wurde. Dies ist nicht einfach. Bald werden die beiden mutigen Frauen und ihre Begleiter in ein uraltes und seit Jahrtausenden wütendes Machtspiel verwickelt, aus dem sie scheinbar nicht als Sieger hervorgehen können.

„Somnia“ ist der vierte Teil von Christoph Marzis Romanreihe um die uralten Metropolen. Während in den ersten Teilen („Lycidas“, „Lilith“ und „Lumen“) Emily Laing das Zentrum der Geschehnisse war, sind ihr und den anderen bekannten Charakteren der vorhergehenden Romane, wie Mortimer Wittgenstein, Mr. Fox und Mr. Wolf oder Lycidas und Lilith, in „Somnia“ größtenteils nur Nebenrollen zugewiesen. So kann der Leser die Welt der uralten Metropolen und ihrer Sagen und Legenden auf erfrischende Weise aus neuer Perspektive erleben, ohne dabei auf die bereits bekannten Charaktere verzichten zu müssen. Auch wenn Scarlett Hawthorne und die Geschichte von Rima im Mittelpunkt der Handlung stehen, erfährt der Leser viel über die bereits bekannten und teilweisen heiß geliebten Charaktere der vorhergehenden Romane.

Fazit: Obwohl die völlige Neubesetzung in „Somnia“ viel Frische und neuen Antrieb in die Geschichte um die uralten Metropolen bringt, so fehlt leider der Witz und stellenweise auch der Charme, den viele „alte“ Charaktere in den vergangenen drei Büchern versprühten. Möglicherweise auch bedingt durch die Handlung, wirken die Charaktere wesentlich ernster. Obwohl Marzi an einigen Stellen versucht, eine komische Stimmung aufkommen zu lassen, bleibt er damit recht erfolglos. Dennoch: „Somnia“ ist eine gelungene Fortsetzung der von Marzi gesponnenen Geschichte und auf jeden Fall lesenswert!


Somnia
Fantasy-Roman
Christoph Marzi
Heyne 2008
ISBN: 978-3-453-52483-5
608 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 14,00

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